Claude Monet (1840-1926) San Giorgio Maggiore in der Abenddämmerung, 1908, Öl auf Leinwand, 65,2 x 92,4 Foto: © Amgueddfa Cymru/National Museum Wales, Cardiff

Staatsgalerie setzt auf Dialog des Spätwerks von William Turner, Claude Monet und Cy Twombly.

Stuttgart - Nur zu gerne hat der nun vor dem Sprung nach Dublin stehende Staatsgaleriedirektor Sean Rainbird betont, „Blockbuster-Ausstellungen“ seien seine Sache nicht. Mit „Turner Monet Twombly – Later Paintings“ wird sich Rainbird untreu – und das Publikum erlebt ein Fest der Malerei.

Mitunter ist das scheinbar oder tatsächlich nicht zu Sehende besonders eindrücklich. So wird es in der Ausstellung „Turner – Monet – Twombly“ zumindest jenen Besuchern gehen, die schon einmal den zwölfteiligen Reigen „Lepanto“ des im Juli 2011 gestorbenen US-amerikanischen Malers Cy Twombly gesehen haben.

Gedankennotizen zu einer Seeschlacht im Golf von Korinth

Gemaltes Hoffen und Verzweifeln, farbig lustvoll im Detail, zeichenhaft aber doch im Ganzen. Gedankennotizen zu einer Seeschlacht im Golf von Korinth. Mit wenigen Strichen angedeutete Schiffe fahren auf türkisfarbener See hinaus – und verwandeln sich bald in rot glühende Todesboten. Twombly zerstört den Mythos des Sieges der spanischen, venezianischen und päpstlichen Truppen über die osmanische Flotte nicht, er reiht das Drama vielmehr ein in den Jahrtausende währenden Kampf um die Vorherrschaft im und am Mittelmeer. 25 Jahre nach Beuys’ „Straßenbahnhaltestelle“ auf der Biennale in Venedig gezeigt, führte Twomblys „Lepanto“-Zyklus 2001 noch einmal ebenso weit in die Vergangenheit wie auch in eine Zukunft, die vor neuerlichem Blutvergießen im Geist des Mythos nicht gefeit ist.

Der französische Literatur- und Kunsttheoretiker Roland Barthes schrieb über die Arbeiten von Cy Twombly: „Unterscheiden wir also die Botschaft, die eine Information erzeugen will, das Zeichen, das eine Einsicht hervorbringen will, und die Gebärde, die den ganzen Rest (die ,Zugabe’) produziert, ohne eigentlich etwas produzieren zu wollen.“ Und weiter: „Der Künstler (halten wir an diesem etwas kitschigen Wort noch fest) ist von Haus aus Gebärdenmacher: Er will einen Effekt herbeiführen, und gleichzeitig will er es nicht; die Effekte, die er produziert, hat er nicht unbedingt gewollt; es sind zurückgewandte, umgedrehte, ausgebrochene Effekte, die auf ihn zurückfallen und Modifikationen, Abweichungen, Erleichterungen der Spur hervorrufen.“

Eine große Begegnung großer Künstler

Twomblys nun in der Staatsgalerie zu sehenden Werke, allen voran das Triptychon „Hero und Leander“ lassen zum einen Barthes Worte Bildrealität werden, begründen indes den malerischen Dialog, den der britische Kunstvermittler Jeremy Lewison mit „Turner – Monet – Twombly“ buchstäblich aufführt. Lewison, in der Begleitung der Erstpräsentation dieser jetzt in Stuttgart und danach in der Londoner Tate Gallery zu sehenden Ausstellung im Moderna Museet in Stockholm mit dem Vorwurf konfrontiert, seine Interessen als kommerzieller Kunstvermittler auf allzu enge Weise mit den Interessen öffentlicher Museen zu verquicken, weiß offenbar sehr genau, was er tut. Lewison will etwas anstiften – will neue Begeisterung für Turner und Monet wecken, mehr noch aber neue Begeisterung für die Malerei an sich, für eine nur der Farbe verpflichtete und das Ringen um die eigene Existenz nicht verhehlende Bejahung des Lebens. Leichthin ließe sich daraus eine die Theorien der Abstraktion wiederholende Ausstellung machen. Leichthin auch eine Heldenfeier des Briten Turner und des Franzosen Monet. Beides bietet „Turner – Monet – Twombly“ nicht – und ist es gleichwohl doch. Um dies zu erreichen, braucht es Cy Twombly (1928–2011). Seine Malerei ist der Katalysator, den Lewison nutzt, um Energie freisetzen zu können. Eine Energie, der man sich umso leichter ergibt, als die nach Themen wie „Atmosphäre“, „Eine schwebende Welt“, „Die Lebenskraft“ oder „Schönheit, Kraft und Raum“ geordnete Schau tatsächlich Momente entwickeln kann, in denen die „Abweichungen der Spur“ in Roland Barthes Sinn eine Kraft spürbar macht, die Kunst als das letztgültig Entschiedene kenntlich macht.

„Schönheit, Kraft und Raum“ als Finale

Nicht weit genug kann man allein für die ersten beiden Räume anreisen. „Atmosphäre“ sind sie thematisch überschrieben, präziser hätte man vielleicht von Verbergen und Enthüllen sprechen können. Ist auch das zentrale Motiv der Brücke dem Verschwinden im Nebel nahe, inszeniert Claude Monet (1840–1926) 1902 in „Waterloo Bridge“ doch einen Lichtertanz, mehr noch, er führt ihn auf, hoch konzentriert auf eine Stelle im bewegten Wasser , und das Leuchten ist ein Blühen, das nicht nur auf die Seerosen verweist. Noch zurückhaltender antworten Blätter von William Turner (1777–1851), in denen der Engländer 60 Jahre zuvor mit Öl auf Papier fast noch radikaler nach dem nur mehr Spürbaren in der Malerei fragt. Wie anders, als nur mehr mit dem bloßen Aufrufen eines Assoziationsraumes kann Malerei 120 Jahre nach Turner auf diese Fragestellungen antworten? Twombly wagt 1979 mit „Orpheus“ eine Antwort, die den Dialog von Verbergen und Enthüllen in das seinerzeit Zeitgenössische bringt.

Noch einmal in dieser Ausstellung, die im Erdgeschoss des Staatsgaleriealtbaus zu sehen ist, stellt sich solche Intensität ein – im linken Flügel, unter dem Titel „Schönheit, Kraft und Raum“ als Finale des vonseiten der Staatsgalerie von Christofer Conrad betreuten Projekts gedacht. Hier ist es Twombly, der mit „Hero und Leander“ sowie mit dem ganz der Notation vertrauenden „Untitled“ von 1992 den Ton angibt. Doch nur, um auf das Gegenspiel von Lichtdiagonalen in William Turners „Raketen und blaue Lichter (nahe dran) warnen Dampfschiffe vor Untiefen“ von 1840 zu verweisen und das „Meer bei Fécamp“ in Claude Monets gleichnamigem Bild aus der Staatsgalerie-Sammlung von 1881 noch radikaler als einen sich aus der Aufwärtsbewegung entwickelnden Farbkörper identifizieren zu können.

Eben dieser Körperlichkeit von Malerei vertraut diese Ausstellung, und man wird sie auch in Erinnerung behalten müssen, wenn es einmal darum gehen sollte, von Twombly aus nach vorne zu blicken, den enormen Einfluss Cy Twomblys auf die europäische und US-amerikanische Kunst nach 1960 zu begründen. Wenn der britische Schriftsteller und Kunstkritiker John Berger Twombly als malenden Meister des verbalen Schweigens beschreibt, dessen Werke mit lebendiger Farbigkeit den stillen Raum zwischen und unter den Wörtern veranschaulichen, ist damit die Kraft wie auch die Bedeutung eines Ausrufs aus vorgeblicher Stille identifiziert. Das Ausrufen als Aufrufen von Zeichen verbindet über die Jahrhunderte hinweg den Landschaftsmaler William Turner, den die Natur in Atmosphäre auflösenden Claude Monet und den US-Amerikaner Cy Twombly. Es ist eine große Begegnung großer Künstler.