Dauerbrenner: Ex-Ministerpräsident Stefan Mappus und der EnBW-Deal. Foto: dpa

Das Drama um die Aufklärung des EnBW-Deals geht weiter. Nun gibt es auch erhebliche Zweifel an einem Gutachten, das Grün-Rot zu dem Aktien-Deal in Auftrag gegeben hatte. Erneut soll es Rechenfehler geben.

Das Drama um die Aufklärung des EnBW-Deals geht weiter. Nun gibt es auch erhebliche Zweifel an einem Gutachten, das Grün-Rot zu dem Aktien-Deal in Auftrag gegeben hatte. Erneut soll es Rechenfehler geben.

Stuttgart/Lugano - Wenn alles nach Plan gelaufen wäre, dann lägen die Akten des EnBW-Untersuchungsausschusses längst im Archiv des Landtags. Noch vor wenigen Monaten konnte man davon ausgehen, dass das milliardenschwere Aktiengeschäft des ehemaligen Ministerpräsidenten Stefan Mappus mit dem französischen Energiekonzern EdF vom Dezember 2010 zur Jahreswende 2013/2014 niemanden mehr interessiert. Doch das hat sich in den vergangenen Wochen schlagartig geändert, seitdem mehrere Gutachten den Mappus-Deal neu bewerten. Erst untersuchte der Münchner Finanzwissenschaftler Wolfgang Ballwieser das Geschäft im Auftrag der Staatsanwaltschaft Stuttgart und kam zu dem Schluss, Mappus habe damals 780 Millionen Euro zu viel an die Franzosen überwiesen. Dann kam der Basler Wirtschaftswissenschaftler Henner Schierenbeck in seiner Analyse zum gegensätzlichen Ergebnis, wonach der damals bezahlte Kaufpreis von 41,50 Euro sehr wohl „angemessen“ gewesen sei, Ballwieser habe sich vielmehr um eine Milliarde Euro verrechnet. Und nun kommt neuer Zündstoff hinzu. Nach Recherchen unserer Zeitung erhebt Eric Nowak, Professor für Finanzmanagement und Rechnungswesen an der Uni Lugano, in einem neuen Gutachten schwere Vorwürfe gegen Martin Jonas, Gutachter der grün-roten Landesregierung.

Das Gutachten von Jonas vom Sommer 2012, so Nowak, „weicht an vielen Stellen von allgemein anerkannten Bewertungsstandards ab“, enthalte „eine Reihe von gravierenden Rechenfehlern sowie methodischen Fehlern“ und sei somit „keine objektivierte Unternehmensbewertung“. Allein die Rechenfehler zum Nachteil der EnBW würden rund 1,1 Milliarden Euro betragen.

Besonders pikant: Ballwieser und Jonas kennen sich seit Jahren, machen gemeinsam Veranstaltungen. Und haben sich im Zusammenhang mit ihren Gutachten offenbar ausgetauscht. Denn Ballwieser baut in seinem Gutachten an manchen Stellen auf Daten von Jonas auf. Er macht sogar auf den Rechenfehler aufmerksam, den Jonas sich geleistet habe. Da sei „das numerische Ergebnis nicht nachvollziehbar“, so Ballwieser.

Sind beide Gutachten also „nicht das Papier wert, auf dem sie stehen“, wie es ein Insider am Mittwoch im Landtag formuliert? Fakt ist: Für die Aufklärung des knapp fünf Milliarden Euro teuren EnBW-Deals gleicht Nowaks Analyse – sie entstand im Auftrag der Anwälte von Dirk Notheis, der bei dem EnBW-Deal die Fäden für Mappus zog – einem Sprengsatz. Denn Jonas ist eine zentrale Figur in dem Fall. Der Experte aus der Düsseldorfer Kanzlei Warth & Klein hatte im Auftrag von Grün-Rot den Aktien-Deal untersucht und war zu dem Ergebnis gekommen, Mappus habe das Geschäft weit überteuert abgeschlossen, die Aktie habe nur einen Wert von 34,09 Euro gehabt. Grün-Rot beschloss daraufhin, vor das Schiedsgericht der Internationalen Handelskammer zu ziehen und die EdF auf Rückzahlung von rund 800 Millionen Euro aus dem Kaufpreis zu verklagen.

Was aber geschieht nun mit dem laufenden Verfahren, wenn sich Jonas verrechnet haben sollte? Erst vergangene Woche trafen sich Grün-Rot und EdF zur ersten Verhandlung in Zürich. Freilich ergebnislos. Finanzminister Nils Schmid (SPD) hatte sich wiederholt zuversichtlich gezeigt, dass man „zu viel bezahltes Steuergeld nach Baden-Württemberg zurückholt“. Sollte das Jonas-Gutachten fehlerhaft sein, dürfte Schmid aber in Erklärungsnot geraten. Immerhin hatte Grün-Rot seine Klage gegen die EdF allein auf dem Jonas-Gutachten aufgebaut.

Doch Nowak, Jahrgang 1970, einst Schüler in Salem, später mal Kurzzeit-Professor an der Uni Hohenheim, seziert auf 44 Seiten das Jonas-Gutachten regelrecht. Das Ergebnis: Die Behauptung von Grün-Rot, Mappus habe zu viel bezahlt, sei falsch und könne widerlegt werden. Die EnBW-Aktie hätte Ende Dezember 2010 einen Minimalwert von „rund 43 Euro“ gehabt, bei „Korrektur aller Fehler sogar einen Wert von rund 70 Euro“ haben müssen, schreibt Nowak in dem Gutachten, das unserer Zeitung vorliegt. Sein Fazit: „Für die Würdigung des Kaufpreises erachte ich eine absolute Wert-Untergrenze von rund 42 Euro.“ Zur Erinnerung: Mappus bezahlte 41,50 Euro pro Aktie an die EdF.

Welche Konsequenzen das Nowak-Gutachten haben wird? Die für diesen Freitag im Untersuchungsausschuss geplante Vernehmung von Ballwieser und Schierenbeck wurde mit der Mehrheit von Grünen und SPD kurzfristig abgesagt. Ein Schelm, der glaubt, das sei vor dem Hintergrund der Nowak-Analyse geschehen, die den Regierungspartnern nicht recht sein kann. Der mögliche Vorwurf, es handle es sich um eine Gefälligkeitsanalyse von Nowak für Notheis, dürfte jedenfalls verpuffen. Nowak gilt weltweit als unabhängiger Experte, und er war Sachverständiger der Bundesregierung für das neue Finanzmarktfördergesetz – zu einer Zeit, als Rot-Grün regierte.