Eigentlich sind in der Tübinger Straße Fußgänger, Radler und Autofahrer gleichberechtigt – doch die Realität sieht anders aus. Foto: Hans Jörg Wangner

Der Vorstoß von Karin Maag und Walter Tattermusch, Fußgänger in der Tübinger Straße besser zu schützen, wird zwischen Land und Bund zerrieben.

Stuttgart - Walter Tattermusch hat seine Aufgabe als Behinderten-Beauftragter der Stadt im vergangenen Jahr zwar an Simone Fischer abgegeben, aber die Belange der Menschen mit Behinderung in der Stadt interessieren ihn freilich immer noch. Erst recht in diesem speziellen Fall.

Der frühere Leiter des Stuttgarter Sozialamtes hatte gemeinsam mit der Bundestagsabgeordneten Karin Maag (CDU) einen Vorstoß für mehr Sicherheit der Fußgänger gewagt. Unter dem Motto Begegnungszone statt Shared Space wollten beide für mehr Frieden im Stadtverkehr sorgen. Wie die Dinge liegen, haben sich Maag und Tattermusch wahrscheinlich vergeblich bemüht.

Anlass für den Vorstoß waren Klagen von Bürgen über die mangelende gegenseitige Rücksichtnahme auf der Mischverkehrsfläche in der Tübinger Straße. Dort, so Tattermusch, wo sich alle Verkehrsteilnehmer gleichberechtigt begegnen – Fußgänger, Radfahrer und Autofahrer – gilt das Recht des Stärkeren. „Menschen mit Behinderung fühlen sich von Autofahrern, die hier eigentlich Schrittgeschwindigkeit fahren sollten, und rücksichtslosen Radfahrern, die die Tübinger Straße für eine Radfahrerstraße halten, immer wieder erschreckt, bedrängt und abgedrängt“, sagt Tattermusch, „ich habe mich selbst dort kundig gemacht und sehe die Kritik der Menschen mit Behinderung bestätigt: Im alltäglichen Verkehrsfluss gibt es in der Tübinger Straße leider keine Gleichberechtigung.“ Daher forderte er: Den Fußgängern muss Vorrang eingeräumt werden.

Die Schweiz als Vorbild

Als Grund für das angebliche Scheitern des Shared-Space-Konzeptes erkannte Tattermusch eine Mentalitätsfrage. Denn das Konzept kommt ursprünglich aus Holland. Dort verkehren die Menschen in der Mehrzahl im öffentlichen Raum allerdings anders miteinander als die Deutschen, so Tattermusch. Für ihn steht fest: Das Konzept lässt sich nicht eins-zu-eins auf hiesige Verhältnisse übertragen.

Besser als Deutschland hätte dagegen die Schweiz das Konzept umgesetzt: „Auch die Schweiz hat sich von den Niederländern inspirieren lassen. Aber in der Schweiz hat man es anders gemacht und für dieses Verkehrskonzept einen passenden Rahmen geschaffen, der die Straße als Begegnungszone definiert.“

Doch bei den Eidgenossen geht die Verkehrsentwicklung mit einem neuen Verkehrsschild samt neuer Regeln her: die Höchstgeschwindigkeit ist dort für alle auf 20 km/h begrenzt, Fußgänger haben Vortritt, dürfen jedoch die Fahrzeuge nicht unnötig behindern. Und das Parken ist nur an den durch Schilder oder Markierungen gekennzeichneten Stellen erlaubt.

Diesen Vorschlag unterbreitete Karin Maag den jeweiligen Verkehrsministerien in Bund und Land. Jetzt kamen die Antworten. Steffen Bilger (CDU), parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, meinte mit dem Hinweis auf frühere Untersuchungen in einem Fachausschuss sei das Modell für Deutschland aufgrund von Verkehrssicherheitsbedenken abzulehnen. Dann ergänzte Bilger jedoch: Bei Fragen zu konkreten Einzelfällen könne sich die Parteikollegin ja an das Land wenden.

Damit war das Ping-Pong-Spiel eröffnet. Denn Verkehrsminister Winfried Hermann spielte den Ball wieder nach Berlin zurück. Das Verkehrsministerium halte weder den Versuch einer Begegnungszone noch die Einstellung eines neuen Verkehrszeichen für angezeigt, schrieb der Grüne an Maag. Zudem meint Hermann, in der Tübinger Straße laufe alles gut. Und schließlich schreibt er: „Angesichts dieser guten Erfahrungen sollten solche Projekte weiter vorangebracht werden.“ Ein neues Verkehrszeichen Begegnungszone könne nur der Bund einführen. „Die Länder sind nur für die Ausführung der Straßenverkehrsordnung zuständig.“

Mit dieser Entwicklung sind weder Tattermusch noch Maag zufrieden. Doch aufgeben will die Bundestagsabgeordnete noch nicht: „Ich gebe den Schriftverkehr jetzt für einen letzten Versuch an meinem Bundestagskollegen Michael Donth aus dem Verkehrsausschuss. Ich bedaure, dass hier meine Möglichkeiten enden.“