Beim Staatsbesuch 2014 spricht Recep Tayyip Erdogan auch in Köln. Foto: dpa/Oliver Berg

Den geplanten Staatsbesuch des türkischen Präsidenten kündigen Gefolgsleute mit scharfen Drohungen gegen hier lebende Regierungsgegner an.

Bei einem Auftritt in Deutschland hat ein Vertreter der türkischen Regierungspartei AKP türkischen Dissidenten in der Bundesrepublik mit „Vernichtung“ gedroht. Die Türkei werde Anhänger der kurdischen PKK und des Predigers Fethullah Gülen in Deutschland und anderswo ausmerzen, sagte der AKP-Abgeordnete Mustafa Acikgöz in einer Rede in Neuss. Alarmierte Deutsch-Türken schalteten die nordrhein-westfälische Polizei ein. Vor den türkischen Wahlen im Mai lebt nun die Debatte über türkische Wahlkampfveranstaltungen in Deutschland wieder auf.

Es geht um 1,4 Millionen Wähler

Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan will nach türkischen Medienberichten am 27. oder 28. Januar zu seinem ersten Deutschland-Besuch seit drei Jahren nach Berlin reisen. Die Bundesregierung wollte das auf Anfrage am Montag nicht bestätigen. Erdogan war zuletzt im Januar 2020 in Berlin; Bundeskanzler Olaf Scholz hatte den türkischen Präsidenten im vergangenen März in Ankara besucht. Damals ging es vor allem um den Ukraine-Krieg. Der Konflikt dürfte auch diesmal das Hauptthema sein. Zudem verlangt Ankara von Deutschland die Auslieferung türkischer Dissidenten. Vor den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in der Türkei, die nach Regierungsangaben von Juni auf Mai vorgezogen werden sollen, werben Erdogan und andere türkische Politiker auch bei den rund 1,4 Millionen türkischen Wählern in Deutschland um Unterstützung. Der Oppositionschef Kemal Kilicdaroglu war im Dezember in der Bundesrepublik.

Beliebt unter Wählern in Deutschland

Unter den türkischen Wählern in Deutschland ist Erdogan beliebter als zu Hause. Bei der letzten Präsidentenwahl 2018 erhielt der Staatschef bei den Türken in Deutschland nach einer Meldung der Deutschen Welle knapp 65 Prozent der Stimmen; in der Türkei waren es knapp 53 Prozent. In Deutschland leben aber auch viele Erdogan-Gegner. Einige, wie der Journalist Can Dündar, wurden von Erdogan zu Staatsfeinden erklärt. Ankara fordert die Auslieferung von Dündar sowie von mutmaßlichen Anhängern der kurdischen Terrororganisation PKK und der Bewegung des Predigers Fethullah Gülen, die im amtlichen türkischen Sprachgebrauch Fetö genannt wird.

Vor sechs Jahren hatte die Bundesregierung alle Wahlkampfauftritte türkischer Politiker in der Bundesrepublik verboten, weil sie befürchtete, dass innertürkische Konflikte auf deutschem Boden ausgetragen werden könnten. Äußerungen des AKP-Politikers Acikgöz fachen diese Befürchtung jetzt neu an. Bei einem Auftritt vor Türken im nordrhein-westfälischen Neuss sagte Acikgöz unter dem Beifall der Zuhörer, die Türkei werde PKK und Fetö in Deutschland „vernichten“: „Wir geben ihnen in der Türkei keinen Raum. Wir haben sie ausgemerzt. Mit Gottes Hilfe werden wir sie überall auf der Welt aus ihren Verstecken holen und vernichten. Da könnt ihr euch drauf verlassen“, sagte Acikgöz.

Die AKP-Redner verschärfen den Ton

Dass Acikgöz seine Äußerungen am Freitag auf seinem Twitter-Konto veröffentlichte, legt nahe, dass er sich der Wirkung seiner Worte in Deutschland nicht bewusst war. Hätte er dieselbe Rede in der Türkei gehalten, wäre er damit nicht aufgefallen: Drohungen gegen PKK und Gülen sind fester Bestandteil vieler Politikerreden in Ankara.

Erdogan kämpft um jede Stimme

Doch in Deutschland entsetzte Acikgöz viele Erdogan-Kritiker. Der Essener Politologe Burak Copur warf Acikgöz Volksverhetzung und Anstiftung zu Straftaten vor. Nach seinen Angaben sprach der AKP-Politiker in einem Neusser Vereinsheim der rechtsextremistischen Grauen Wölfe. Die Gruppe untersteht der rechtsnationalistischen türkischen Partei MHP, einer Bündnispartnerin von Erdogan. Copur fordert ein Verbot der Grauen Wölfe in Deutschland. Der SPD-Politiker Macit Karaahmetoglu sieht im aggressiven Wahlkampfeinsatz von Acikgöz ein indirektes Eingeständnis von Schwäche: „Erdogan geht auf dem Zahnfleisch, ihm droht der Machtverlust. Die Entsendung von AKP-Rednern nach Deutschland zeigt, wie sehr er um jede Stimme kämpfen muss.“