Der Wunsch nach einem respektvollen Miteinander eint die meisten Lehrer und Schüler mehr denn je. Foto: dpa

Generell ist die Zahl der Straftaten an Schulen in Baden-Württemberg zurückgegangen. Die Anzeigen der Pädagogen bei der Polizei hingegen sind gestiegen – und die Dunkelziffer bleibt hoch.

Stuttgart - In den Schulfluren kursieren Internetfilmchen von Lehrern, und die Lehrer wissen nicht einmal davon. Entsprechend hoch ist die Dunkelziffer bei der Gewalt gegen Lehrer, zu der auch Cybermobbing gehört. Polizeibekannt wurden im vergangenen Jahr 49 Fälle von Gewalttaten gegen Lehrer, das sind 13 mehr als im vergangenen Jahr. Jedoch gingen beispielsweise im Jahr 2014 schon 46 Anzeigen bei der Polizei ein. 2015 wurden 38 Fälle angezeigt, 2016 waren es 41. Im vergangenen Jahr wurden 28 Körperverletzungen aktenkundig, 20-mal wurden Lehrer Opfer von Bedrohung oder Nötigung, einmal gab es sogar einen Raub. Das berichtete Harald Schmidt vom Landeskriminalamt bei einer Anhörung des Landtags zum Thema Gewalt gegen Lehrer, das vielerorts noch als ein Tabuthema gilt, wie Vertreter von Schulen berichten.

Die Tabuisierung erklärt die große Diskrepanz zwischen der Polizeistatistik und Erkenntnissen des Verbands Bildung und Erziehung (VBE) aus Umfragen unter Lehrern und unter Schulleitern zum Thema. Danach berichteten Lehrer von körperlichen Übergriffen an 788 Schulen im Land (das ist jede sechste), wie Oliver Hintzen vom VBE im Landtag sagte. Jeder vierte Befragte habe erklärt, er habe Angriffe nicht gemeldet. „Welcher Lehrer zeigt einen Grundschüler an, der ihm gegen das Schienbein tritt“, gab Hintzen den Abgeordneten zu bedenken. Viele Lehrer seien sich zudem im Fall des Falles der Unterstützung durch ihre Schulleitungen und die Schulaufsicht nicht sicher, so Hintzen. 60 Prozent von ihnen sehen das Thema nach wie vor als Tabuthema. Doch die Übergriffe würden zunehmen.

„Übergriffe auf Lehrkräfte nehmen wir ernst“

Das beklagt auch die Kultusministerin. Susanne Eisenmann hatte bereits im Vorfeld der Anhörung am Donnerstag gegenüber unserer Zeitung dafür geworben, dass betroffene Lehrer sich an Schulleitung und Aufsicht wenden sollten. „Übergriffe auf Lehrkräfte nehmen wir ernst, denn jeder Fall ist einer zu viel. Gewalt darf weder zum Berufsbild einer Lehrkraft gehören noch zum Alltag an unseren Schulen.“

Sie sagte weiter: „Die Schule ist ein Ort, an dem ein respektvolles Miteinander gelebt und gelernt wird. Eine fehlende Wertschätzung gegenüber den Lehrerinnen und Lehrern und gegenüber der Institution Schule dürfen wir nicht hinnehmen. Hier erwarte ich, dass Schule und Elternhaus an einem Strang ziehen.“

Bei der Anhörung sprachen sich Vertreter von Lehrern, Eltern und Schülern sowie die meisten Abgeordneten dafür aus, die Beziehungen zwischen Schülern, Lehrern und Eltern zu verbessern, etwa durch eine entsprechende Schulung der Lehrer, und so für eine gewaltfreie Atmosphäre zu sorgen. Handlungsbedarf besteht. In der Studie des VBE haben Lehrer neben Schülern auch Eltern, Kollegen und Vorgesetzte als Täter bei den psychischen Angriffen genannt.

Kernziel ist eine bessere Prävention

Experten und Politiker setzten sich für möglichst frühe Präventionsarbeit ein. Es wurden mehr Sozialarbeiter und Schulsozialarbeiter gefordert, die Beratungsinfrastruktur sollte gestärkt werden. Die AfD sprach sich dafür aus, uniformierte Polizisten zur Aufklärung an die Schulen einzuladen. Claas Lahmann, Professor am Uniklinikum Freiburg, regte an, die Beziehungskompetenzen der Lehrer zu stärken. In Freiburg läuft sei Jahren ein Coachingprojekt für Lehrer. Wenn Schüler zu Tätern würden, liege das eher an wiederholten Bloßstellungen durch Lehrer oder einer „negativen Lehrer-Schüler-Beziehung“ als etwa am „übermäßigen Konsum gewaltvoller Medien“, sagte der Mediziner Lahmann. Er verlangt auch klare Strukturen und Ansprechpartner, falls an Schulen Gewalttaten vorfallen.

Generell ist die Zahl der Straftaten an Schulen in Baden-Württemberg zurückgegangen. Wie das Innenministerium auf Anfrage unserer Zeitung mitteilte, wurden am „Tatort Schule“ im Jahr 2017 genau 13 209 Straftaten begangen, im vergangenen Jahr waren es 12 659. Allerdings betont ein Sprecher von Innenminister Thomas Strobl (CDU), dass diese Statistik „keine Rückschlüsse auf den Schulbetrieb“ zulasse. Die erfassten strafbaren Handlungen seien auf dem Schulgelände begangen worden – also mitunter auch am Wochenende.