Nordrhein-Westfalen hat vor etwa zwei Jahren mobile Sichtschutzwände für Unfälle auf Autobahnen angeschafft. In Baden-Württemberg arbeiten die Rettungskräfte im Notfall mit Decken. Foto: dpa

Das Bedürfnis der Generation Smartphone, alles zu fotografieren, sorgt bei Unglücken für Probleme. Doch die Rettungskräfte haben Besseres zu tun, als gegen widerspenstige Schaulustige vorzugehen.

Stuttgart - Ein Bild , so heißt es, sage mehr als tausend Worte. Wenn aber Bild auf Bild folgt – und das ohne Unterlass – ist man vielleicht einfach nur in einem schlechten Film. Das Fotografieren mit dem Smartphone ist zum Massenphänomen geworden – und damit auch zu einer Seuche. Auf Konzerten kommt man sich schon blöd vor, wenn man einfach nur die Musik genießen will, ohne ein Handy in die Höhe zu halten. Einen spektakulären Sonnenuntergang fotografieren viele inzwischen lieber als ihn zu erleben. Das Erlebnis selbst scheint nicht mehr wichtig zu sein. Entscheidend ist, mit einem Foto beweisen zu können, dass man dabei war.

Rettungskräfte klagen

Was im Alltag zwar ärgerlich, letztlich aber harmlos ist, kann bei Unfällen oder Unglücken zu einem ernsten Problem werden. Neugier und Sensationslust gab es schon immer. Das Handy samt eingebauter Kamera aber hat die Gafferei deutlich problematischer gemacht. Rettungskräfte beklagen seit Jahren zunehmende Behinderungen durch Schaulustige, die nicht mehr einfach nur schauen, sondern auch noch um die beste Position für ein gutes Foto rangeln. Als gäbe es ein Recht darauf, das Unglück fremder Leute zur persönlichen Verwendung zu fotografieren, legen sich einzelne Gaffer sogar mit den Rettungskräften an. Mühsam müssen Sichtschutzwände hochgezogen und gesichert werden, um die Würde der Opfer wenigstens einigermaßen zu schützen – als hätten die Rettungskräfte im Einsatz nichts Besseres zu tun.

Politiker handeln

Die Gesetze wurden bereits verschärft. Seit Ende Mai können Gaffer, die Rettungskräfte behindern oder gar attackieren, härter bestraft werden. Insofern ist die neuerliche Diskussion über härtere Strafen gegen Gaffer, wie sie nun nach dem schweren Busunglück auf der A 9 aufgekommen ist, mit Vorsicht zu genießen. Kaum vorstellbar, dass die Politik nach so kurzer Zeit die Strafen für Gaffer weiter erhöht. Zumal der Fall in Oberfranken eher ein Beleg dafür ist, dass mit höheren Strafen allein dem Phänomen nicht beizukommen ist. Rettungskräfte und Polizei haben schon vor der letzten Verschärfung darauf hingewiesen, dass sie im Notfall anderes zu tun haben als nach dem Motto „Handy hoch!“ gegen renitente Schaulustige vorzugehen.

Diskussion über Rettungsgassen

Worum es am kommenden Freitag im Bundesrat einzig noch geht, ist die Frage, um wie viel man die Strafen für jene erhöhen soll, die nicht beim Bilden einer Rettungsgasse mitmachen. Dies – und weniger die Gaffer – war eines der Probleme beim Busunfall auf der A 9. Unter dem Eindruck des Flammeninfernos wird die Länderkammer vermutlich eine deutliche Erhöhung der Strafen auf bis zu 165 Euro fordern. Das mag gerechtfertigt sein, wenn man ins Nachbarland Österreich schaut, wo ein solches Fehlverhalten sogar mit bis zu 2180 Euro geahndet wird. Allerdings werden die Fahrer auf Österreichs Autobahnen mit Schildern auch sehr viel öfter und eindringlicher darauf hingewiesen, wie wichtig im Unglücksfall das Bilden einer Rettungsgasse ist.

So bildet man eine Rettungsgasse:

Nicht jeder ist ein Gaffer

Auch wenn gerade Wahlkampf ist: Es gilt zu differenzieren. Nicht jeder Autofahrer, der herunterbremst, weil auf der Gegenfahrbahn ein Bus lichterloh brennt, ist gleich ein Gaffer. Vielleicht haben ihm starke Rauchschwaden die Sicht genommen, vielleicht hat er sich nur erschreckt. Politik und Polizei sollten sich auf die Fälle konzentrieren, bei denen die Rettungskräfte eindeutig und mutwillig behindert werden. Und diese Fälle dann in aller Deutlichkeit auch anprangern. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hat das Verhalten einzelner Autofahrer beim Busunglück auf der A 9 „beschämend“ genannt. In dem Fall sagt ein Wort vielleicht mehr als tausend Bilder.

rainer.wehaus@stuttgarter-nachrichten.de