Die sehr unterschiedlichen Schwestern Charlotte (Alwara Höfels, li.) und Erika (Anna Schudt) demonstrieren in Köln für das Recht auf Abtreibung. Foto: ZDF

Das Emanzipationsdrama „Aufbruch in die Freiheit“ im ZDF erzählt aus Zeiten, als die groteske Männervormacht zu bröckeln begann: Anna Schudt spielt eine Metzgersgattin aus der Provinz, die in den frühen Siebzigern ihren Ehemann verlässt.

Stuttgart - Es war eine der mutigsten öffentlichen Aktionen der frühen Siebziger: Unter der Schlagzeile „Wir haben abgetrieben!“ bekannten im Juni 1971 im „Stern“ 374 Frauen, viele von ihnen Prominente wie Senta Berger und Romy Schneider, eine Schwangerschaft abgebrochen zu haben; ein Vergehen, das damals mit bis zu fünf Jahren Gefängnis geahndet wurde. Eine dieser Frauen war Erika Gerlach – eine bis dahin eher verhuschte Metzgersgattin aus der linksrheinischen Provinz.

„Aufbruch in die Freiheit“ beginnt mit einem Arztbesuch: Erika erfährt, dass sie ihr viertes Kind erwartet. Aber sie ist aufgrund der Dreifachbelastung durch Haushalt, Mitarbeit in der Metzgerei und Kindererziehung schon jetzt am Ende ihrer Kräfte. Die Arzthelferin gibt ihr einen Tipp, und so greift sie in die Kasse und reist unter einem Vorwand nach Köln zu einem sogenannten Engelmacher; eine unerhörte Entscheidung für die damalige Zeit.

Ungleiche Schwestern

Dieser Schritt ist der erste, der sie aus der beengten Dorfwelt herausführt, und das nicht nur im räumlichen Sinn. Ihre Schwester Charlotte (Alwara Höfels) hat sich schon vor geraumer Zeit von der Provinz emanzipiert und lebt in einer Kölner Wohngemeinschaft. Die Feministin hat ohnehin nie verstanden, warum sich Erika so widerstandslos ihrem Mann Kurt (Christian Erdmann) unterordnet.

Was nach öffentlich-rechtlichen Lehrstück klingt, erzählt in der Umsetzung durch Grimme-Preisträgerin Isabel Kleefeld („Arnies Welt“) mit viel Empathie, wie eine gestandene Frau endlich zu sich selbst findet. Deshalb bietet „Aufbruch in die Freiheit“ auch jüngeren Zuschauerinnen einen starken Identifikationsansatz, zumal Alwara Höfels die ungleich modernere Figur der Schwester im Grunde wie eine Frau von heute spielt.

Angst um die Kinder

Die darstellerische Leistung von Anna Schudt ist umso eindrucksvoller, weil die Rolle ein ständiger Balanceakt ist: An der Seite des Gatten fühlt sich Erika unterdrückt, zumal Kurts Mutter (Anne Marie Fliegel) mit im selben Haushalt lebt. Aber als sie vorübergehend mit den drei Kindern zu Charlotte zieht, ist sie von der Freiheit prompt überfordert. Außerdem lebt sie in der ständigen Angst, die Kinder zu verlieren. Tatsächlich kommt es zum Prozess, bei dem Kurt prompt die „elterliche Gewalt“ für die Kinder übertragen wird.

Basis dieses Films, der gleichermaßen glaubwürdig das bedrückende Lebensgefühl in der Provinz wie auch die ansteckende Aufbruchstimmung in der Stadt vermittelt, ist ein Drehbuch (Andrea Stoll, Heike Fink, Ruth Olshan), das sich oft mit Andeutungen begnügt und zudem dafür sorgt, dass der Schein einige Male trügt.

Ab hinter die Fleischtheke

Der titelgebende „Aufbruch in die Freiheit“ bezieht sich auf die Hauptfigur, aber die neue Zeitwird fast noch stärker von der ältesten Tochter Ulrike repräsentiert. Die 14-Jährige ist Klassenbeste und möchte gern aufs Gymnasium wechseln. Als Ulrikes Lehrerin auf einen Sonntagskaffee zu den Gerlachs kommt, um Kurt davon zu überzeugen, kriegt der Mann einen mittleren Tobsuchtsanfall: Das Kind soll selbstverständlich hinter die Fleischtheke und später einmal die Metzgerei mit ihrem zukünftigen Mann betreiben. Gespielt wird Ulrike von Lene Oderich, die keinerlei Probleme hat, sich neben den erfahrenen Erwachsenen zu behaupten.

Zeitkolorit wird neben der Musik jener Jahre durch eine Demonstration gegen den Paragrafen 218 („Kinder oder keine bestimmen wir alleine“) erzeugt, bei der die Teilnehmerinnen „freien Zugang zu Verhütungsmitteln“ fordern. Jungen Zuschauerinnen müssen die Zustände, gegen die sich die Generation ihrer Großmütter aufgelehnt hat, wie tiefes Mittelaltererscheinen. Beinahe noch wirkungsvoller als die plakativen Parolen sind jene Momente, in denen Buch und Regie auf große Gesten und Wörter verzichten und ein Bild für sich sprechen lassen: Als Charlotte ihrer Schwester ausmalt, welche Zukunft sie erwartet, wenn sie zu Kurt zurückkehrt, zeigt der Film Erikas Schwiegermutter, die verbittert und allein in der leeren Wohnung sitzt.

Ausstrahlung: ZDF, 29. Oktober 2018, 20.15 Uhr