Ein Handtaschenraub (Symbolbild) auf dem Gelände des Ludwigsburger Klinikums beschäftigt diese Woche das Stuttgarter Landgericht. Foto: Georg Friedel/Archiv

Dieser Fall hat das Sicherheitsgefühl vieler Ludwigsburger beeinträchtigt. Ein 37-jähriger Drogenabhängiger hat im vergangenen Sommer am Klinikum eine 71-jährige Frau in ihrem Auto überfallen und ihr nach längerem Kampf die Handtasche entrissen. Beute: 80 Euro. Diese Woche läuft der Prozess am Landgericht.

Ludwigsburg - Für das Sicherheitsgefühl vieler Menschen in der Stadt war das, was sich an einem Sonntag im vergangenen Juni im Parkhaus des Ludwigsburger Klinikums zugetragen hat, verheerend: Am helllichten Tag, gegen 14 Uhr, überfällt ein junger Mann eine 71-Jährige, die gerade mit ihrem Auto ausparken will. Er reißt die Beifahrertüre auf, bedroht sie mit einem Messer und zerrt an ihrer Handtasche.

Derart brutal, dass der Riemen der Tasche reißt, der Seniorin ins Gesicht schnalzt und sie verletzt. Dann verschwindet der Räuber mit seiner Beute. Seit Dienstag wird der Fall vor dem Stuttgarter Landgericht verhandelt. Dass es überhaupt eine Verhandlung gibt, ist auch modernster Kriminaltechnik zu verdanken.

Auch ein Handy lässt der Räuber mitgehen

Denn kurz nach der Tat schleudert der Räuber die Handtasche achtlos von sich, nur ein Handy und 80 Euro Bargeld lässt er mitgehen. Die Polizei findet die Tasche – und DNA-Spuren an ihr. Nach aufwändiger Analyse beim Landeskriminalamt führen diese schließlich zu einem 37-Jährigen aus Ludwigsburg, der wegen früherer Delikte in der Datenbank gespeichert ist. Im Oktober nimmt die Polizei ihn fest.

Beim Prozessauftakt gab der Elektrotechniker zu, die ältere Frau ausgeraubt zu haben. Laut seinem Verteidiger sei an jenem Sonntag sein einziges Ziel gewesen, an Geld zu kommen. Seit fast 20 Jahren ist der Ludwigsburger, ausgenommen von kurzen Episoden, schwer abhängig von verschiedenen Substanzen.

Als Kind kam er aus Rumänien nach Deutschland, schaffte trotz seiner Sucht einen Realschulabschluss und schloss zwei Ausbildungen ab. 2004 verurteilte ihn das Stuttgarter Landgericht wegen des Handels mit Rauschgift zu mehrjähriger Haft.

Vor der Tat Drogen konsumiert

Im vergangenen Sommer war es offenkundig besonders schlimm um den Mann bestellt: Mehrere Gramm Heroin und Kokain will er kurz vor der Tat konsumiert haben. Dann sei er ans Grab seiner Mutter gefahren und habe überlegt, sich selbst in die Psychiatrie des Klinikums einzuweisen – aus Angst vor einer Überdosis. Doch sogleich habe ihn die Furcht vor dem Entzug gepackt, weshalb er wieder kehrt gemacht habe. Spontan, sagte der Verteidiger, habe der 37-Jährige vielmehr beschlossen, die Seniorin in ihrem Auto zu überfallen.

Doch der Angeklagte rechnete offenbar nicht damit, wie wehrhaft die Zahnarzthelferin im Ruhestand war: Sie ließ ihre Tasche nicht los, schlug immer wieder auf die Hupe und rief laut um Hilfe – selbst als der Räuber drohte, sie „abzustechen“. Kurz nach der Tat rannte die Frau zurück ins Klinikum, von wo aus die Polizei alarmiert wurde. Auf einem Überwachungsvideo erkannte die 71-Jährige den Räuber wieder, die Qualität der Bilder war aber derart schlecht, dass die ermittler keine Details des Gesichts erkennen konnten.

Die Beute ist bis heute verschwunden

So brachte erst der DNA-Treffer die Polizei auf die Spur des 37-Jährigen. Die Beute haben die Beamten allerdings bis heute nicht gefunden, auch nicht, als sie die Wohnung des Angeklagten durchsuchten. Fixerbesteck und Einwegspritzen entdeckten sie gleichwohl – und auch sonst war die Wohnung des Mannes in einem „wenig prickelnden“ Zustand, wie sein Verteidiger eingestand. So war zum Beispiel der Strom vom Energieversorger abgedreht worden.

Kurz nach dem Überfall sei sie zwar sehr schockiert gewesen, sagte die Seniorin vor Gericht, und habe „am ganzen Körper gezittert“. Eigentlich hatte sie damals nur ihre Nachbarin, die im Klinikum behandelt worden war, besuchen wollen. „Mit so etwas habe ich niemals gerechnet.“

Offenbar keine gesundheitlichen Folgen

Doch langfristige gesundheitliche Folgen hatte der Raub nicht. So musste die Frau weder in psychologische Behandlung noch leidet sie unter Schlafstörungen. Nur manchmal, wenn sie mit dem Erlebten konfrontiert werde, gehe es ihr schlecht, sagte sie – und akzeptierte eine Entschuldigung des Angeklagten.

Das Landgericht will schon am Donnerstag ein Urteil gegen den Mann sprechen. Klar scheint, dass er in einer Entziehungsklinik eingewiesen wird, das forderten sowohl die Staatsanwaltschaft wie auch der Verteidiger des Mannes.

Entscheidender ist aber, wie lange er zusätzlich in Haft muss: fünfeinhalb Jahre beantragte der Staatsanwalt, vier Jahre der Verteidiger des 37-Jährigen.