Selbstgewiss – so kannte man „Bild“-Chef Julian Reichelt. Nun ist er seinen Job los. Foto: Sven Simon/Malte Ossowski

Radikaler und kontroverser: So wollte Julian Reichelt die Macht von „Bild“ und „Bild TV“ ausbauen. Der nun eilends Abgelöste ist zuletzt aber deutlich gescheitert.

Stuttgart - Als großartigen Journalisten, der aber leider „Privates und Berufliches nicht klar trennt“ –, so versucht der Axel-Springer-Verlag den Mann darzustellen, den er am Montag Stunden nach Enthüllungen über dessen Gebaren als Chefredakteur von „Bild“ und Geschäftsführer von „Bild TV“ geschasst hat: Julian Reichelt. In der Zentrale des Medienkonzerns weiß man, dass die aktuelle Krise starke Gesten braucht. Nach allen Regeln der PR-Kunst versucht man, der Affäre einen eigenen Dreh zu verpassen: Reichelt hat schwere Fehler begangen, aber auf ihn zu setzen, war kein Fehler.

Wie Reichelt die „Bild“-Redaktion führte, dass gerade Frauen unter dem Klima litten, dass es da einen gefährlichen Mix aus sexuellen Beziehungen und dienstlichen Abhängigkeitsverhältnissen gegeben haben soll, das hat das Investigativteam der Ippen-Mediengruppe recherchiert. Dass der Verleger Dirk Ippen die Veröffentlichung zunächst verhinderte – mittlerweile hat er sich umbesonnen und will sie zulassen -, hat ihn blamiert, aber Reichelt nicht geschützt. In der „New York Times“ und vielen deutschen Medien wurde über Recherche und Blockadeversuch berichtet. Viel von dem, was in Ippens Zeitungen, der „Frankfurter Rundschau“ zum Beispiel, hätte stehen können, ist nun online beim „Spiegel“ nachzulesen.

Keine rechte Macht im Wahlkampf

Für die Öffentlichkeit viel interessanter sollte aber sein, dass mit dem selbstherrlichen, als Scharfmacher auftretenden Reichelt, der die Querdenkerszene umwarb, nicht nur eine Person, sondern eine Strategie scheitert. Reichelt hat „Bild“ wieder zum Kampfblatt gemacht, auch der neue Sender „Bild TV“ folgte seinen Konzepten. Doch auch Reichelts kraftstrotzendes Auftreten hätte in nächster Zeit nicht darüber hinwegtäuschen können, dass „Bild“ und „Bild TV“ als politischer Machtfaktor nach dem Vorbild von Fox News gerade krachend versagt haben. Im Bundestagswahlkampf haben das Blatt und der TV-Ableger versucht, Positionen der AfD in die CDU zu verlagern und einer so deutlich nach rechts verrückten Union zum Wahlsieg zu verhelfen. Das hat nicht mal im Ansatz geklappt – und im Sendebetrieb stimmen nicht einmal die Quoten. „Bild TV“ ist schwach gestartet und hat stark abgebaut. Der Wille zur Unseriosität ist klar erkennbar, aber es fehlt am Schwung, wirklich Skandalöses zu produzieren, an den Ideen, kontrovers Unverwechselbares zu schaffen, an einprägsamen Köpfen, an denen man sich nicht anderswo längst satt gesehen hat.

Kein sehr kluges Lob

Gerade in der Medienwelt der USA, wo Springer sich durch Zukäufe und Kooperationen ausweiten will, wird diese Krise registriert. Da steht Springer im Moment als nicht besonders seriös da, aber auch nicht als eindrucksvoll wirkmächtig. Die „New York Times“ hat über den Fall Reichelt berichtet und dabei eine private Textnachricht des Springer-Vorstandsvorsitzenden Mathias Döpfner zitiert, in der er preist, Julian Reichelt sei „der letzte und einzige Journalist in Deutschland, der noch mutig gegen den neuen DDR-Obrigkeitsstaat aufbegehrt.“

Döpfner, derzeit auch Präsident des Bundesverbands der Digitalpublisher und Zeitungsverleger, ist eigentlich klüger, als er hier klingt. Doch nun stehen seine Werte und Maßstäbe deutlich in Frage.

Dass als Julian Reichelts Nachfolger bei „Bild“ Johannes Boie benannt wurde, der von der „Süddeutschen Zeitung“ zu Springer kam und zuletzt die „Welt am Sonntag“ leitete, könnte da allerdings auf einen eiligen strategischen Kurswechsel im Boulevard hindeuten, auf Döpfners Bereitschaft, vorerst nicht mehr auf krudeste Kontroverse als Geschäftsmodell zu setzen.