Reichsbürger leugnen die Existenz der Bundesrepublik und sorgen häufig bei Ämtern für Ärger. Foto: dpa

In Stuttgarter Amtsstuben, bei Gericht und der Polizei gegenüber wird es immer aggressiver. Dabei spielen in letzter Zeit die sogenannten Reichsbürger immer häufiger eine unrühmliche Rolle.

Stuttgart - Schreien, drohen, pöbeln, attackieren – in Amtsstuben, bei Gericht und gegenüber der Polizei nimmt die Zahl der verbalen und körperlichen Übergriffe zu. Die Stadt Karlsruhe hat sich erst kürzlich mit einer Art Hilferuf an die Öffentlichkeit gewandt. Hassmails und Übergriffe bis hin zu konkreter Gewaltandrohung gegenüber städtischen Bediensteten hätten überhand genommen. Bald jeder zehnte Kunde der Stadtverwaltung benehme sich massiv daneben. In Stuttgart und Umgebung zeigt sich ein ähnliches Bild.

„Die Gewalt verbaler und körperlicher Art gegenüber unseren Mitarbeitern nimmt zu“, sagt Stadtsprecherin Chiara Vitzthum. Dabei seien Übergriffe keine singulären Probleme einzelner Ämter, ergänzt Vitzthums Kollege Martin Thronberens. Probleme würden überall dort auftreten, wo reger Publikumsverkehr herrsche. Im Jahr 2015 – neuere Zahlen gibt es noch nicht – sei es beispielsweise im Ordnungsamt zu vier Übergriffen gekommen. „Diese Übergriffe haben insgesamt zu 160 Ausfalltagen geführt“, sagt Chiara Vitzthum.

Reichsbürger: fordernd, pampig, aggressiv

Besonders negativ fallen die sogenannten Reichsbürger auf. Diesen Leute, die die Existenz der Bundesrepublik leugnen, wurde in der Vergangenheit eher weniger Aufmerksamkeit zuteil. Seit ein Reichsbürger im Oktober einen Polizisten nahe Nürnberg erschossen hat, sind sie in den Fokus gerückt. Hermann Karpf, Referent des Stuttgarter Ordnungsbürgermeisters Martin Schairer, kennt diese Klientel nur zu gut. „Die tauchen regelmäßig bei uns auf“, so Karpf. Oft seien sie „fordernd und pampig“, wenn sie beispielsweise beim Stadtmessungsamt Pläne aus der 1930er Jahren verlangten. „Berechtigte Anliegen werden erfüllt“, sagt Karpf. Die Mitarbeiter sollten sich aber grundsätzlich nicht auf Diskussionen über die Legitimation ihres Tuns einlassen. Wenn es massiv werde, müsse man konsequent vom Hausrecht Gebrauch machen.

„Lästig und im Ton aggressiv“, nennt Monika Rudolph, Richterin am Amtsgericht Stuttgart, die Art und Weise, wie Reichsbürger auftreten. Neu seien die Probleme mit dieser Kundschaft nicht, die Zahlen würden aber zunehmen. Ein Beispiel, wie Reichsbürger die Justiz verunsichern wollen: Ein Amtsrichterin verhängt gegen einen Reichsbürger ein Bußgeld. Wenige Tage später flattert ihr die Forderung nach 200 000 Euro Schadenersatz auf den Schreibtisch. Einfach in den Papierkorb konnte man solche absurden Schreiben bis dato nicht werfen. Die Forderungen kommen aus den USA oder aus Malta.

Verunsicherung bei den Gerichten

Rachsüchtige Reichsbürger lassen sich in den USA im Handelsregister als Unternehmen eintragen. Angebliche Schulden werden an ein Inkassounternehmen in Malta abgetreten, das wiederum Vollstreckungsbescheide an deutsche Richterinnen oder Richter schickt, die der jeweilige Reichsbürger auf dem Kieker hat. Das sorgt für Verunsicherung. Das Auswärtige Amt ist gerade dabei, diesem Treiben in Zusammenarbeit mit der maltesischen Regierung ein Ende zu setzen.

Vor einiger Zeit hat einer dieser Totalverweigerer der bundesdeutschen Ordnung einem Richter, der ihn wegen Betrugs verurteilt hatte, ein Todesurteil zustellen lassen. Der Richter müsse mit der standrechtlichen Erschießung rechnen. Und im Rems-Murr-Kreis war ein selbsternannter Reichsdeutscher im August nur durch Schüsse aus einer Polizeipistole zu stoppen gewesen. Bei einer Verkehrskontrolle hatte sich der Mann geweigert, seine Papiere zu zeigen. Er benötige keine bundesdeutschen Papiere, so der 60-Jährige. Als ein Polizist zum Autoschlüssel greifen wollte, gab der Mann Gas und schleifte den Beamten mit. Erst als ein Reifen zerschossen war, gab der 60-Jährige auf und konnte festgenommen werden.

Stadtverwaltung will Mitarbeiter schützen

„Der Ton ist definitiv rauer geworden“, sagt eine Mitarbeiterin aus dem Stuttgarter Rathaus, die nicht namentlich genannt werden will. Es seien vor allem die häufiger werdenden, kleineren Aggressionen, die ihr zu schaffen machten. Da werde die Stimme erhoben, mancher Antragsteller lehne sich drohend über den Schreibtisch und verlange eine Sonderbehandlung. Schließlich sei er es, der sie bezahle. Es komme immer häufiger vor, dass sie wenig Lust verspüre, zum Dienst zu gehen.

Die Stadtverwaltung steuert dagegen. Es werde ein Präventionskonzept erstellt, Übergriffe würden jetzt dokumentiert. „Wir kümmern uns darum, dass alle von Übergriffen betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schneller professionelle Hilfe bekommen“, sagt Sprecherin Chiara Vitzthum. Jeder Mitarbeiter solle darüber informiert werden, wie er selbst Hausverbote erteilen und Annäherungsverbote aussprechen oder sich gegen Cyber-Mobbing wehren könne. Wenn es brenzlig wird, kann über eine Tastenkombination auf dem Telefon für die ganze Etage Alarm ausgelöst werden.

„Korrupte Hure“

Juristen haben, was Pöbeleien und Schlimmeres betrifft, in der Regel starke Nerven, was wohl auch an ihrem Klientel liegt. Beschimpfungen sind Alltag. Eine Richterin wird in einem Schriftstück als „korrupte Hure“, ein Richter als „onanierender Depp“ verunglimpft. Solche Verbalinjurien beeindrucken die Damen und Herren in den schwarzen Roben kaum.

Auch bei den Finanzämtern kommt es immer häufiger vor, dass Steuerpflichtige Beschäftigte beleidigen, bedrohen und ihnen nachstellen. Die Reichsbürger spielen dabei offenbar eine unrühmliche Rolle. „Die Finanzverwaltung erstattet konsequent Strafanzeige, wenn die Grenze zur Nötigung oder Beleidigung überschritten wird“, sagt Martina Schäfer vom Finanzministerium Baden-Württemberg.