Aus der Ferne hat die Tübinger Straße im vergangenen November noch einen hübschen Eindruck gemacht. Foto: factum/Weise

Im vergangenen November ist die aufgehübschte Tübinger Straße offiziell ihrer Bestimmung übergeben worden. Doch der verwendete Bodenbelag erweist sich als fleckenanfällig. Einige Anlieger beschweren sich jetzt.

S-Mitte - Mangelndes Mühen um Reinlichkeit muss sich hier niemand vorwerfen lassen. Die Frau vom Piercing-Studio fegt gerade die Straße, wie alle es hier jeden Vormittag tun, wenn sie ihre Läden aufschließen. Norbert Kallas bückt sich. „Wenn der umfällt, gibt das wieder einen Riesenfleck“, sagt er. „Ich entsorg’ das mal kurz.“ Er zieht einen Pappbecher unter einer Sitzbank hervor, den jemand dort hat stehen lassen, halb voll noch mit Kaffee, und bringt ihn in seinen Laden.

Kallas ist Inhaber einer Boutique an der Tübinger Straße, der Einkaufsstraße im Gerberviertel. Außerdem ist er Vorsitzender des Vereins Gerberviertel, den die Geschäftsleute im Quartier gegründet haben. „Montags ist es am Schlimmsten“, sagt Kerstin Sänger. „Nach dem CSD habe ich erstmal eine halbe Stunde aufgeräumt“ – den Müll vor ihrem Laden. Sie ist Kallas’ Stellvertreterin im Verein und betreibt ein paar Häuser weiter ein Fotogeschäft. Sie hat sogar versucht, festgetretenen Kaugummi mit einem Schraubenzieher abzukratzen. „Praktisch keine Chance“, sagt sie.

Eigentlich ist die Straße jetzt ein Schmuckstück

Die neue Tübinger Straße ist der Stolz der Stadt, amtsoffiziell. Mit Fest und Ansprache wurde vergangenen November das umgebaute Straßenstück eingeweiht, das zuvor Dauerbaustelle war. 1,2 Millionen Euro hat es gekostet, ein paar hundert Meter der einstigen Schmuddelmeile aufzuhübschen, mit neuem Belag, Bäumen und Bänken – zum sogenannten Shared Space, einer verkehrsberuhigten Zone. Inzwischen aber „sieht es fast wieder so schlimm aus wie vor dem Umbau“, sagt Sänger.

Die beiden wollen nicht über den Umbau nörgeln, im Gegenteil. Anfänglicher Skepsis und dem Dauerärger über die Baustelle vor der Ladentür ist die Gewissheit gewichen, dass die Straße tatsächlich ein Schmuckkästchen geworden ist. Die Autofahrer, zumindest die mit Stuttgarter Kennzeichen, halten sich inzwischen an die Geschwindigkeitsbegrenzung und zunehmend ans Parkverbot. Aber das Schmuckkästchen hat schmuddelige Makel. Und zwar reichlich.

So gut wie alles, was hier verschüttet oder weggeworfen wird, hinterlässt einen Fleck auf dem hellen Pflasterbelag. „Die Stadt müsste einfach öfter reinigen“, sagt Kallas. „Nicht nur ab und an fegen, sondern mit einer Kehrmaschine nass reinigen.“ Und dann bitteschön auch häufiger die Mülleimer leeren.

Die Nassreinigung kostet 79.90 Euro je Quadratmeter

Der erste Wunsch wird womöglich erfüllt – ob zur Freude der Anwohner, ist allerdings fraglich. Der Bodenbelag „ist die Stuttgarter Platte“, sagt Silvester Koci. Die Mischung aus Granit auf Beton „wird überall im Stadtzentrum verwendet und ist gut zu reinigen“. Koci arbeitet für das Tiefbauamt und gehört zu denen, die die neue Tübinger Straße planten. Für die Reinigung ist der städtische Betrieb AWS zuständig. Bisher wird die Tübinger Straße tatsächlich lediglich gefegt, dreimal wöchentlich von Hand, dreimal mit einer Maschine. Die AWS würde nach Auskunft ihrer Pressesprecherin Annette Hasselwander gern häufiger kehren und zusätzlich nass reinigen. Allerdings müssten die Anlieger dafür zahlen: 79,90 Euro pro Jahr und laufendem Meter. Ob es so kommt, entscheidet der Gemeinderat gegen Jahresende.

Die Mülleimer zu leeren, dürfte nicht allzu viel helfen. Jüngst ist in Gemeinderatsunterlagen in deutlichen Worten festgehalten worden, dass sich zumindest nachts kaum jemand um sie schert. Gleich ob Flaschen, Pappbecher, Fast-Food-Verpackungen – alles wird schlicht dort fallen gelassen, wo es seinen Zweck erfüllt hat, selbst wenn ein Mülleimer wenige Meter entfernt steht. Dass diese Klage keineswegs übertrieben ist, beweist – beispielsweise – ein Blick in die Baumbeete am Eingang der Tübinger Straße. Links und rechts stehen Abfalleimer, zwischen ihnen stapelt sich der Müll.

Zwar sind städtische Bedienstete unterwegs, um Müllsünder zu mahnen und Geldbußen zu verhängen. Allerdings kann das Erfüllen dieser Dienstpflicht die Gesundheit gefährden. Immer wieder, so gab es der Geschäftsführer der AWS, Thomas Heß, im Gemeinderat zu Protokoll, werden die Müllwächter sogar verprügelt.