Gleich zu Beginn des Jahres machte ein spektakuläres Verbrechen Schlagzeilen. Ein Geldtransporter wurde auf einem Feldweg bei Ludwigsburg überfallen. Jetzt zeigen die Ermittlungen, dass die ganze Sache fingiert sein könnte.
Am Abend des 4. Januar rasen mehrere dunkle Zivilfahrzeuge der Polizei mit Blaulicht durch Ludwigsburg, sogar ein Hubschrauber steigt in die Luft. Auslöser ist ein angeblicher Überfall auf einen Geldtransporter auf einem Feldweg auf der Oßweiler Höhe. Die Polizei findet an diesem Abend aber weder verdächtige Personen noch die Fluchtfahrzeuge. Der Grund scheint nun klar, den Überfall könnte es gar nicht gegeben haben. Stattdessen sitzen die Fahrer der Sicherheitsfirma seit Dienstag in Haft.
So viel steht bis jetzt fest: Nach der angeblichen Tat am 4. Januar wurden die beiden Fahrer verhört. Der 24-Jährige und sein 42-jährige Kollege berichteten, dass sie auf dem Feldweg, der vom Kreisverkehr Aldinger Straße auf Höhe Pattonvillle auf die Landesstraße von Ludwigsburg nach Waiblingen auf Höhe Oßweil führt, unterwegs waren, als der Überfall passierte. Ein helles Auto soll die Straße blockiert haben, daneben habe ein älterer Mann mit Gehstock gestanden. Die Fahrer sollen wohl geglaubt haben, der ältere Mann habe eine Panne und brauche Hilfe.
Opfer werden zu Beschuldigten
Laut den Erzählungen stoppte der Geldtransporter, der Beifahrer stieg aus und sei plötzlich von dem älteren Mann mit einer Schusswaffe bedroht worden. Es seien weitere maskierte und bewaffnete Männer hinzugekommen, die die beiden Sicherheitsangestellten mit Waffen gezwungen hätten, sich auf den Boden zu legen. Die Bande räumte daraufhin angeblich den Geldtransporter aus und floh in zwei Autos vom Tatort. Den Notruf setzten nicht die beiden Fahrer ab, ein Fahrradfahrer alarmierte die Polizei.
Soweit die Geschichte der Fahrer der Sicherheitsfirma – die sich nun in Luft aufzulösen scheint. Denn am Donnerstagvormittag vermeldet das Polizeipräsidium Ludwigsburg, dass die beiden 24 und 42 Jahre alten Fahrer seit Dienstag in Untersuchungshaft sitzen. Es sei wahrscheinlich, dass sie sich den Überfall ausgedacht haben. Auch der alte Mann mit Krückstock ist wohl eine Räuberpistole. So wurden die angeblichen Opfer zu Beschuldigten.
Im Zuge der Ermittlungen der Kriminalpolizei hätten sich die Hinweise verdichtet, dass die beiden Männer den Überfall vorgetäuscht haben könnten, heißt es in der Pressemitteilung der Polizei. Daraufhin sei auf Antrag der Staatsanwaltschaft Stuttgart beim zuständigen Amtsgericht Haftbefehle gegen die beiden Tatverdächtigen und Durchsuchungsbeschlüsse erwirkt worden. Für die Festnahme am Dienstag bekam die Kriminalpolizei sogar Unterstützung von einem Spezialeinsatzkommando. Die beiden Verdächtigen wurden laut Pressemitteilung einem Haftrichter vorgeführt, zudem stellte die Polizei Beweismittel sicher, unter anderem Mobiltelefone und Datenträger. Der dringende Tatverdacht gegen die beiden Männer lautet: Diebstahl mit Waffen.
Staatsanwaltschaft erklärt Hintergründe
Doch wie kommt es zu diesem Verdacht? Um den Geldtransporter auszurauben, hätten die Männer schließlich gar keine Waffen benutzen müssen. Nach aktuellem Kenntnisstand war ja keine weitere Person vor Ort, die man mit Waffengewalt dazu hätte bringen müssen, den Transporter zu öffnen – und sich selbst überfallen konnten die beiden auch nicht. Aber: „Dass die Männer als Mitarbeiter der Sicherheitsfirma Dienstwaffen bei sich trugen, ist für den Tatverdacht ausreichend“, erklärt Aniello Ambrosio, Sprecher der Staatsanwaltschaft Stuttgart.
Das klingt nach einer Banalität, kann für die Männer aber gravierende Folgen haben. Für einen Diebstahl mit Waffen liegt der Strafrahmen zwischen sechs Monaten und zehn Jahren Gefängnis. Bei einem „normalen“ Diebstahl hätten die beiden mit einer Geldstrafe oder maximal fünf Jahren Haft davonkommen können.
Trotz der neuen Erkenntnisse sind viele Fragen weiter offen. So ist der genaue Tathergang weiter nicht bekannt, auch die Höhe der Beute und deren Aufenthaltsort sind laut Polizei weiter Gegenstand der Ermittlungen. „Wir gehen davon aus, dass das Geld aus dem Transporter ausgeladen und mit einem anderen Fahrzeug abtransportiert wurde“, sagt Ambrosio, mehr könne er dazu aber nicht sagen. Das würde zumindest dafür sprechen, dass wenigstens ein Fahrzeug und ein Komplize am Tatort waren.
Wie viele es genau waren, ist offen, Polizei und Staatsanwaltschaft halten sich hier erneut bedeckt. Gerade die Frage nach möglichen Komplizen könnte in einem späteren Gerichtsverfahren aber noch eine Rolle spielen. „Viele Täter sprechen für ein professionelles Vorgehen und damit für eine höhere kriminelle Energie hinter der Tat“, sagt Ambrosio. Vermutlich würde das Strafmaß dadurch höher ausfallen. „Aber aktuell ist das noch ein Blick in die Glaskugel.“
Nach der überraschenden Wendung in dieser Woche wird der Kriminalfall immer außergewöhnlicher – auch für Aniello Ambrosio. „Ich arbeite jetzt seit anderthalb Jahren in der Staatsanwaltschaft Stuttgart“, so der Jurist. „Aber an einen solchen Fall kann ich mich nicht erinnern.“
Geldtransporter-Raub im Kreis Ludwigsburg schreibt Geschichte
Erinnerung
Im Kreis Ludwigsburg gab es schon mal einen aufsehenerregenden Überfall auf einen Transporter. Am 15. Dezember 2009 erbeutete eine Diebesbande Schmuck und Zahngold im Wert von insgesamt rund 1,8 Millionen Euro. Die Tat fand auf der A 81 zwischen Pleidelsheim und Ludwigsburg-Nord statt. Die Täter gaben sich damals als Steuerfahnder der Polizei aus und stoppten den Transporter. Die Opfer wurden gefesselt, im BMW der Räuber abtransportiert und in einem Waldstück wieder ausgesetzt. Vom Diebesgut fehlt bis heute jede Spur.
Verdächtige
Eingefädelt haben soll den Ludwigsburger Goldraub „Big Mäck“, bürgerlicher Name Donald Stellwag, er bestreitet dies jedoch. In den Raub verwickelt war auch Giwar Hajabi, in der Rapper-Szene als „Xatar“ bekannt. Er saß im Gegensatz zu Stellwag etwas mehr als fünf Jahre im Gefängnis. Der Fall ist bundesweit derart bekannt, dass der Streamingdienst Netflix vergangenes Jahr einen Dokumentarfilm darüber veröffentlichte.