Näher dran am "Museum des Jahres": Kolumba-Direktor Stefan Gast als Gast von "Über Kunst". Mehr Impressionen von der StN-Veranstaltung in unserer Bildergalerie - klicken Sie sich durch! Foto: Frank Kleinbach

Die Situation ist eine Ausnahme, der Ort ein besonderer, die Strategie außergewöhnlich – 2013 war das Kolumba in Köln „Museum des Jahres“. Direktor Stefan Kraus war am Dienstag Gast in der StN-Gesprächsreihe „Über Kunst“ in der Galerie Klaus Gerrit Friese in Stuttgart.

Die Situation ist eine Ausnahme, der Ort ein besonderer, die Strategie außergewöhnlich – 2013 war das Kolumba in Köln „Museum des Jahres“. Direktor Stefan Kraus war am Dienstag Gast in der Gesprächsreihe „Über Kunst“ der „Stuttgarter Nachrichten“ in der Galerie Klaus Gerrit Friese in Stuttgart.

Kunst ist Liturgie

Schon 1853 entstand Kolumba als Museum des christlichen Kunstvereins im Erzbistum Köln; bis heute steht das Haus unter dessen Trägerschaft. Das ist ungewöhnlich, allein schon weil das Museum über große Bestände zeitgenössischer Kunst verfügt. Wie weit kann man dabei gehen? Die Ausstellung des Jahres 2013 „Art is Liturgy: Paul Thek und die anderen“ sei die „heikelste Ausstellung“ gewesen, sagt Kolumba-Direktor Stefan Kraus im Gespräch mit Nikolai B. Forstbauer, Kultur-Ressortleiter unserer Zeitung. „Art is Liturgy“ zog einerseits Parallelen zwischen Kunst und katholischer Liturgie und widmete sich andererseits mit einem umfassenden Werkblock von Paul Thek dem Schaffen eines homosexuellen Künstlers. Der Ausstellungstitel ist für den 1960 geborenen Stefan Kraus programmatisch. „Kunst ist Liturgie – aber sicher“, sagt er – und die Liturgie sei die Kunstform der Kirche

Der Weg zum Neubau

Der unkonventionelle Umgang mit christlicher Tradition und Geschichte bildet sich im Kolumba auch architektonisch ab. Der ursprüngliche Museumsbau wurde im Zweiten Weltkrieg nahezu vollständig zerstört, lediglich eine Madonna des 15. Jahrhunderts blieb erhalten, erlangte in der unmittelbaren Nachkriegszeit Symbolkraft als „Madonna in den Trümmern“. 1947 schuf der Kölner Architekt Gottfried Böhm eine Kapelle für diese Madonna; 60 Jahre später, am 15. Dezember 2007, wurde der von Peter Zumthor gestaltete Neubau des Museums eingeweiht. „Es war ein radikaler Entwurf“, sagt Kraus. Gleichwohl auch das Ergebnis der Vorarbeiten. „Wir hatten“, sagt Kraus, „zwei klare und präzise Vorgaben: nichts von der erhaltenen Substanz sollte verworfen werden, aber auch nichts sollte rekonstruiert werden, jede Lösung sollte zeitgenössisch sein“.

Der Schweizer Zumthor setzte sich über zeitgenössische Tendenzen hinweg, antwortete mit einer einfachen Geste, einem Rückgriff auf das Mittelalter: „Er baute auf dem Vorhandenen einfach weiter.“ Was den Statikern den Schlaf raubte, ist heute ein Markenzeichen – das Kolumba gilt als „vertikales Museum“, das sowohl architektonisch als auch kunsthistorisch einen Schnitt durch die Zeit sichtbar macht. „Mich fasziniert die Vorstellung, dass die Archäologen hier noch tiefer gegraben haben“, sagt Kraus. „Sie haben die Reste einer dreieinhalb Jahrtausende alten Feuerstelle gefunden. Wir sind nur ein Teil einer langen Geschichte.“

Der eigene Weg

Die Geschichte des Neubaus mit einer Vorlaufzeit von 17 Jahren und einer unmittelbaren Planungszeit von fünf Jahren hat Stefan Kraus von Anbeginn erlebt. 2008 wurde er zum Direktor des Museums ernannt, begleitet hatte er seine Entstehung schon seit 1991. Als Bau wiederholt mit Architekturpreisen geehrt, entschied 2013 auch der Internationale Kunstkritikerverband: Kolumba ist „Museum des Jahres“.

Die Ehrung, glaubt Stefan Kraus, gelte dem eigenen Weg, dem langen Atem – und auch der Konsequenz. „Wer von einem Museum erwartet, dass es sich selbst tragen kann, ist auf dem Holzweg“, betont Kraus mit Blick auf die Diskussion über öffentliche Kunstmuseen. Er verweist auf den Louvre in Paris, der seinen hohen Besucherzahlen von 30 000 Gästen am Tag zum Trotz noch immer ein Zuschussbetrieb ist. Die Erwartung der Selbstträgerschaft, sagt Kraus, prägte ein Museum als Ort auf nachteilige Weise. Die Konsequenz für Kolumba: Kein Café findet sich im Haus, kein Shop. Die Museumsarbeit kann ohne Druck stattfinden, die Kunstvermittlung kann neue Wege gehen.

Das bedeutet auch: geführte Rundgänge finden in diesem Museum nur vor 12 Uhr und nach 17 Uhr statt. Während der allgemeinen Öffnungszeiten soll nichts das Erleben der Kunst selbst stören. Entsprechend gehört auch dies zu Kolumba: Die Werke werden nicht beschildert, auch einen Audio-Guide gibt es nicht. Dafür versorgt ein kleines Heft („quasi die Eintrittskarte“) die Besucher mit Informationen zu den Werken. Dass sie es manchmal in der Tasche lassen, ist beabsichtigt: „Jeder Besucher“, sagt Kraus, „sollte eine Chance haben, vor einem Bild Fragen zu stellen und ein Verhältnis zu diesem Ding aufzubauen.“

Das Schwere, das Einfache

Jedes Kunstwerk, sagt Stefan Kraus, besitze Sinnstrukturen, in jedem Kunstwerk sei die Vermittlung bereits angelegt: „Als Kunsthistoriker sollte man der im Werk liegenden Vermittlung eine Chance geben. Das sollte das Selbstverständlichste sein: Dass man sich bemüht, das Werk erlebbar zu machen.“ Allerdings, dies räumt er ein: „Das Einfachste zu erreichen ist häufig das Schwerste.“ Unabdingbar dabei ist es für ihn, die „Totalversorgung des Besuchers“ im Museum zu hinterfragen. Jedoch: Keine Zugeständnisse an den kommerziellen Museumsbetrieb zu machen ist nur möglich, wenn es einen Träger gibt, der dem Museum Freiheiten einräumt. Der Träger der Kolumba ist das Erzbistum Köln. Das Verhältnis von Kunst und Kirche spielt in diesem Gespräch entsprechend eine wichtige Rolle.

Kunst und Spiritualität

Stefan Kraus sieht die Kunst auch dann, wenn sie gänzlich säkular auftritt, immer von einem religiösen Moment durchdrungen: „Die Spiritualität ist den Künstlern niemals abhandengekommen“, sagt er – nur die Kunstszene sei zu manchen Zeiten nicht willens gewesen, dies zu erkennen. Immer, wenn religiöse Bezüge in einem Werk sichtbar zu werden scheinen, wie bei den Verhüllungen Christos, fragt Kraus aber auch, ob dies tatsächlich der Fall ist, ob wirklich zitiert wird oder der Bezug nicht tiefer im Menschlichen selbst zu suchen sei: „Alles, was in den Religionen sichtbar wird“, sagt er, „hat seine Form ja gefunden durch ein Bedürfnis, das lange vorher schon da war.“

Wenn ein Kardinal, sonst weit entfernt von solchen Gedankengängen, sich mit religiösen Bezügen in der Arbeit von Joseph Beuys auseinandersetzt und deren Ernsthaftigkeit anerkennt, dann ist das für den Kunsthistoriker im Dienst der Kirche ein Hoffnungsschimmer. Und das Verdienst des Respekts zwischen Kunst und Kirche.