Dürfen Erdogan und Co. in Deutschland Wahlkampf machen? Die Lobbyorganisation der Europäisch-Türkischen Demokraten versucht das immer wieder. Foto: AP

Die in Deutschland 2004 als Lobbyorganisation für die Regierungspartei AKP gegründete Union der Europäisch-Türkischen Demokraten (UETD) verteidigt regelmäßig die Politik des türkischen Staatschefs Recep Tayyip Erdogan in TV-Talkshows.­

Stuttgart - Die in Deutschland 2004 als Lobbyorganisation für die Regierungspartei AKP gegründete Union der Europäisch-Türkischen Demokraten (UETD) verteidigt regelmäßig mit redegewandten Juristen wie Fatih Zingal die Politik des türkischen Staatschefs Recep Tayyip Erdogan in TV-Talkshows. Sie erhebt den Anspruch, alle Türken, die außerhalb ihres Heimatlandes leben, zu vertreten. Die UETD ist nach den Worten ihres früheren Chefs Zafer Sirakaya „eine gemeinnützige und überparteiliche Organisation aller in Europa lebenden türkischen und türkisch-stämmigen Bürgerinnen und Bürger“.

Die Gruppen der UETD – allein in Baden-Württemberg gibt es mehr als 40 – organisieren vor allem Fahrten zu Auftritten wie dem des türkischen Regierungschefs Binali Yildirim in Oberhausen vor zwei Wochen. Zudem bieten sie Abgeordneten der AKP eine Plattform, auf der sie bei ihren Besuchen in Deutschland türkische und türkisch-stämmige Migranten treffen können.

Verfassungsschützer: Positioinen der IGMG antisemitisch

Ein besonders eifriger Besucher solcher Veranstaltungen ist Mustafa Yeneroglu. Der 1975 im türkischen Bayburt geborene und in Köln aufgewachsene Rechtsanwalt besitzt die deutsche und türkische Staatsbürgerschaft. Aktuell sitzt er für die AKP im türkischen Parlament und leitet dort den Ausschuss für Menschenrechte. Kürzlich bezeichnete er die Durchsuchungen bei Vorbetern des staatsnahen türkischen Moscheevereins Ditib in Deutschland wegen mutmaßlicher Spitzeldienste für türkische Behörden als „beispiellose Einschüchterungskampagne“. Seit seinem 13. Lebensjahr engagiert sich der Jurist bei der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG), die in Deutschland vom Verfassungsschutz beobachtet wird.

Etwa 10 000 Extremisten gehören der Organisation an. Insgesamt seien „mehrere Zehntausend Anhänger“ in der IGMG organisiert, schrieb die Bundesregierung im vergangenen September als Antwort auf eine Anfrage der Linken-Abgeordneten Sevim Dagdelen. Verfassungsschützer bewerten einzelne Positionen der IGMG als antisemitisch. So erscheinen in der der Milli-Görüs-Bewegung zugeordneten Zeitung „Milli Gazete“ immer wieder Artikel, die vor einer jüdischen Weltverschwörung warnen. Etwa acht Prozent der Moscheen in Deutschland werden von der IGMG betrieben.

Kontakte knüpfen und verstetigen

Deren Generalsekretär wurde Yeneroglu 2014 für anderthalb Jahre, ehe er ins türkische Parlament einzog. Er forderte seine Gefolgsleute auf, „in den Stadtteilen und Städten, wo sich unsere Vereine befinden, mit den im Gesellschaftsleben einflussreichen Personen und Institutionen Kontakte“ zu knüpfen und diese zu verstetigen. Um den Einfluss der IGMG in Deutschland zu steigern, wollte Yeneroglu Lehrstühle für islamische Theologie an Universitäten gründen, Imame für Moscheen ausbilden, an staatlichen Schulen muslimischen Religionsunterricht erteilen, Hindernisse beim Bau von Moscheen beseitigen, IGMG-Vertreter bis in die Kontrollgremien von öffentlich-rechtlichen Rundfunksendern entsenden sowie Kindergärten, Schulen, Pflegeheime und Krankenhäuser gründen. „Ein Rundum-Sorglos-Paket der Einflussnahme“, sagte unserer Zeitung ein hochrangiger Verfassungsschützer.

Offiziell gibt es keine Schnittmengen zwischen IGMG und UETD. Es lägen, so die Bundesregierung, „Hinweise darauf vor, dass in der Vergangenheit vereinzelt ehemalige Mitglieder oder Funktionäre der IGMG zur UETD gewechselt sein sollen“.