Doppelagentin Saskia Starke (Petra Schmidt-Schaller) gerät in einen Ausnahmezustand. Foto: rbb/ARD/Volker Roloff

Der Agenten-Thriller „Wendezeit“mit Petra Schmidt-Schaller ist spannend wie eine Geschichte von John le Carré.

Stuttgart/Berlin - Mauerbau, Mauerfall, Unrechtsstaat: In den Filmen, die in den letzten dreißig Jahren über die DDR gedreht worden sind, waren die Rollen von Gut und Böse in der Regel klar erkennbar; es sei denn, die Hauptfiguren waren Spione. Das ZDF hat 2017 in dem Dreiteiler „Der gleiche Himmel“ (am 3. Oktober ab 20.15 Uhr komplett auf 3Sat) die Geschichte eines sogenannten Romeos erzählt. Diese jungen Mitarbeiter der ostdeutschen Staatssicherheit sollten sich im Westen an alleinstehende Frauen ranmachen, die als Informantin interessant sein könnten. „Wendezeit“ handelt nun gewissermaßen von einer „Julia“: Mit Anfang zwanzig ist die Sozialistin Tatjana Leschke (Petra Schmidt-Schaller) im Auftrag der Stasi in die Identität der gleichaltrigen Saskia geschlüpft, die 1971 vom Westen in die DDR übergesiedelt ist. In dieser Rolle hat sie in Westberlin Amerikanistik studiert, einen Deutschamerikaner geheiratet und Kinder bekommen. Offiziell arbeitet sie im Herbst 1989 in der Amerikanischen Botschaft; inoffiziell für die CIA.

Nach außen eine ganz normale Mutter

Zunächst schildert die Autorin Silke Steiner das Leben einer Doppelagentin. Nach außen ist Saskia eine ganz normale Mutter, die regelmäßig Ärger mit ihrer pubertierenden Tochter bekommt. Als eine Botschaftskollegin ihr von einem Ostberliner Überläufer erzählt, der als Mitgift die Tarnidentität einer Spionin mitbringt, macht sie den Mann unschädlich. Zwischendurch blendet der Regisseur Sven Bohse immer wieder in die Vergangenheit zurück, um Tatjanas besonderes Verhältnis zu Markus Wolf (Robert Hunger-Bühler) zu beschreiben. Der Leiter der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) ist eine Art Ersatzvater; ihr leiblicher Vater (André M. Hennicke) hat sie schon früh auch mit drastischen Mitteln auf ihre Agentenlaufbahn vorbereitet.

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Das ist alles interessant und handwerklich auf hohem Niveau, schließlich zählt Bohse nicht zuletzt dank seiner Mehrteiler „Ku’damm 56“ und „Ku’damm 59“ zu den interessantesten deutschen Fernsehregisseuren. Richtig spannend wird „Wendezeit“, als die Handlung ihrem Titel gerecht wird und die Geschichte etwa zur Hälfte des Films quasi von vorn beginnt: Mit ungläubigem Staunen verfolgt Saskia, wie ihre Landsleute auf die Straße gehen und die Stasi-Zentrale stürmen. Dort lagert natürlich auch eine Akte mit den Klarnamen der Westagenten. Die Agentin könnte sich nach Russland absetzen, will aber ihre Familie nicht zurücklassen; Ehemann Richard (Harald Schrott) hat keine Ahnung von ihrem Doppelleben. Als die Stasi-Unterlagen nach Moskau transportiert werden sollen, sieht sie ihre Chance gekommen, sie fädelt einen riskanten Coup ein, bei dem sie beide Seiten an der Nase rumführen muss.

Einige ungelöste Rätsel

Petra Schmidt-Schaller verkörpert die Frau nicht nur mühelos über einen Zeitraum von knapp zwanzig Jahren, sie verleiht der Figur zudem einen enormen Facettenreichtum, und das nicht nur wegen der verschiedenen Verkleidungen, in die sie schlüpft. Auch charakterlich bedient die Schauspielerin ein breites Spektrum, sodass stets offen bleibt, welche ihrer Rollen die wahre ist. Hat sie tatsächlich Verständnis für ihre Landsleute, die in Leipzig für Freiheit und Demokratie auf die Straße gehen? Oder ist das alles nur Fassade, weil die in ihrer Jugend erfahrene Indoktrination letztlich stärker ist? Trotzdem gelingt es Schmidt-Schaller, Sympathie für Saskia zu wecken, obwohl sie über weite Strecken des Films keine Miene verzieht. Endgültig sehenswert wird „Wendezeit“ durch das bis heute ungelöste Rätsel um den verschwundenen Teil der „Rosenholz“-Akten. Der Name bezieht sich auf eine gleichnamige Aktion des Verfassungsschutzes, der 1993 bei der CIA Einsicht in jene Karteikarten nehmen durfte, auf denen die HVA die Namen ihrer Agenten notiert hatte. Bohse hat die Nacht-und-Nebel-Aktion, in deren Verlauf CIA-Mitarbeiter die Unterlagen kopieren, äußerst packend inszeniert. Das gilt erst recht für Saskias verzweifelten Versuch, jeden Hinweis auf ihre Identität zu löschen.

Mittwoch, 2. Oktober, 20.15 Uhr, ARD