Pfarrer Michael Kleim (Mitte) aus Gera kämpft mit Gemeinedemitgliedern gegen rechte Umtriebe in seiner Heimatstadt. Foto: NDR

Die ARD-Reportage „Kreuz ohne Haken“ stellt mutige Pfarrer vor, die nicht nur auf der Kanzel gegen den wachsenden Rechtsextremismus predigen. Sie mischt sich dazu aber auch unter Neonazis. Das ergibt fragwürdige Momente.

Stuttgart - Wat mutt, dat mutt“ sagt der theologisch engagierte Politikwissenschaftler Andreas Püttmann in dieser Reportage von Dominique Klughammer und Stefan Suchalla. Der Film ist eine Hommage an Kirchenmänner, die Gesicht zeigen und nicht nur auf der Kanzel gegen den Rechtsextremismus predigen. Einige dieser mutigen Pfarrer haben für ihr Engagement bereits bezahlen müssen: Der eine ist überfallen worden, beim anderen gab es einen Brandanschlag auf sein Haus; Hass-Mails und Drohbriefe haben sie alle schon bekommen.

Püttmann ergeht es nicht besser. Er berichtet von Telefonterror und Internetmobbing. Seine Gegner befinden sich auch innerhalb der Kirche, dort gebe es ebenfalls „einen rechten Rand“. Doch der größere Feind, der im Zweifel auch gewalttätig wird, lauert außerhalb: Für Rechtsextremisten, so Püttmann, sei die Kirche ein natürlicher Widersacher, weil sie sich traditionell schützend vor die Schwachen in der Gesellschaft stelle.

Selbst wagen, was man predigt

Klughammer und Suchalla sind für ihren Film kreuz und quer durchs Land gereist, ihre Protagonisten kommen aus Aldenhoven bei Aachen im Westen, aus Gera im Osten, aus der Lüneburger Heide im Norden. Der Pfarrer aus Aldenhoven, der nichtsahnend die Haustür geöffnet hat und niedergeschlagen worden ist, sagt, er könne doch nicht seiner Gemeinde predigen, sich nicht einschüchtern zu lassen, und dann selbst klein beigeben.

Die Reportage stellt aber auch Männer vor, die Widerspruch wecken: Der eine hat einst als Neonazi einen Menschen zu Tode geprügelt, im Gefängnis zu Gott gefunden und Theologie studiert; heute ist er freikirchlicher Pastor. Der andere ist Pfarrer im Ruhestand und war in NRW Landtagskandidat für die AfD.

Produziert wurde der Film von der Firma Eikon, deren größter Gesellschafter die Evangelische Kirche ist. Trotzdem betreibt die Reportage keine plumpe Lobhudelei in eigener Sache, selbst wenn die Gefahr für Leib und Leben der Kirchenmänner besonders betont wird: Obwohl die Pfarrer die entsprechenden Vorfälle lebendig beschreiben, hat das Autorenduo die Ereignisse aus unerfindlichen Gründen rekonstruiert; als Hauptdarsteller in eigener Sache spielen die Betroffenen die Angriffe noch einmal durch, aber diese Szenen sind überflüssig und bieten keinen Erkenntniswert.

Mehr Reichweite für rechte Aktionen

Ähnlich gestellt, aber deutlich ungelenker sind allerdings Aufnahmen ganz anderer Art, wie sie auch in Nachrichtensendungen regelmäßig auftauchen: Bevor es zum Interview kommt, wird der Gesprächspartner bei irgendeiner Beschäftigung gezeigt. Der Einfallsreichtum ist dabei äußerst überschaubar: Entweder sieht man die Leute auf dem Weg zu ihrem Büro oder beim Telefonieren. In diesem Film laufen sie überwiegend vor der Kamera herum und versuchen angestrengt, möglichst unbeteiligt auszusehen und vor allem nicht ins Objektiv zu schauen.

Während sich über diese Versatzstücke aus dem Reportagebaukasten noch hinwegsehen lässt, ist die Verwendung anderer Bilder mindestens fragwürdig. Der Film beginnt mit einer Aktion von Rechtsextremisten, die im Dezember letzten Jahres ein islamfeindliches Banner auf dem Turm der Dortmunder Reinoldi-Kirche angebracht und Leuchtraketen abgeschossen haben. Dass das Autorenpaar mit den Rechten gesprochen hat, ist eine Frage journalistischer Professionalität, selbst auf die Gefahr hin, dass einige dieser Leute sogar einen überraschend vernünftigen Eindruck machen. Aber es zeigt auch Videos von der Aktion, die die Neonazis selbst gedreht und ins Netz gestellt haben; die neue Reichweite wird die Rechten freuen.

Zum Ausgleich hat sich das Team als ähnlich mutig wie die Pfarrer erwiesen. Unter den Augen der Polizei eine Demonstration von Neonazis zu filmen und den zum Teil ziemlich zwielichtigen Gestalten dabei recht nahe zu kommen, ist das eine. Aber sich ohne Polizeischutz mit der Kamera in den unübersehbar als „Nazi-Kiez“ ausgewiesenen Dortmunder Stadtteil Dorstfeld zu trauen: Das dürfte für Journalisten ein echtes Risiko darstellen.

Termin: ARD,
04. September 2017, 23.45