Beim einzigen TV-Duell vor der hessischen Landtagswahl stellt der SPD-Spitzenkandidat Thorsten Schäfer-Gümbel den amtierenden CDU-Ministerpräsidenten Volker Bouffier am Mittwochabend in den Schatten. Foto: dpa

Elf Tage vor der Landtagswahl in Hessen lässt SPD-Spitzenkandidat Thorsten Schäfer-Gümbel den amtierenden CDU-Ministerpräsidenten Volker Bouffier alt aussehen. Und das TV-Duell kennt noch einen weiteren Sieger.

Stuttgart - Vielleicht wird Thorsten Schäfer-Gümbel (49), der SPD-Spitzenkandidat in Hessen, jetzt mal abgesehen von seinem Doppelnamen, auch wegen der Optik ständig unterschätzt: schmale Lippen, große Ohren und dann diese dicken Brillengläser, in denen sich die blauen Wände des HR-Fernsehstudios spiegeln, in dem am Mittwoch das erste und einzige Fernsehduell der wichtigsten Spitzenkandidaten vor der hessischen Landtagswahl am 28. Oktober stattfand: Schäfer-Gümbel tritt an gegen den seit 2010 amtierenden CDU-Ministerpräsidenten Volker Bouffier (66), der im Anzug mit lila Schlips einen Kontrapunkt setzte zum krawattenlosen Schäfer-Gümbel.

Um es kurz zu machen: Schäfer-Gümbel schaffte ein Knock-Out oder zumindest einen klaren Punktsieg in diesem von zwei herausragenden Moderatorinnen – darauf kommen wir noch zurück –geleiteten Live-im-Fernsehen-Show-Down. Wenn diese Sendung von vielen Hessen-Wählern gesehen worden ist, dann braucht sich auch die Bundes-SPD um Andrea Nahles nicht zu sorgen. Hessen kann wieder rot werden, wie es das viele Jahrzehnte gewesen ist. Hessen ist nicht Bayern.

Bouffier erzielt nur einen Punktsieg

Aber erst einmal zu Volker Bouffier, Jurist und einst Träger von Goldkettchen, hatte seine erste Chance, aber er verpatzte sie sogleich: Welche Idee er denn für die Zukunft habe, wurde er gefragt. Und seine Antwort lautete: Er wolle „die besten Zukunftjobs für Hessen“, das Land sei Spitze in vielen Bereichen. Ja, geht es vielleicht noch etwas konkreter? Dann erzielt er beim Thema Flüchtlingspolitik einen ersten und letzten Punktsieg, obwohl er das gleich mit einem Lob an die SPD-Opposition garniert, die nämlich den hessischen Aktionsplan zur Integration von Flüchtlingen mitgetragen habe. „Ich bedanke mich dafür bei der SPD“, sagt Bouffier. Groko, ich höre dir trapsen. Ansonsten ist Bouffier noch mit seiner scharfen Abgrenzung zur AfD aufgefallen. Das war es dann aber auch.

Schäfer-Gümbel ist ganz anders. Er dankt Bouffier, der ihn vielleicht für eine Große Koalition angesichts der Chancenlosigkeit eines Fortbestands von Schwarz-Grün in Wiesbaden brauchen könnte, keineswegs der Komplimente und schenkt ihm gar nichts. Mal abgesehen davon, dass beide Kontrahenten sich wenig über die Folgen der Landtagswahl für ihre Parteien auslassen wollen: Kippen Merkel oder Nahles, wenn ihre Parteien in Hessen scheitern? Ausweichende Antwort folgen bei beiden: Wir sind hier in Hessen ganz anders, dieses Argument bringen beide.

Schäfer-Gümbel hakt nach, stichelt und fordert heraus

Der Genosse Schäfer-Gümbel aber geht nach einem sehr aufrichtig klingenden Eingeständnis, dass die SPD für „Geradlinigkeit und Fehlerkultur“ stehe, dann voll in die Attacke auf die CDU. Er fällt dem Ministerpräsidenten eigentlich ständig ins Wort, wirft ihm „Mondzahlen“ vor oder „billige Polemik“ und, dass er diese oder jene Verordnung – etwa bei der dualen Ingenieursausbildung - nicht durchgesetzt habe, obgleich es seinen proklamierten Zielen entsprochen hätte. Oder, dass Hessen mehr als andere Länder Geld für die „politische Verwaltung“ ausgebe.

Das ÖPNV-Angebot, die Bildungs- oder die Wohnungspolitik: Schäfer-Gümbel hakt nach, stichelt ständig und fordert Bouffier andauernd heraus. Der zunehmende Unterrichtsausfall? Wo Bouffier klagt, der Lehrermangel treffe doch alle Länder, da haut Schäfer-Gümbel zurück und freut sich, dass er ihn sozusagen inflagranti erwischt habe, mit dem Eingeständnis, dass es also doch Unterrichtsausfall in Hessen gebe. Während Schäfer-Gümbel präzise argumentiert und weniger Redezeit beansprucht, flüchtet sich Bouffier („Ich habe großen Respekt vor der Leistung unserer Lehrer und Lehrerinnen“) in Allgemeinplätze- ein Nährboden für Langeweile.

Beim Thema Wohnen glänzt nur einer der beiden Kandidaten

Ein vielleicht entscheidender Schlag gelingt Schäfer-Gümbels dann auch beim Thema Wohnen und explodierende Mieten: Eindrücklich schildert der Sozialdemokrat, wie die Mieten rund um Frankfurt die Krankenschwestern, Arbeiter und Handwerker „an die Belastungsgrenze“ bringen, er verlangt mehr Werkswohnungen und ein „Ende der unfassbaren Bodenspekulation“. Und dann wirft er der schwarz-grünen-Landesregierung vor: „Sie waren es doch, die 60.000 Wohnungen privatisiert haben!“ Die Kamera blendet auf Volker Bouffier, der aussieht wie versteinert. Geplante Groko-Harmonie nach dem 28. Oktober sieht jedenfalls anders aus.

Schäfer-Gümbels sichtbarer Gewinn in dieser Sendung ist das eine, die präzise und uneitle Moderation der HR-Redakteurinnen Ute Wellstein und Kristin Gesan war das andere Erfolgserlebnis. Sie steuerten die Sendung in den spannenden Bereich, fragten Schäfer-Gümbel, ob er sich denn „die fehlenden Lehrer backen“ wolle und ob er die Sache mit den Kita-Gebühr „nicht etwas unkomplizierter formulieren“ könne. Den Ministerpräsidenten fragten sie, ob er ein Thema – die Wohnungspolitik – nicht verschlafen habe.

Es war eine klare Sendung mit einem klaren Sieger – dem Genossen Schäfer-Gümbel. Das einzige Manko war die nicht vollendete Debatte über die Diesel-Fahrverbote in Frankfurt, die eigentlich keiner haben will. Beide Seiten forderten mehr „Druck auf die Autoindustrie“ wegen der Nachrüstung, sie erwähnten Mercedes und BMW und geißelten vor allem VW. Der Name Opel (Rüsselsheim) ist kein einziges Mal gefallen. Und da hakten die Moderatorinnen auch nicht nach. Die Hessen halten offenbar zusammen.