Gabriel Eichhorn hat seine Übung am Reck ausgebaut – das brachte ihm die Nominierung für die Turn-WM. Foto: IMAGO/Kessler-Sportfotografie

Zwei Stuttgarter Turner treten ab kommendem Wochenende bei der WM in Jakarta für Deutschland an. Gabriel Eichhorn hat sich das in den vergangenen Monaten besonders hart erarbeitet.

Die Aufgabe eines Bundestrainers im Turnen ist ja per se nicht, den ganzen Tag am Handy zu hängen und sich nette Videos anzuschauen. Das Leben eines Coaches spielt in der Turnhalle, auf den Matten, am Rande der Geräte. Für Gabriel Eichhorn war es aber durchaus von Vorteil, dass Jens Milbradt auch mal auf sein Mobiltelefon schaute. Jens Milbradt ist seit einigen Monaten der neue Chef-Bundestrainer der deutschen Turner – und im Gegensatz zu seinem Vorgänger Waleri Belenki ist er nicht in Stuttgart zu Hause und oft im Kunstturnforum zugegen. Gabriel Eichhorn aber trainiert die meiste Zeit in Stuttgart – und wollte den obersten Übungsleiter dennoch auf dem Laufenden halten über Form und Leistungsstand. Also: schickte er Videos. Die durchaus gut angekommen sind.

 

„Gabriel Eichhorn hat sich am Reck sehr, sehr stark entwickelt“, sagt Milbradt – und nominierte den 20-Jährigen für die am Wochenende beginnende Weltmeisterschaft in Jakarta. Wie sein Stuttgarter Trainingskollege Timo Eder reist Eichhorn also erstmals zu einer WM – und sagt: „Das wird ein Riesenabenteuer.“ Dass er es erleben darf, ist alles andere als selbstverständlich.

Gabriel Eichhorn stand schließlich in jungen Jahren schon einmal vor dem Aus als Turner. Eine Ellbogenverletzung schien derart irreparabel, dass ihm von der Fortsetzung der Laufbahn an den Geräten abgeraten worden war. Einfach aufgeben wollte der damalige Teenager aber nicht. „Er hat sich“, sagt Thomas Andergassen, „Stück für Stück in den Leistungssport zurück gearbeitet.“ Das nötigt dem früheren Weltklasseturner und heutigem Trainer von Eichhorn und Eder Respekt ab. Andergassen weist aber auch darauf hin, dass sein Schützling rund zwei Jahre lang „gar nicht trainiert“ habe. Die Folgen davon spüren Trainer und Turner teils noch heute.

TImo Eder ist ein starker Mehrkämpfer. Foto: Pressefoto Baumann

„Den größten Teil der Grundlagen haben wir gelegt“, sagt Andergassen zwar, betont aber auch: „Wir müssen bei Gabriel auch immer behutsam vorgehen.“ Bei allem Ehrgeiz soll der Körper nicht überlastet, keine weitere schwerere Verletzung riskiert werden. Immerhin: „Sein Ellbogen ist stabil.“ Gabriel Eichhorn geht sogar noch weiter: „Er funktioniert einwandfrei.“ Weshalb er sich in den vergangenen Monaten bis zur WM-Reife gesteigert hat.

„In diesem Jahr“, sagt der Halbbruder der deutschen Turn-Rekordmeisterin Elisabeth Seitz, „ist extrem viel passiert.“ Zu Jahresbeginn hatte seine Reck-Übung noch einen Ausgangswert von 5,3 – mittlerweile präsentiert er den Kampfrichtern eine Kür, die mit 6,0 veranschlagt ist. „Das“, sagt er, „ist eine riesige Steigerung, die nicht so leicht erreichbar war.“ Entsprechend zufrieden ist er damit.

Allerdings: So ganz rund lief die Übung bei der deutschen WM-Qualifikation noch nicht durch. Seine Nominierung beruhte daher auch auf der Hoffnung, dass er in der Vorbereitung auf die Titelkämpfe an Stabilität gewinnt. Kurz vor dem Abflug nach Indonesien konstatierte er dann: Zwischenziel erreicht – „die Vorbereitung ist extrem gut gelaufen“. Nun gilt es, auch auf der WM-Bühne möglichst fehlerfrei durchzukommen – um dann vielleicht sogar in Richtung Finalteilnahme am Reck schauen zu können.

So erfreulich die Steigerung Eichhorns vor allem an seinem Paradegerät, dem Reck, ist – so notwendig war sie, um überhaupt auf den WM-Zug aufspringen zu können. Denn in Jakarta wird nicht die Teamleistung im Vordergrund stehen, es ist eine Einzelgeräte-WM. Was auch bedeutet: Es schlägt die Stunde der Spezialisten an den verschiedenen Geräten. „Das Niveau ist da immer unfassbar hoch“, weiß Thomas Andergassen aus eigener Erfahrung. Umso glücklicher ist er, dass er gemeinsam mit Gabriel Eichhorn dessen neue Übung hat erarbeiten können. „Das ist keine einfache Übung“, versichert er und betont: „Das turnen nicht so viele.“

Schwester Elisabeth Seitz als Vorbild

Dass Gabriel Eichhorn sie turnt, hat für den Coach viel mit dessen Ehrgeiz zu tun. Und auch ein bisschen mit dessen Schwester. Dass der 20-Jährige den Weg zurück an die deutsche Spitze trotz der zweijährigen Zwangspause geschafft hat, zeige, „welchen Willen er hat, turnerisch etwas zu erreichen“. Gabriel Eichhorn bestätigt das indirekt, indem er berichtet, in diesem Jahr lediglich vier turnfreie Urlaubstage gehabt zu haben. Und: Das Vorbild in der eigenen Familie habe laut Andergassen auf diesem Weg auch nicht geschadet. Im Gegenteil. „Eli hat Gabriel geprägt“, sagt der Coach, „sie war immer ein Vorbild für ihn.“ Und ihre Titel Ansporn.

Vom „Wahnsinns-Gefühl für Bewegungen“ schwärmt nun der Coach, wenn er über seinen Schützling spricht, und genießt es beinahe, ihn an den Geräten zu sehen – besonders am Reck: „Es sieht immer schön aus, wenn er turnt.“ In den nächsten beiden Jahren will er mit Gabriel Eichhorn weiter viel im konditionellen Bereich arbeiten, die Übungen stabilisieren und vielleicht noch steigern. „Inhaltlich“, sagt Andergassen, „steht er aber jetzt schon gut da.“ So, wie Timo Eder.

Thomas Andergassen ist Trainer von Gabriel Eichhorn und Timo Eder. Foto: Pressefoto Baumann

Der ebenfalls 20-Jährige ist seit Jahren Trainingspartner von Gabriel Eichhorn, die beiden verstehen sich prächtig – aber: Eder hat seinem Kumpel zweierlei voraus. Er bestreitet zwar auch seine erste WM, kennt die ganz große Bühne aber schon. Im vergangenen Jahr überzeugte er bei den Olympischen Spielen von Paris. Und: Bei der EM in Leipzig holte er zwei Medaillen, darunter Gold im Mixed. Im Gegensatz zu Eichhorn ist er zudem eher ausgeglichen stark an allen Geräten, legt in Jakarta entsprechend den Fokus auf einen guten Mehrkampf.

In Paris war Gabriel Eichhorn als Zuschauer in der Halle. 2028 will er in Los Angeles dann olympischer Turner sein.