Mit der Demo „Wir üben stoppen“ haben sich Radfahrer gegen das aus ihrer Sicht unsinnige Schild an der Tübinger Straße eingesetzt. Foto: Archiv/ Sascha Schmierer

Die Stadtverwaltung entfernt nun das ungeliebte Stoppschild in der Tübinger Straße wieder. Halten müssen in Zukunft die Autofahrer. Für die Radfahrer ist dies ein erster Etappensieg für eine fahrradfreundlichere Stadt.

S-Süd - Diese Entscheidung hätte sie sich in ihren kühnsten Träumen nicht vorstellen können. Ihr Vertrauen in die Stadtverwaltung sei nun wieder hergestellt, sagt Christine Lehmann, Bezirksbeirätin und Betreiberin des Blog „Radfahren in Stuttgart“, zufrieden. Viel wichtiger als ihr Verhältnis zur Stadtverwaltung ist ihr natürlich die gefallene Entscheidung. Das Stoppschild für Radfahrer an der Ecke Tübinger-/ Feinstraße wird wieder abmontiert. Dies verkündete Susanne Scherz vom Amt für öffentliche Ordnung diese Woche im Bezirksbeirat Süd. „Auch uns ist inzwischen klar, dass diese Lösung nicht den Anforderungen an eine Hauptradroute entspricht“, gab die Leiterin der Abteilung Straßenverkehr zu.

Die Stoppschild-Parties zeigen die Absurdität

Bis diese Erkenntnis bei der Stadtverwaltung gereift ist, mussten Lehmann und zahlreiche Zweiradfans in den vergangenen Wochen zu ungewöhnlichen Mitteln greifen, um auf das aus ihrer Sicht unsinnige Verkehrsschild aufmerksam zu machen. Vor knapp drei Wochen lud Lehmann über ihren Blog zur ersten Stoppschild-Party mit dem Motto „Wir üben stoppen“ ein. Rund 50 Radler versammelten sich an den drei Freitagabenden an der besagten Kreuzung und stoppten und bremsten, was das Zeug hielt. Gleichzeitig drehte Lehmann ein Video welches sie via soziale Netzwerke verbreitete. „Das hat noch einmal sehr schön die Absurdität des Schildes dargestellt“, sagt die Bezirksbeirätin. Zu sehen war nämlich, dass alle Verkehrsteilnehmer – ob Autofahrer, Radler oder Fußgänger – an dieser Stelle tun, was sie wollen.

Seit mehr als einem Jahr setzt sich der Bezirksbeirat Süd für ein tragfähiges Verkehrskonzept für die Tübinger Straße einsetzt. Dieses soll unter anderem die Ausweisung der Verbindungsstraße zwischen Paulinenbrücke und Marienplatz als Fahrradstraße vorsehen. Passiert war jedoch lange nichts. Mitte April präsentierte das Ordnungsamt den Lokalpolitikern die ersten Lösungsvorschläge, die zügig umgesetzt wurden. Seit Ende Mai ist für Autofahrer die Durchfahrt in Richtung Marienplatz ab Höhe Feinstraße gesperrt. Der Haken für die Radfahrer ist nun, dass sie stadteinwärts nun ein Stoppschild an dieser Kreuzung zum Bremsen zwingt. Die Autofahrer haben Vorfahrt.

Das Schild kommt nun weg

In der neuen Lösung fällt dies nun weg. Nicht nur das ungeliebte Schild lässt das Amt wieder entfernen. In Zukunft haben die Radler an dieser Stelle sogar Vorrang. Das Stoppschild steht nämlich bald auf der anderen Seite. Mobile Fahrradbügel sollen dann auch eine Missnutzung durch Autofahrer verhindern. Wann genau die neue Verkehrsführung umgesetzt wird, konnte Scherz nicht sagen. Das Tiefbauamt habe aber schon die Vorbereitungen getroffen.

Lehmann freut sich vor allem für die Radfahrer. „Die fühlen sich jetzt endlich wertgeschätzt und ernst genommen.“ Auch Frank Zühlke vom Allgemeinen Deutschen Fahrradclub (ADFC) lobt den neuen Beschluss der Stadt. „Das ist ein erster, wichtiger Erfolg für uns“, sagt der stellvertretende Vorsitzender des Kreisverbandes Stuttgart. Allerdings, so bemängelt er, sei noch sehr viel zu tun, damit die Landeshauptstadt langfristig radfreundlicher werde. Dafür müsse die Stadt wesentlich mehr Geld und mehr Personal bereit stellen. Im Süden müssen seiner Meinung nach die Tübinger- sowie die Möhringer- und die Burgstallstraße zur Radstraße werden.

Mehr Radler als Autofahrer in der Tübinger Straße

Damit sich so manches ändert, muss die Stadtverwaltung aber nicht zwangsläufig ihre Liebe für dieses Fortbewegungsmittel entdecken. Manchmal reichen ja auch einige Fakten. Zum plötzlichen Sinneswandel in der Stadtverwaltung hat nämlich auch eine vom Ordnungsamt durchgeführte Verkehrszählung beigetragen. Am Mittwoch, 10. Juni, ließ das Amt einen Tag lang die Verkehrsteilnehmer zählen. Das überraschende Ergebnis: Inzwischen sind auf der Tübinger Straße mehr Fahrrad- als Autofahrer unterwegs. Zwischen sieben und 19 Uhr wurden rund 2200 Radfahrer gezählt, jedoch nur ungefähr 1930 Autos. „Vor allem morgens dominierte in Richtung Innenstadt der Radverkehr “, sagte Scherz. Die neuen Erkenntnisse sind wichtig für die weiteren Planungen in der Tübinger Straße. Denn seit langem wünscht sich der Bezirksbeirat dort eine ausgewiesene Fahrradstraße. Die rechtliche Grundlage für eine Vorfahrtsstraße für Radler ist, dass tatsächlich mehr Menschen auf dem Rad als im Auto unterwegs sind.

In dem Gremium stießen die neuen Planungen insgesamt bei den Lokalpolitikern auf große Begeisterung. Oder um es ganz knapp mit den Worten von Stadtist Jens Hermann zu sagen: „Das ging schnell. Das Schild kommt weg. Gut so.“