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Türkische Kinder sind häufiger dick als deutsche. Tübinger Forscher wollen wissen wieso.

Tübingen - Döner, Pide und Köfte: Die türkische Küche ist gut und reichhaltig - als alleinige Erklärung dafür, dass türkische Kinder häufiger übergewichtig sind als ihre deutschen Altersgenossen, reicht sie aber nicht aus. Tübinger Forscher wollen der Ursache nun auf den Grund gehen.

Trotz aller therapeutischen Bemühungen sind immer mehr Kinder und Jugendliche weltweit zu dick. Viel zu dick. Experten gehen in Deutschland inzwischen von einer Übergewichtsquote von 15 Prozent bei den 3- bis 17-Jährigen aus. Die ärztlichen Kapazitäten reichen gar nicht mehr aus, jeden zu behandeln. Auffallend viele - nämlich fast doppelt so viele - der dicken Kinder sind türkischer Herkunft. Auch andere Migrantenkinder leiden häufiger an Gewichtsproblemen als Deutsche, doch keine Gruppe so sehr wie die türkische.

Wissenschaftler vom Zentrum für Ernährungsmedizin der Universitäten Tübingen und Hohenheim wollen den Gründen dafür nun nachgehen. Dazu untersuchen sie in den kommenden Monaten 14- bis 18-Jährige beider Nationalitäten hinsichtlich ihrer Ernährungs- und Bewegungsgewohnheiten, ihrer Körperzusammensetzung und ihres Stoffwechsels. Am Ende der Studie sollen möglichst individuelle Behandlungskonzepte stehen: Dem einen reicht Fitnesstraining, andere brauchen einen Arzt.

Stefan Ehehalt wirkt an dem Projekt mit. Der Mediziner will den Ergebnissen nicht vorweggreifen, aus seiner Erfahrung hat er aber bereits Hypothesen aufgestellt. Eine lautet: Türkische Kinder nehmen eher nahrhaftere Speisen zu sich als deutsche. Das fange mit dem Frühstück an, wo in vielen Familien Käse, Weißbrot und Oliven auf den Tisch kämen, berichtet Ehehalt. "Da stecken deutlich mehr Kalorien drin als in einem Vollkornbrot mit Marmelade."

Auch die Einnahme regelmäßiger Mahlzeiten entspricht nicht unbedingt türkischen Essgewohnheiten. Häufig steht ein Topf mit Essen den ganzen Tag auf dem Herd. Generell essen Türken öfters warm, und warme Mahlzeiten weisen eine höhere Energiedichte auf - machen also eher dick. "Man kann schon sagen, dass viele türkische Gerichte sehr reichhaltig, sehr fettreich sind", fasst der Tübinger Erfahrungen mit seinen jungen Patienten zusammen.

Was das Bewegungsverhalten angeht, erkennt Ehehalt keine großen Unterschiede zwischen deutschen und türkischen Kindern und Jugendlichen: Beide bewegten sich zu wenig. Generell sind Bewegungsmangel und Ernährungsverhalten eng an Parameter wie Bildung, Einkommen und Wohnverhältnisse geknüpft. Am schlechtesten gestellt sind demnach Kinder schlecht gebildeter Eltern in den Ballungsräumen. Der kulturelle Hintergrund spielt dabei keine so große Rolle. Auch andere Studien besagen, dass es in Bezug auf Fernsehkonsum und sportliche Aktivitäten kaum Unterschiede zwischen Deutschen und Türken gibt.

"Ernährung und Bewegung sind aber nicht die einzigen Einflussfaktoren auf das Gewicht", erklärt Ehehalt. Auch die Veranlagung spiele eine große Rolle. So geht die Forschung davon aus, dass die Statur einem Menschen genauso vererbt werden kann wie die Körpergröße. Und wie Südeuropäer generell kleiner sind als Nord- und Mitteleuropäer, sind sie auch häufiger übergewichtig. "Ob jemand übergewichtig wird und ob durch das Übergewicht Krankheiten entstehen, scheint sehr von der genetischen Veranlagung abzuhängen", sagt der Kinderarzt. So ist zum Beispiel erwiesen, dass Südamerikaner allein aufgrund genetischer Ursachen weltweit am häufigsten an der nichtalkoholischen Fettleber erkranken.

Bis Ende des Jahres hoffen die Tübinger Forscher auf erste Ergebnisse. Im Anschluss daran soll eine weitere Studie mögliche Unterschiede zwischen hier und in ihrer Heimat lebenden türkischen Kindern aufzeigen. Möglicherweise ist das Übergewicht gar kein "türkisches Problem" - sondern nur eines der Deutschtürken.