Die Bundesregierung macht ernst: Außenminister Sigmar Gabriel hat eine Reisewarnung für die Türkei ausgegeben. Foto: dpa

Noch geht es der Bundesregierung um wohldosierte Gegenwehr, um ein leicht schrill klingendes Signal an Erdogan, mit den willkürlichen Verhaftungen deutscher Bürger endgültig die rote Linie übertreten zu haben, kommentiert unser stellvertretender Chefredakteur Wolfgang Molitor.

Stuttgart - Die deutsch-türkischen Beziehungen, die sich seit langem vor allem aus gewollten Missverständnissen auf beiden Seiten speisen, werden neu justiert. Der deutsche Außenminister, im festen Schulterschluss mit der Kanzlerin, hat einen Kursschwenk verkündet, der Ankara nach zahllosen beleidigten Provokationen und Rüpeleien vor allem eines klarmachen soll: Deutschland ist nicht länger gewillt, sich wenn auch verstimmt um des lieben Friedens wegen in Leisetreterei zu üben.

 

Überdramatisierende Reisehinweise

Dennoch signalisieren Sigmar Gabriel und Angela Merkel dem türkischen Präsidenten trotz ihres härteren Kurses die Bereitschaft, die Brücken nicht abbrechen zu wollen – wobei sie politisch klug auch das Verhältnis zwischen Türken und Deutschen hierzulande im Blick haben. Gabriels verschärfte, wenngleich überdramatisierende Reisehinweise werden unmittelbar wenig Auswirkungen zeigen. Schon jetzt reisen immer weniger Deutsche – im letzten Jahr waren es 3,9 Millionen – zum Urlaub in die Türkei. Und auch Gabriels Drohung, staatliche Garantien für Exportkredite und Investitionen in der Türkei auf den Prüfstand zu stellen, wird keine unmittelbaren Folgen haben, auch wenn die Türkei große deutsche Unternehmen wahnhaft in Terrorismusnähe zu drängen sucht.

Notwendiger Kurswechsel

Noch geht es der Bundesregierung um wohldosierte Gegenwehr. Um ein leicht schrill klingendes Signal an Erdogan, mit den willkürlichen Verhaftungen deutscher Bürger endgültig die rote Linie übertreten zu haben. Nicht zuletzt platzieren Gabriel und Merkel innenpolitisch eine schlagkräftige Wahlkampfbotschaft. Die Türkei sei auf dem Weg, das Rad der Geschichte zurückzudrehen, sagt Gabriel. Das heißt: weg von Europa. Wann ist man in Berlin soweit, daraus den wirklich notwendigen Kurswechsel einzuleiten?

wolfgang.molitor@stuttgarter-nachrichten.de