Martin Kühn (Thomas Loibl, vorn) mit seinen Kollegen Thomas Steierer (Ronald Kukulies, Mitte) und Bernd Pollack (Nicholas Reinke, re.) und einer Leiche im Garten. Foto: WDR/Bernd Schuller

„Kühn hat zu tun“ (ARD, Mi, 20.15 Uhr) ist ein etwas sperriger Krimi nach einem Roman von Jan Weiler. Sehenswert ist der Film vor allem dank Thomas Loibl in der Titelrolle.

Köln - Krimis sind am „Film-Mittwoch im Ersten“ eher selten, erst recht vom WDR; der Kölner Sender ist in dieser Hinsicht mit den „Tatort“-Beiträgen aus Münster, Köln und Dortmund gut ausgelastet. Genau genommen ist „Kühn hat zu tun“, die etwas sperrige, aber vor allem wegen Titeldarsteller Thomas Loibl sehenswerte Adaption des gleichnamigen Romans von Jan Weiler, ohnehin vorwiegend ein Drama.

Kühn ist ein Instinktermittler, dem die Delinquenten nichts vormachen können. Wohltuender Ausgleich zur Welt des Verbrechens ist sein bislang beschauliches Leben in einer Vorortsiedlung. Ausgerechnet dort, quasi hinter seinem Garten, wird eine grausig zugerichtete Leiche gefunden; außerdem ist die kleine Emily entführt worden. Plötzlich gerät Kühns überschaubares Dasein aus den Fugen, und das nicht nur beruflich: Die Siedlung ist auf dem Gelände einer früheren Munitionsfabrik gebaut worden, die im Zweiten Weltkrieg chemische Kampfstoffe hergestellt hat. Im Keller eines Nachbarn (Oliver Stokowski) breitet sich bereits übel riechender Schimmel aus, und es wird sich zeigen, dass sich auch im Leben der Titelfigur die Vergangenheit auf unangenehme Weise in Erinnerung bringt.

Zunächst bekommt Kühn es jedoch mit Übelkeiten ganz anderer Art zu tun: Der neue Fußballtrainer des pubertierenden Sohnes entpuppt sich als Neonazi, der die Jungs dazu aufstachelt, den Laden eines griechischen Gemüsehändlers zu stürmen; die wieder aufgetauchte Emily hat der Polizei erzählt, ihr Entführer habe den gleichen Bart gehabt wie der Inhaber. Als Kühn von dem Nazi provoziert wird, brennen seine Sicherungen durch; jetzt droht ihm ein Verfahren wegen Körperverletzung im Amt und somit das Ende seiner Laufbahn.

Die offenherzige Frau Brunner betreibt einen erotischen Live-Chat

Einige der besten Filme von Volker Einrauch waren Tragikomödien wie die zuletzt gemeinsam mit seinem langjährigen Koautor Lothar Kurzawa geschriebene NDR-Krimikomödie „Tödliches Comeback“, aber er kann natürlich auch anders, wie etwa die ebenfalls für den WDR entstandenen rheinischen Heimatdramen „Teufelsbraten“ und „Aufbruch“ (2007/2016) bewiesen haben. Für Ralf Huettner gilt dasselbe. Zu den bekanntesten Arbeiten des Regisseurs zählt die Krimikomödientrilogie „Die Musterknaben“ (1997 bis 2003). Auch in „Kühn hat zu tun“ gibt es komische Momente, weil Loibl, viel beschäftigt, aber namentlich den meisten Zuschauern vermutlich kein Begriff, seine Rolle auch dank einiger witziger Einlagen lange Zeit in der Schwebe hält: Auf einem Parkplatz ist er derart gebannt vom Po einer Kundin, dass ihm entgeht, wie sich einer seiner soeben erworbenen Düngersäcke entleert. Später trifft er Frau Brunner (Kim Riedle) unverhofft wieder, weil er sie befragen muss; sie wohnt ebenfalls in der Nachbarschaft, betreibt einen erotischen Live-Chat und irritiert ihn mit ihrer Offenherzigkeit.

Umso größer ist der Kontrast zu den Szenen, in denen Einrauch und Huettner dafür sorgen, dass die Hauptfigur immer mehr die Kontrolle verliert, und zwar auch über ihr Seelenleben. Kühn, der sich vom Streifenpolizisten mit Realschulabschluss hochgearbeitet hat, wird zunehmend von Erinnerungsfetzen an seine Jugend heimgesucht; damals hat ihm ein Freund und Rivale mit dem Messer eine Wunde zugefügt, die bis heute seine linke Augenbraue teilt. Er hat keine Ahnung, dass sich diese Person erneut in sein Dasein drängt, aber er spürt, wie ihm die Dinge entgleiten. Die gern durch einen Tinnitus-Ton angekündigten Flashbacks, bei denen auch Musik eine ganz besondere Rolle spielt, beeinträchtigen seine Konzentrationsfähigkeit. Er hat das Gefühl, sein Speicher laufe über, und bricht schließlich mit Kreislaufkollaps zusammen. Geschickt streuen Einrauch und Huettner schon früh entsprechende Vorzeichen ein: das kaputte Display von Kühns Telefon, die gesprungene Scheibe in seinem Büro – und natürlich der Schimmelfleck, den er schließlich auch in seinem Keller entdeckt. All das steht im Gegensatz zu den Zwischenbildern, die die Siedlung aus der Vogelperspektive zeigen: Dutzende von gleichförmigen Häusern, alle in Reih’ und Glied.

Die Welt gerät zunehmend in Unordnung

Weil Kühns gewohnte Ordnung zunehmend durcheinander gerät, bringen ihn nun auch seine Mitmenschen aus dem Konzept: der nassforsche und überraschend junge neue Oberstaatsanwalt (Trystan Pütter), der Nachbar, der angesichts des Schimmels zum Wutbürger wird, die Eltern (Lisa Wagner, Robert Stadlober) von Emily, die auf die Entführung nicht etwa mit Verzweiflung, sondern aggressiv reagieren. Ganz zu schweigen von seinem Sohn (Cedric Linus Eich), für den ohnehin die Ausländer an allem schuld sind.

Schließlich stellt sich heraus, dass es in den vergangenen Jahrzehnten bereits acht Mordfälle wie jenen an dem alten Mann gegeben hat, und endlich wird Kühn klar, dass der Täter nicht nur aus der Nachbarschaft, sondern aus seinem eigenen Leben stammt. Die Konfrontation mit dem verdrängten Kindheitstrauma führt zu einem dramatischen Finale, für das Huettner mit dem oberbayerischen Walchenseekraftwerk einen reizvolleren Schauplatz gefunden hat als Weiler – im Roman findet die Konfrontation der Erzfeinde an der Nordsee statt. Der zwischenzeitlich bedrohlich gewachsene Schimmel in Kühns Keller verdeutlicht jedoch: Die Schlacht ist gewonnen, doch der Krieg gegen das Böse geht weiter.

ARD, Mi, 20.15 Uhr