Die Wirtschaftsvertreter müssen sich mehr in gesellschaftliche Debatten einmischen, sagt Thomas Bürkle, der neue Präsident des Unternehmerverbands Baden-Württemberg (UBW).
Thomas Bürkle, seit knapp drei Monaten an der Spitze des Unternehmerverbandes Baden-Württemberg (UBW), setzt einen neuen Ton – als Mann des Handwerks.
Herr Bürkle, erstmals steht kein Vertreter der Metall- und Elektroindustrie den UBW vor. Was ist das für ein Signal?
Ich komme zwar aus dem Elektrohandwerk, sehe das aber gar nicht als Signal. Das sehen andere viel mehr als ich. Für mich zählt, dass der Wirtschaftsstandort gut ist – und das ist der Fall, wenn Industrie, Handwerk, Handel sowie Dienstleistungen zusammenkommen und erfolgreich sind.
Spielt die Industrie für die Bundesregierung eine übermäßige Rolle – vor allem mit Blick auf die staatliche Förderung?
Das glaube ich nicht. Wenn ich eine starke Industrie habe, habe ich meistens auch ein starkes Handwerk und einen starken Handel dahinter. Ich sehe den Gegensatz nicht so dramatisch, da wird viel herbeigeredet. Meine Überzeugung ist, dass wir alles in einem ausgewogenen Maß brauchen. Wenn hier Industriearbeitsplätze abgebaut werden, wird das Handwerk dies auch spüren. Früher hatten wir nur ein gemeinsames Thema: den Fachkräftemangel – der ist immer noch ein Problem, aber jetzt haben wir noch 1000 gemeinsame Probleme mehr.
Arbeitgeberverband und IG Metall bemühen sich demonstrativ um den Schulterschluss. Haben die Sozialpartner die Krisenbewältigung überhaupt noch selbst in der Hand?
Nein, die haben sie nicht allein in der Hand. Die Politik hat sie in der Hand, die Sozialpartner können einen gewissen Einfluss ausüben. Wenn wir eine große Abwanderung von Unternehmen sehen, müssen sich die Sozialpartner aber überlegen, was sie gemeinsam dagegen unternehmen können. Genau an diesem Punkt sind wir jetzt. Sie werden sicher hart miteinander verhandeln müssen, nachdem sie in der Vergangenheit vielleicht zu viele Goodies gegeben haben.
Die Arbeitgeber haben ihren Anteil an hohen Lohnsteigerungen?
Die Arbeitgeber haben sie vielleicht manchmal zu schnell zugelassen. Aber später zurückzuschauen, ist immer sehr einfach. Heute lässt sich locker über zu hohe Lohnabschlüsse in der Vergangenheit reden. Wenn ich damals hätte verhandeln müssen, weiß ich nicht, ob ich es schon so gesehen hätte wie jetzt. Wir sind zu schnell nach vorne gewandert, aber Arbeitskosten werden nicht nur von Lohnabschlüssen beeinflusst.
Folgt die Konfrontation mit den Gewerkschaften nicht zwangsläufig, wenn die Arbeitgeber Kostensenkungen durchsetzen wollen?
Ich hoffe nicht, dass wir irgendwann Verteilungskämpfe führen, weiß aber, dass die Gewerkschaften schon an anderen Stellen zu Kompromissen bereit waren. Wir werden keine so hohen Lohnsteigerungen mehr haben können; dazu sind viele Arbeitnehmer auch bereit. Jetzt müssen wir eine gewisse Normalität einziehen lassen. Die Regierung allein wird es nicht richten. Wir werden auch grundsätzliche Einstellungen ändern müssen. Beispielsweise weiß ich nicht, ob es viermal im Jahr in den Urlaub gehen muss.
Das Image der Wirtschaft wird dadurch geprägt, dass namhafte Konzerne massiven Stellenabbau betreiben. Besorgt Sie der Abbau?
Natürlich besorgt mich das. Das ist ein Teil der Transformation und Ausdruck unserer Standortprobleme, die wir seit 15 Jahren haben, wenn wir ehrlich sind. Es gab zwischenzeitlich Sondereffekte, die das verdeckt haben. Jetzt müssen wir über die Grundlagen unserer Gesellschaft neu nachdenken.
Der Personalabbau wirkt so, als ob die Wirtschaft sich einfach ihrer Verantwortung erledigt?
Als Unternehmer muss ich als Erstes nach meinem Unternehmen schauen; dann kommen meine Mitarbeiter und dann erst kommt die Gesellschaft. Die Konzerne haben uns jahrelang oben gehalten, aber wir wissen auch, dass sie schneller und anders reagieren. Wenn Sie mich fragen, was wir als Unternehmer falsch gemacht haben: Wir waren zu leise. Wir haben uns zwar immer in die Politik eingemischt und werden dort gehört. Aber wir waren in der Gesellschaft zu leise. Wir haben zu wenig Warnungen ausgesandt und hätten früher bei manchen Entwicklungen dagegenhalten müssen. Hier geht es um Einstellungs- und Haltungsfragen – also das Mindset, wie man heute dazu sagt.
Sehen Sie in der Regierung Bewegung bei der Arbeitszeit, deren Flexibilisierung ein wichtiges Arbeitgeberziel ist?
Ja, das Verständnis wächst. Es wird da wohl was kommen von der Bundesregierung. Sicher ist: Wir werden älter und müssen daher länger arbeiten, so einfach ist die Welt.
Braucht es die Rente mit 70?
Die heutige Grenze muss auf jeden Fall nach oben geschoben werden. Ich würde das aber nicht auf alle Leute gleichermaßen ausbreiten. Die Frage ist doch, ob einer erst 35 oder schon 50 Jahre gearbeitet hat und wie lange er in die Rentenkasse eingezahlt hat. Ich selbst habe studiert, aber ich habe auch nebenher gearbeitet. Und natürlich gibt es körperlich schwere und weniger schwere Arbeiten, das sind wir uns einig.
Ist die Aktivrente – also der steuerfreie Hinzuverdienst bis zu 2000 Euro pro Monat – ein gutes Instrument?
Das geht in die richtige Richtung. Wir haben dies schon vom früheren Wirtschaftsminister Habeck gefordert, jetzt kriegen wir es. In meinem Betrieb habe ich jetzt fünf, sechs gute Leute relativ schnell verloren, weil die alle ins Rentenalter kamen. Die hätten länger gemacht, wenn es sich gelohnt hätte. Wenn es sich nicht lohnt, muss ich schon die Frage stellen, warum ein Beschäftigter das machen soll. Viele haben die Lust, länger zu arbeiten und sehen dann auf der Abrechnung, dass sie quasi umsonst arbeiten. Dies halte ich auch nicht für spaßig. Ein weiterer Punkt wäre zu überlegen, ob nicht mehr Menschen in der fortgeschrittenen Berufsphase noch mal für zehn oder mehr Jahre einen zweiten Beruf ausprobieren. Ich umschreib das mal so: Wenn einer sein Leben lang am Schreibtisch einsam war und würde gerne in die Gastronomie wechseln – warum denn bitte nicht? Dann macht ihn das vielleicht glücklicher. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass es politisch betrachtet widersprüchlich ist, auf der einen Seite Anreize zur Frühverrentung zu setzen – Stichwort Rente ab 63 – und auf der anderen Seite steuerfinanzierte Anreize fürs Weiterarbeiten einzuführen. Zudem ist es schwer vorhersehbar, ob die Steuerfreiheit tatsächlich zu einem signifikanten Anstieg der Erwerbstätigkeit Älterer führt.
Wo sind die Jobs für Berufswechsler?
Die Jobs haben wir ja, auch im Handwerk. Wir denken da nur zu sehr in Schubladen. Das stört mich, ganz ehrlich.
Großunternehmen schicken ältere Beschäftigte mit Abfindungsprogrammen in die vorzeitige Rente, während der Verband für längeres Arbeiten wirbt – geht das?
Ältere Beschäftigte kosten vielleicht mehr als jüngere. Darüber muss man mal nachdenken, wie wir dies zukünftig in Lohnabschlüssen berücksichtigen. Ich kenne aber auch Unternehmen, die ein Werk aufgebaut und die Älteren wieder eingestellt haben, weil sie festgestellt haben, dass mit dem Ausscheiden Älterer auch viel Wissen verloren geht.
Sie sind skeptisch, ob es richtig ist, vor allem ältere Beschäftigte freizusetzen?
Ja, da habe ich eine gewisse Skepsis. Ich muss nicht mit allem einverstanden sein.
In vielen Führungspositionen
Funktionär
Der umtriebige Thomas Bürkle (59) hat viele Ämter, vor allem im Handwerk – als Präsident des Landesfachverbands Elektro- und Informationstechnik oder Vizepräsident von Handwerk BW zum Beispiel. An der Spitze der Unternehmer Baden-Württemberg folgte er auf Rainer Dulger.
Unternehmer
Mit Stefan und Klaus Bürkle führt der gebürtige Stuttgarter die traditionsreiche Firma Bürkle & Schöck Elektro-Anlagen in dritter Generation.