Nach einer Podiumsdebatte steht zwischen CDU und Grünen eine harte verkehrspolitische Front: Ist der Plan eines Straßentunnels im Nordosten der Region nun Vision oder Sackgasse?
Die CDU klar dafür, der grüne Landesverkehrsminister energisch dagegen: Eine in Kooperation mit unserer Zeitung organisierte Podiumsdiskussion des VfB Stuttgart unter dem Motto „Wirtschaftarena – was die Region bewegt“ hat bei einem der umstrittensten regionalen Straßenverkehrsprojekte der vergangenen fünf Jahrzehnte in dieser Woche harte Fronten aufgezeigt. Sie werden den kommenden Landtagswahlkampf begleiten.
CDU im Schulterschluss mit Wirtschaftsinitative
Eine Wirtschaftsinitiative angeführt vom Waiblinger Sägenhersteller Stihl und unterstützt von den Firmen Bosch, Lapp und Trumpf macht sich für eine große Tunnellösung stark, welche die Beeinträchtigungen für Ökologie und Landwirtschaft verringern soll.
Im Gefolge der Debatte hat sich noch am selben Abend der CDU-Spitzenkandidat für die Landtagwahl, Manuel Hagel, zu Wort gemeldet. Er machte deutlich, dass der Tunnel für die CDU ein Leuchtturmvorhaben sei. „Wir müssen uns auch wieder große Projekte zutrauen“, sagte er in einer Mitteilung: „Die seit langem geplante Umfahrung der Region Stuttgart im Nord-Osten braucht eine klare Umsetzungsperspektive im Bundesverkehrswegeplan.“
Bund gibt Nordostring bisher keine Priorität
Genau dies war ein Gegenargument des grünen Verkehrsministers Winfried Hermann auf der Podiumsdiskussion gewesen, nachdem er seinerseits dafür kritisiert worden war, dass das Land keinerlei Planungen für den Nordosten der Stuttgarter Region vorantreibe: „Bisher steht ein Nordostring beim Bund gar nicht im vordringlichen Bedarf“, sagte er. Und ohne diese Festlegung brauche das Land nichts planen.
„Uns ist bewusst, dass das eine teure Lösung ist“, sagte auf der Veranstaltung Rüdiger Stihl, Geschäftsführer der Initiative „Grüner Tunnel“: „Es geht darum, Staus zu reduzieren und gleichzeitig die Fruchtbarkeit der Böden zu erhalten.“ Der Tunnel sei im übrigen nicht nur für den Straßenverkehr von Vorteil, sondern verbessere beispielsweise auch die Anbindung des Containerbahnhofs Kornwestheim. Die aktuelle Verkehrssituation verursache ihrerseits massive Kosten und gefährde den Wirtschaftsstandort.
Weniger teuer als der Bahntunnel für Gäubahn?
Nach aktuellem, von einem Münchner Planungsbüro berechneten Kostenstand sollen auf 10,7 Kilometern Länge die zwei je zweispurigen Röhren mit fünf Ausfahrten entlang der Strecke 1,6 Milliarden Euro kosten. Zum Vergleich: Der jetzt im Bundeshaushalt beschlossene, fast exakt gleich lange, zwei Röhren mit je einem Gleis umfassende Pfaffensteig-Bahntunnel, der die Gäubahn an den Flughafen und Stuttgart 21 anschließen soll, wird auf zwei Milliarden Euro Baukosten geschätzt.
Während sich Landesverkehrsminister Winfried Hermann bei der Diskussion als klarer Gegner des Tunnels positionierte, wurde Stihl auf der Bühne vom parlamentarischen Geschäftsführer der CDU-Bundestagsfraktion und Ludwigsburger Abgeordneten Steffen Bilger ebenso eindeutig unterstützt.
Verkehrsminister für kleinere Lösungen
Hermann plädierte zur Entschärfung der Situation für eine Vielzahl kleinerer Maßnahmen, von einzelnen Straßenbauten über eine bessere Verkehrssteuerung bis zum Ausbau und der Sanierung anderer Verkehrsträger wie der aktuell verspätungsanfälligen S-Bahn.
Auch der Tunnel werde wegen des massiven Erdaushubs erhebliche Spuren in der Landschaft und für die Landwirtschaft hinterlassen: „Das wird kein Nordostring, sondern ein Nordostwall – und die Normannen müssen wir damit ja nicht abwehren.“
Vertreterin Fellbachs ist skeptisch
Sekundiert wurde Hermann von der Fellbacher Baubürgermeisterin Beatrice Soltys. Sie warf den Befürwortern des Projekts eine Art Tunnelblick vor. „Wie die Wurst hat auch so ein Tunnel zwei Enden“, sagte sie: Die Straßen rund um einen gebauten Tunnel würden nicht ansatzweise in der Lage sein, das durch den Tunnel provozierte Verkehrsaufkommen aufzunehmen.
Am Ende stand letztlich die Frage im Raum, ob ein solches Projekt genau die langfristige Vision ist, welche die Region braucht, oder ob es nicht von den konkreten Problemen der Gegenwart wegführt. „Wir müssen für solche Dinge offen sein“, sagte der CDU-Politiker Bilger. Er betonte, dass dies nicht bedeute, aktuelle Projekte zu vernachlässigen. Er zeigte sich beispielsweise zuversichtlich, dass der aktuell in den Haushaltsnöten des Bundes feststeckende Albaufstieg an der A8 noch finanziert werde.
Hoffnung auf bessere Finanzlage in einigen Jahren
Vom moderierenden Chefredakteur der Stuttgarter Zeitung, Joachim Dorfs, auf das fehlende Geld angesprochen, sagte Tunnelbefürworter Stihl, dass er sich keine Illusionen über die Zeitdauer bis zur Realisierung mache: „Mir ist klar, dass frühestens in zehn Jahren gebaut werden kann. Bis dahin kann die Finanzlage wieder eine andere sein.“
Landesverkehrsminister Winfried Hermann erklärte hingegen den Ansatz gerade langfristig für einen Irrweg. Das Projekt sei nicht grün, sondern grau und ziehe erhebliche Folgelasten nach sich, etwa für die notwendige Sanierung dieser Bauten: „Ein Tunnel mit elf Kilometern löst die Probleme nicht.“
Am Mittwoch wird sich der Verkehrsausschuss des Verbands Region Stuttgart mit der Idee des Grünen Tunnels beschäftigen.