Schon von der A 8 aus ist der gewaltige Kran zu sehen. Allein der Transport kostet 500.000 Euro. Foto: Horst Rudel

Beidseits der Autobahn bei Kirchheim/Teck gehen die Vorbereitungen für den Albvorlandtunnel in die Endphase. Die Bahn fügt hier mit einem riesigen Kran ein gewaltiges Puzzle zusammen.

Wendlingen/Kirchheim - Michael Frahm legt den Kopf in den Nacken. Sein Blick geht nach oben in den Himmel, aus dem der Regen unaufhörlich niederprasselt. Die Augen bleiben an einem riesigen Kran hängen. 1200 Tonnen wiegt das Spezialgerät, allein der Antrieb bringt es auf 220 Tonnen. 50 Lastwagen haben die Einzelteile dafür angeliefert, der Transport hat eine halbe Million Euro verschlungen. Die Miete kostet täglich weitere 5000 Euro. „Ein Riesenteil. Das bekommt man auch als Ingenieur nicht jeden Tag zu sehen“, sagt Frahm lächelnd.

Große Maschinen ist Frahm gewöhnt. Er leitet für die Bahn den Tunnelbau für die Neubaustrecke Stuttgart – Ulm im Abschnitt zwischen Wendlingen und Kirchheim/Teck. Gut elf Kilometer Strecke sind das insgesamt. Im westlichen Teil gehören die kleine Wendlinger Kurve, wo künftig die Züge Richtung Tübingen abzweigen sollen, und die Güterzuganbindung aus dem Neckartal dazu. Der größte Brocken aber wartet im östlichen Abschnitt: der Albvorlandtunnel. Zwei Röhren, je gut acht Kilometer lang, insgesamt über 16 Kilometer Tunnelbau. Bei diesen Dimensionen lohnt sich der Einsatz von gewaltigen, je 120 Meter langen Vortriebsmaschinen. An keiner anderen Stelle der zusammenhängenden Projekte Stuttgart 21 und Neubaustrecke kommen gleich zwei davon zum Einsatz.

Der riesige Kran ragt direkt über der A 8 in die Höhe und ist weithin zu sehen. Unten rauschen die Autos vorbei, ein paar Meter höher steht das Bauteam und begutachtet den Fortgang der Arbeiten. Der Kran wird benötigt, um die Einzelteile der Vortriebsmaschinen in die Baugrube zu setzen. Daneben lagern meterhohe Bruchstücke dieses enormen Puzzles. Es gilt, zwei Mal 2300 Tonnen Tunnelbohrer vorzumontieren, in Zeitlupe per Kran zur Grube zu transportieren, dort abzusetzen und zusammenzubauen. „Das ist Präzisionsarbeit. Allein für die elf Meter messenden Schneidräder wird das jeweils ein bis zwei Tage dauern“, weiß Frahm. Die ersten Teile stehen schon in der Grube. Eineinhalb Jahre werden die Maschinen im Einsatz sein. Genauso lange hat die Vorbereitung dafür gedauert.

Stromverbrauch wie eine Kleinstadt

Frahm schaut nach links und rechts. „Hier sieht man, was Bauen bedeutet“, sagt er. Ein riesiges Baugelände ist entstanden. Dazu gehört zum Beispiel ein eigenes kleines Umspannwerk. Der Hunger der Tunnelbohrer wird immens sein. Der elektrische Antrieb benötigt so viel Energie wie eine kleine Stadt mit 10 000 Einwohnern. In die Karten spielt den später bis zu 700 Ingenieuren, Mineuren und Arbeitern dabei, dass es nicht so eng zugeht wie im Stuttgarter Stadtgebiet bei S 21. „Wir haben hier auf der grünen Wiese angefangen, da ist natürlich deutlich mehr Platz“, sagt der Teamleiter.

Zeitlich dagegen wird es eng. Bei der Fahrt übers Gelände fallen immer wieder kniehohe Zäune auf. Sie sollen verhindern, dass zuletzt viel diskutierte Tierchen unter die Räder kommen. Eidechsen-Umsiedlungen und ein paar andere Probleme haben den Abschnitt in Verzug gebracht. „Wir sind ein halbes Jahr hinterher und müssen sehen, wie wir das wieder reinholen“, sagt Frahm.

Ein Traktor rumpelt über eine kleine Brücke, die über die Autobahn führt. Auf dem Anhänger liegen zwei Betonteile. Aus jeweils sieben dieser sogenannten Tübbinge wird ein Ring zusammengesetzt. Diese Ringe werden von den Vortriebspressen der Tunnelbaumaschinen in den Berg gedrückt und bilden so einmal die Innenhaut des Tunnels. Frahm deutet mit dem Kopf auf die andere Seite der Autobahn. Dort steht ein großes weißes Gebäude. „Unsere Fabrik“, sagt er. Und: „Es ist ein Glücksfall, dass wir sie hier bauen konnten.“ Zwei Jahre wird sie stehen, dann wieder abgebaut und auf Reisen zu einer anderen Baustelle geschickt. 54 000 Tübbinge werden für den Albvorlandtunnel benötigt – und direkt vor Ort hergestellt. Jeweils zwei Meter breit. Traktoren bringen sie zur Baustelle ein paar Hundert Meter weiter.

Zehn Tonnen schwere Betonteile

In dem riesigen Gebäude empfängt Katharina Kresse die Besucher. Die Ingenieurin leitet die Produktion und ist Chefin von dereinst, wenn alles in Vollbetrieb läuft, 70 bis 90 Mitarbeitern. „Wir können hier maximal 22 Ringe am Tag betonieren“, sagt sie. Genug, um die Tunnelbaumaschinen zu bedienen, die sich täglich 15 bis 20 Meter durchs Gestein fressen werden.

Auf der einen Seite der Fabrik werden Sand und Kies angeliefert und gelagert. Das Material wird gemischt, bewehrt, gepresst und auf 65 Grad erhitzt. Nach dem Abkühlen prüfen die Fachleute die zehn Tonnen schweren Segmente auf Schäden und versehen sie mit einer individuellen Nummer. Damit all das klappt, fahren Kräne auf zwei Ebenen durch die Halle. Riesige Betonteile schweben, ferngesteuert vom Boden, unter der Hallendecke in Richtung Zwischenlager. Die ersten Testläufe waren schon erfolgreich: „Wir sind sehr zufrieden mit dem Ergebnis“, sagt Katharina Kresse.

Was die Bergleute in der Tiefe tatsächlich erwarten wird, können sie vorher nie so genau sagen. Quellfähiger Gipskeuper wie in Stuttgart wohl nicht. Ganz ohne Herausforderungen ist aber auch die Aufgabe in Kirchheim nicht. Der schwarze Jura, der in weiten Teilen der Baustelle vermutet wird, hat es ebenfalls in sich. „Wenn er mit Wasser in Kontakt kommt, wird er schmierig wie Seife“, weiß Frahm. Darauf sei man im Ernstfall aber vorbereitet.

15 bis 20 Meter Vortrieb pro Tag

Zurück am großen Kran geht der Blick hinunter in den Tunneltrog, wo die ersten Teile der Maschinen stehen. Die Autofahrer auf der direkt angrenzenden A 8 ahnen davon nichts. Im vierten Quartal soll der Vortrieb beginnen. Wenn alles an seinem Platz ist, werden zehn Menschen auf jeder der beiden mächtigen Maschinen arbeiten. Ein Mineur steuert sie, „die anderen sind irgendwo auf den Maschinen und drum rum unterwegs“, erklärt Frahm. Sie sollen rund um die Uhr laufen, in zwei Zwölf-Stunden-Schichten. Zehn bis elf Stunden davon gehören dem Vortrieb, der Rest einer genauen Prüfung und Übergabe an die nächste Schicht.

Der Blick schweift wieder hinauf zu dem gigantischen Kran und in den strömenden Regen. „Das Gröbste der Vorbereitung haben wir hinter uns“, sagt der Teamleiter zufrieden, während ihm das Wasser vom Helm tropft. Sobald die Maschinen fertig zusammengesetzt sind, wird der 1200-Tonnen-Kran verschwinden. „Dann ist alles im Loch, was rein muss“, sagt Frahm und lacht. Und es kann losgehen, gut acht Kilometer weit, von Kirchheim in Richtung Wendlingen. 380 Millionen Euro soll das kosten, bis zum Frühjahr 2019 dauern. Und eine Technik mit sich bringen, die selbst ein Bauingenieur nicht alle Tage sieht.

Sobald die Vorbereitungen für den Tunnelbau abgeschlossen sind, plant die Bahn öffentliche Besucherführungen zu den Baustellen des Albvorlandtunnels. Pro Bereich soll es jeweils zwei bis drei Haltepunkte geben, an denen Führer die Arbeiten erklären. Ausgangspunkt wird voraussichtlich in Wendlingen sein. Die Touren sollen im Herbst beginnen und zwei Mal pro Woche stattfinden. Organisiert werden sie vom Turmforum im Stuttgarter Hauptbahnhof. Die genauen Preise für die Führungen stehen noch nicht fest. Nähere Informationen unter www.bahnprojekt-stuttgart-ulm.de/turmforum.