Auch von hinten: diesen Mann erkennt man sofort. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Hits im Überfluss und eine turbulente Show: Udo Lindenberg hat am Samstag in der Schleyerhalle einfach da weitergemacht, wo er vor einem Jahr beim Open Air in der Benz-Arena aufgehört hatte.

Stuttgart - Nur keine Panik, es gibt immer neue Chancen, hinterm Horizont geht’s weiter. Kaum jemand in der deutschen Musikszene weiß das nach über fünfzig Berufsjahren mit vielen Auf’s und Ab’s so gut wie Udo Lindenberg – und keiner verkörpert diese Haltung zwischen Pragmatismus und Optimismus so überzeugend wie dieser formvollendet zerknautschte Herr aus dem Hamburger Hotel Atlantic, der einfach immer weiter schippert über den großen Ozean des Lebens.

Kaum zwölf Monate nach seinem letzten Abstecher hat Deutschlands dienstältester Rockmusiker nun erneut in Stuttgart angelegt und macht einfach dort weiter, wo er vergangenes Jahr aufgehört hat. Damals begeisterte Udo in der Mercedes-Benz-Arena, nun geht es nebenan in der Schleyerhalle auf die nächste Etappe seiner langen Reise: mit einer Show, die als downgesizte Version der Stadiontournee funktioniert, aber auch als deren Update. Alles ist kleiner, vieles gleich und manches anders – aber die Sache funktioniert auch diesmal wieder glänzend.

Die Rahmenelemente sind dieselben, wieder schwebt Udo mit Schlapphut und Sonnenbrille per Gitterkäfig hoch über den Köpfen der Zuschauer auf eine als maritimes Szenario angerichtete Bühne. Sein Rockdampfer, die „Andrea Doria“, kämpft gegen gewaltig aufgepeitschte Wellen, die Crew ist schon an Deck, der Kapitän nimmt seinen Posten ein – und dann geht es mit voller Kraft voraus hinein in den Herbst der Karriere. Bei „Cello“ segelt ein rotes LED-Cello inklusive dreier Burlesque-Tänzerinnen durch die Luft, zu „Gerhard Gösebrecht“ seilen sich Aliens aus dem Inneren eines UFO auf einen in den Innenraum hineingebauten Laufsteg ab, zum Finale wird Major Udo den Raumanzug anlegen und als „Udonaut“ den Abflug machen.

Die Pustefix-Bläser bekommen deutlich mehr Spielzeit

All das gab es bereits vergangenes Jahr auf großer Open-air-Bühne zu sehen, weniger Spaß macht die Sache deswegen aber nicht. Doch wurde an einigen Stellen durchaus adaptiert und nachjustiert. Eine zweistellig besetzte Band mit dem Panikorchester als Herzstück – Bassist Steffi Stephan, Schlagzeuger Bertram Engel und Keyboarder Jean-Jacques Kravetz – steckt Songs wie „Mein Ding“ oder „Einer muss den Job ja machen“ in ein kerniges Rockgewand, das noch derber gestrickt ist als vergangenes Jahr nebenan, die Pustefix-Bläser bekommen etwas mehr Spielzeit, die sie prächtig zu nutzen wissen, ein in Stuttgart gelandeter Kumpel und Straßenmusiker bekommt einen kurzen Auftritt fürs Leben. Zudem wurden etliche Lieder im Programm ausgetauscht. Das macht aus diesem Abend keine grundsätzlich neue Angelegenheit, aber man sieht und hört eben auch nicht nur eine bloße Wiederholung der 2016er-Show, sondern deren Weiterentwicklung.

Denn es hat sich einiges getan seither, die Fieberkurve des Hasses ist nochmals angestiegen in dieser Welt. Zu „Straßenfieber“ erscheint auf der Videowand das Gruselkabinett der aktuellen Hetzer und Seelenvergifter, das mit Petry, Le Pen und Putin anfängt und bei Wilders, Trump und Orban längst noch nicht aufhört, die Regie hat ihnen Clownshüte aufgesetzt. Als Antwort darauf wird die „Bunte Republik Deutschland“ ausgerufen, Max Herre vom Freundeskreis gibt den rappenden Einpeitscher.

Udo muss noch mal nachgurgeln mit Eierlikör

Und nicht zuletzt ist auch Lindenberg wieder einen Tick älter geworden, und irgendwann zählen die Jahre einfach doppelt. „Die Stimme passt noch nicht so gut“, nölt Udo irgendwann – „ist ja auch noch früh am Tag. Ich glaub, ich muss noch ein bisschen mit Eierlikör nachgurgeln“. Natürlich bleibt er beim Mineralwasser.

Und Lindenberg durchturnt den Abend mit unverändert bemerkenswerter Beinarbeit. Auf der Riesenleinwand wechseln derweil Videoclips mit Computeranimationen und Bildern aus fünfzig Lindi-Jahren, über der Bühne baumelt ein Querträger, auf dem sich weitere Tänzerinnen rekeln, unten schippert ein Schlauchboot inklusive Gorilla als Konfettischleuder durch den Innenraum. Auf der Bühne tummeln sich dazu mitunter 30, 35 Sänger, Tänzer und Komparsen gleichzeitig, und wenn dann bei „Wozu sind Kriege da“ oder „Honky Tonky Show“ auch noch der obligatorische Kinderchor hinzukommt, wird es dort schon mal eng.

Am Rand der Reizüberflutung biegt dieser rasante Abend mit „Eldorado“ schließlich auf die Zielgerade ein: ein Chanson über vermeintliche Paradiese, die sich doch oft nur als billige Zockerbuden entpuppen. Die Sehnsuchtsorte dieses großen Rockmelancholikers sind nicht die Casinos von Las Vegas. Es sind die Bühnen dieser Welt, dorthin zieht es Udo Lindenberg immer wieder – weiter, immer weiter.