Ein Kalb pro Jahr bekommen Milchkühe in der Regel – so groß ist die Nachfrage nach Kalbfleisch aber nicht. Foto: imago/Countrypixel

Für Bullenkälber von Milchkühen gibt es hierzulande meist keine Verwendung, ihr Leben ist kurz. Die Uni Hohenheim versucht die Mast nachhaltiger zu machen – in dem die Zahl Kälber verringert wird.

Baustellen gibt es reichlich in unserem Lebensmittelsystem. Das liegt etwa daran, dass es kaum gelingt, das Spannungsfeld zwischen Ansprüchen an eine artgerechte Tierhaltung und wirtschaftlichen Interessen aufzulösen. Das hat auch mit Transparenz zu tun. Beispiel Kükenschreddern: Erst als das öffentlich diskutiert wurde, entkamen die Bruderhähne dem tödlichen System. Sind sie einmal auf der Welt, müssen sie mit durchgefüttert werden.

 

Forscher der Universität Hohenheim wollen nun die Kälber aus dem System der Milchviehzucht befreien. Das sieht normalerweise so aus: Jede Milchkuh braucht Nachwuchs, um Milch geben zu können. Da die Milchleistung nach der Geburt rasch rückläufig wird, bekommt eine Kuh in der modernen Landwirtschaft jedes Jahr ein Kalb, um ihr Jahressoll von 8500 Kilogramm Milch zu erreichen.

2,5 Millionen Kälber bleiben übrig

Letztes Jahr wurden in Deutschland 3,8 Millionen Milchkühe gezählt, etwa dieselbe Zahl an Kälbern müsste also im Vorjahr zur Welt gekommen sein. Ein Drittel der Kälber wird gebraucht. Überwiegend weibliche Kälber, die später ihre ausgelaugten Mütter im Milchviehbestand ersetzen sollen. Zusätzlich noch einige männliche Glückspilze. Auserwählt, um der vornehmsten Aufgabe in der Zucht nachzukommen und sie zu erhalten. Es verbleiben rund 2,5 Millionen Kälber.

Die Milchbauern können diese Kälber nicht mit durchfüttern. Die hiesige Nachfrage nach Kalbfleisch ist gering, und bei milchbetonten Rassen setzen die Kälber ohnehin nicht genügend Fleisch an. Deswegen ist es gang und gäbe, sie in große Mastbetriebe zu transportieren, vor allem nach Norddeutschland, Spanien und in die Niederlande. Solche Transporte können bis zu 30 Stunden dauern. Auf Lüftung in den Transportfahrzeugen wird geachtet, ebenso auf die Einhaltung von Pausenzeiten. Um Nahrung zu sich zu nehmen, bräuchten die Babys jedoch Saugnuckel. Die sind normalerweise nicht vorhanden.

Anderswo werden die jungen Tiere erschossen

Wären die Kälber in Australien zur Welt gekommen, hätte der Bauer zumindest die männlichen Tiere wohl nach der Geburt erschossen. Die Wege dort sind zu weit für Kälbertransporte. Josephine Gresham hat dies in ihrer Jugend in Down Under hautnah mitbekommen. Als die in Zwiefalten verwurzelte Schwäbin zurück nach Deutschland kam, war sie zunächst erstaunt über den vergleichsweise hohen Stellenwert, den der Tierschutz hierzulande hat. Inzwischen möchte sie gewisse Standards nicht mehr missen.

Die Doktorandin für ökologische Milchviehhaltung betreut heute an der Uni Hohenheim das Projekt Wertkalb, das zu mehr Nachhaltigkeit in der Milchviehzucht beitragen soll. Um die große Zahl der Kälber zu verringern, will Gresham die Milchproduktion bei der Mutterkuh, also die Zeit bis zur Geburt des nächsten Kalbes verlängern. Dass das geht, hätten bereits Ziegenzüchter bewiesen. Für Gresham bringen weniger Geburten nur Vorteile. Sie bedeuten weniger gesundheitliche Risiken beim Muttertier, und so weniger wirtschaftliche Risiken beim Bauern.

Züchter wollen Kälber in der Region mästen

Den Anstoß zum Projekt haben Rinderzüchter gegeben: „Unsere Mitglieder wünschen sich bessere Konzepte zur Kälberhaltung. Heute beliefern spanische Mastbetriebe mediterrane Abnehmer mit dem Fleisch unserer Kälber. Wir würden die Kälber lieber hier in der Region mästen, verarbeiten und vermarkten lassen“, erklärt Alfred Weidele, Geschäftsführer der Rinderunion Baden-Württemberg, den Hintergrund.

Für die Züchter steht also die Frage im Mittelpunkt, wie man die Kälber mastfähiger machen kann. Je einfacher die Mast, desto größer sind die Chancen für die Kälber, dass sie in der Region bleiben können. Ihnen würden langwierige Transporte erspart bleiben, und der Mehrwert aus dem Geschäft mit weißem Kalbfleisch bliebe im Ländle.

Gresham wünscht sich mehr. Sie wünscht sich, dass die Kälber artgerecht aufwachsen können, so wie in der Bruderkalb-Initiative oder bei den Demeter-Heumilch-Bauern Süd. Sabine Herz vom Biolandhof Familie Herz in Forchtenberg bewegt sich zwischen beiden Positionen: „Als engagierte Bauern ist es uns nicht nur wichtig, die Region zu unterstützen, der wir unsere Nahrung verdanken, sondern auch, unseren Tieren für das entgegengebrachte Vertrauen durch artgerechte Haltung etwas zurückzugeben. Unsere Kälber können am Euter trinken, Gras und Heu fressen und werden frühestens nach drei Monaten abgesetzt.“

Falsche Erwartungen an das Kalbfleisch

Um das Kalbfleisch hierzulande besser verkaufen zu können, ist eine artgerechte Haltung hilfreich. Aber ein Teil des Problems findet auch in den Köpfen der Verbraucher und Verbraucherinnen statt. Viele sind überzeugt, dass Kalbfleisch weiß oder bestenfalls hellrosa sein müsse. Derart helles Kalbfleisch gibt es tatsächlich. Allerdings nur, wenn die Kälber ihr kurzes Leben lang ausschließlich Milch bekommen. Eine artgerechte Aufzucht der Kälber bedeutet jedoch, dass sie nach einigen Wochen erstes Gras probieren können und sich dann von Muttermilch und Gras ernähren. Wenn sie geschlachtet werden, ist ihr Fleisch nicht mehr weiß, sondern deutlich dunkler, zum Teil fast so rot wie Rindfleisch. Für dieses Imageproblem gibt es keine Patentlösung. Gegen die hohe Zahl überschüssiger Kälber liefert die Uni Hohenheim immerhin Ansätze.

Viel Milch, wenig Kalbfleisch

Konsum
 Milchprodukte verzehren Deutsche gerne. Überwiegend in Form von Milch (47,8 Kilo jährlich), Joghurt und Milchmischgetränken (29,1 Kilo), Käse (25,3 Kilo), Butter (6,1 Kilo), Sahne (5,3 Kilo), wie Zahlen des Milchindustrieverbands für 2021 ergeben.

Tendenz
 Kalbfleisch spielt in der deutschen Ernährung eine so geringe Rolle, dass es in den Statistiken zum Rindfleisch hinzugerechnet wird. Im Jahr 2021 aßen Menschen hierzulande laut Bundeslandwirtschaftsministerium 9,4 Kilogramm Kalbfleisch – Tendenz fallend.