Von 2020/2021 an ziehen Oper und Ballett für mindestens fünf Jahre in ihr neues Domizil am Rosensteinpark um. Bei einer Art inoffizieller Premiere hat die Altistin Stine Marie Fischer, Mitglied des Ensembles der Staatsoper, die neuen Räumlichkeiten einer Akustikprobe unterzogen.
Stuttgart - Sie ist die erste aus den Reihen des Staatstheater-Ensembles, die die Probe aufs Exempel macht; Stine Marie Fischer, seit 2015 an der Oper in Stuttgart, hat am Donnerstag in dem zur Interimsoper auserkorenen Paketpostamt an der Ehmannstraße eindrucksvoll demonstriert, dass hohe Kunst auch in einem alten Produktionsgebäude ihre Wirkung entfalten kann. Die 31-jährige hochgewachsene Altistin hat die Steinle-Halle mit einer Arie aus der Oper Pique Dame von Peter Tschaikowsky zum Klingen gebracht und geriet regelrecht ins Schwärmen.
„Eine tolle Location“, sagt Fischer, und spricht von einer „spannenden Perspektive“. Mindestens fünf Jahre – so lange soll die Sanierung des historischen Littmann-Baus im Oberen Schlossgarten dauern – werden Oper und Ballett ab der Spielzeit 2021/2022 an den Rand des Rosensteinparks umziehen. Zumindest für die Sängerin ist das eine durchaus attraktive Vorstellung. Ihre Begeisterung über die Gestaltungsmöglichkeiten und die Akustik in dem riesigen, rund 45 000 Quadratmeter großen Raum wirkt ansteckend und hätte vielleicht auch die Kritiker des Interimsstandorts wie die FDP-Landtagsabgeordnete Gabriele Reich-Gutjahr von der Güte des Standorts überzeugt. Die Landespolitikerin hat in der jüngsten Vergangenheit kaum eine Gelegenheit verstreichen lassen, die Entscheidung zu kritisieren.
Intendant beziffert Ausstattungskosten auf maximal 25 Prozent der Gesamtbaukosten
Während Stine Marie Fischer die Arie der Polina gibt, führt der geschäftsführende Intendant der Staatstheater, Marc-Oliver Hendriks, die Besucher durch das Paketpostamt. Er, der in Übereinstimmung etwa mit dem Verein Aufbruch Stuttgart lange Zeit auch mit einer Übergangsspielstätte am Eckensee geliebäugelt hatte, nennt das Paketpostamt nun einen „inspirierenden Ort“. Die direkte Nähe zum Rosensteinpark ist insbesondere im Sommer ein echtes Plus, wenn die Stadt ihre Ankündigungen wahr macht und etwa in punkto Beleuchtung und Umgestaltung der Parkwege investiert. Auch der künftige Eingangsbereich zur Interimsoper an der Nordseite des Gebäudes, ehemals Rampe für an- und abfahrende Postfahrzeuge, soll neu gestaltet werden. Im Augenblick dominieren dort die blauen Rohre des Grundwassermanagements für Stuttgart 21.
Maximal 25 Prozent der kursierenden, aber noch nicht verifizierten Umbaukosten von 55 Millionen Euro gehen für Bühnentechnik, Orchestergraben, akustische Optimierung und sonstige Ausstattung von Oper und Ballett drauf, sagt Hendriks. Der große Rest sei für Brandschutz und sonstige bautechnische Arbeiten vorgesehen. „Wir können vieles von unserem technischen Instrumentarium an den neuen Standort mitnehmen“, versichert Hendriks. Auch er will jenen Kritikern den Wind aus den Segeln nehmen, die der Oper luxuriöses Anspruchsdenken unterstellen.
Rund 35 000 Quadratmeter der Halle stehen als Nutzfläche für die Aufführungen zur Verfügung. Etwa 450 Quadratmeter groß soll die Hauptbühne auf der Südseite des Gebäudes werden, das entspricht den derzeitigen Maßen im Großen Haus. Der Boden der Halle, die zurzeit als Lager dient, muss lediglich für das Ausheben des Orchestergrabens aufgebaggert werden. „Wir können unseren Bedarf fast 1:1 vom Littmann-Bau hierher übertragen“, freut sich Hendriks. In der hauseigenen Tiefgarage stehen exklusiv für Opern- und Ballettbesucher, die nicht mit den öffentlichen Verkehrsmitteln anreisen wollen, 520 Parkplätze zur Verfügung.
Zumindest in der Tiefgarage wurde schon musiziert – und zwar fürs Fernsehen
Mindestens 1200 Zuschauer sollen auf den ansteigenden Tribünen Platz finden, vielleicht noch 200 mehr. Zudem gibt es ausreichend Flächen für Kulissen, Werkstätten, Bühnengarderobe. Ein echtes Highlight soll auch die Dachgastronomie werden, schon im Foyer im ersten Stock sollen die Besucher Häppchen und Getränke gereicht bekommen.
Stine Marie Fischer hat ihre Arie beendet, Hendriks und die Besucher spenden Applaus. „Der Nachhalleffekt muss noch ein bisschen feinjustiert werden“, meint der Intendant. Thomas Koch, Kommunikationsdirektor der Oper, enthüllt derweil, dass Musik im Paketpostamt durchaus auf eine gewisse Tradition zurückblicken kann. 1996, so erzählt Koch, hat der Fernsehsender Arte just in der Tiefgarage des Paketpostamts mit dem Orchester der Staatsoper Wolfgang Rihms „Séraphin“-Symphonie aufgenommen – ein Fundstück, das noch in den Fernseharchiven schlummern muss. Koch denkt auch bereits über Kooperationen mit dem benachbarten Schloss Rosenstein nach, und auch die beim Publikum beliebten Events „Oper im Park“ und „Ballett im Park“ scheinen im Rosensteinpark gesetzt.
Die Sängerin Stine Marie Fischer gönnt sich unterdessen noch einen heißen Kaffee. Das erstes Resümee aus Sicht einer praktizierenden Künstlerin fällt positiv aus: „Es fühlt sich sehr gut an, hier zu sein.“ Sie hat jedenfalls keinen Zweifel daran, dass der Standort auch vom Publikum angenommen wird. „Wir sehen uns“, sagt sie beim Abschied zuversichtlich.