Vor 39 Jahren haben sie den Tübinger Frauenbuchladen gegründet, unverdrossen kämpfen sie weiter: die Chefinnen Hanne Haeusler, Nicola Poppe und Kornelia Wagenblast (von Foto: Horst Haas

Von den einst 30 Frauenbuchläden in Deutschland sind vier übrig geblieben – einer davon in Tübingen. Er wirft kein Geld ab, ist viel zu klein und Frauenliteratur gibt es längst überall, trotzdem wollen die drei Gründerinnen weitermachen.

Tübingen - Früher war es eine Mutprobe im beschaulichen Tübingen, idiotisch, aber gerade deshalb eine Herausforderung. Sie bestand darin, sich ein paar Schritte hineinzuwagen in jene Räume, in denen Männer nichts zu suchen und eine Gruppe Radikallesben das Sagen hat: in den Frauenbuchladen in der Bursagasse gleich unten am Neckar. Heute lacht die Mitgründerin Hanne Haeusler über die Mythen und Legenden, die im Laufe der Jahrzehnte rund um das Männerverbot entstanden sind. „Das ist unser Alleinstellungsmerkmal, das geben wir nicht mehr auf“, sagt Haeusler und erzählt, dass die Stadtführer mit den Touristen im Schlepptau genau deshalb einen Stopp vor der Tür machen.

Den winzigen Laden mit der Stadtmauer im Rücken und dem Kopfsteinpflaster vor dem Schaufenster dürfte es eigentlich gar nicht mehr geben. Er ist vollkommen unwirtschaftlich, zwei kleine Räume in einem Fachwerkgemäuer; er trotzt allen Trends, und er ist viel zu spezialisiert. Von den bundesweit einst mehr als 30 Frauenbuchläden sind gerade noch vier übrig geblieben – in München einer, in Göttingen, in Mannheim und in Tübingen.

Gegründet wurde Letzterer 1979, als der Feminismus in der Universitätsstadt blühte und neun Studentinnen genügend Geld zusammenhatten, um ihr lange vorbereitetes Projekt zu stemmen. „Wir wollten der Literatur für Frauen Raum geben, wir waren Beratungsstelle, Treffpunkt, Ort für politische Debatten“, erzählt Kornelia Wagenblast von den Anfangszeiten. Lange bevor Caritas und Co ihre Hilfsangebote zu Themen wie sexuelle Gewalt oder Schwangerschaftsabbrüche etablierten, war der Buchladen eine Anlaufstelle für Frauen in allen Lebens- und Notlagen. Es gab Literatur über lesbische Liebe, Aufklärungsbücher und ein eigenes Fach für die feministische Theologie.

Überall in der Republik boomten autonome Frauenprojekte

Ein Zeichen der Befreiung auf 60 Quadratmetern in Zeiten, in denen Frauen um Gleichberechtigung kämpften, um Selbstbestimmung, um ihren Körper. Überall in der Republik boomten autonome Frauenprojekte, wurden Frauenhäuser gegründet – eine Emanzipationsbewegung, die damals auf viele Widerstände stieß. Auch im Tübinger Laden Thalestris, benannt nach einer Amazonenkönigin, klirrten nach der Eröffnung die Schaufensterscheiben.

Zu dritt führen sie heute gemeinsam die Geschäfte, alle drei waren sie von der ersten Stunde an dabei. Hanne Haeusler ist 65 Jahre alt und Verlagsgrafikerin, ihr Studium der Sozialpädagogik liegt lange zurück. „Wir leisten uns den Luxus, hier zu arbeiten“, sagt sie, verdienen könne man damit nichts, „aber Spaß haben wir jede Menge“. Sie hätten irgendwann aufgehört, sich etwas auszubezahlen, mehr als fünf Euro die Stunde gab es nie. Ein Job an der Kasse des Tübinger Landestheaters ermöglicht Nicola Poppe, 20 Stunden die Woche gute Literatur zu empfehlen und ausgewählte Bücher zu verkaufen. „Andere haben Kinder, wir haben den Buchladen“, sagt die 62-Jährige und preist den „Wahlfamilienbetrieb“, auf den sie und ihre Mitstreiterinnen ihre Lebensplanung ausgerichtet haben. Die dritte Freundin im Bunde ist Kornelia Wagenblast, auch Grafikerin, 62 Jahre alt und rundum zufrieden mit ihrer Arbeit. „Wir haben uns immer als Kollektiv begriffen“, erzählt sie stolz, „das hier ist unser Raum, ein Raum nur für Frauen, das ist ein Statement, und das ist gut.“

Ohne ihr Stammpublikum wäre das Trio allerdings aufgeschmissen. Renate, graue Haare, großer Rucksack, eine Kundin von Anfang an, holt sich an diesem Vormittag eine Bestellung ab. „Ich bin sehr treu, aber nicht sehr umsatzintensiv“, gibt sie zu, Bücher kaufe sie nirgendwo anders, unmöglich. „Das ist für mich ein Stück Heimat, das will ich unterstützen“, erzählt sie. Manchmal komme sie auch nur, um zu schauen, wie es allen gehe.

In der Auslage liegt, was die Chefinnen gerne verkaufen wollen

Das Prinzip der Gewinnmaximierung ist zwischen Frauenorakelsets und Literatur über Queer-Feminismus außer Kraft gesetzt. Vorne in der Auslage oder in den Regalen findet sich nicht, was sich gut verkauft, sondern was die Chefinnen gerne verkaufen. „Briefe aus dem Gefängnis von Rosa Luxemburg“, die Geschichte des Feminismus als Graphic Novel oder ein Roman der britischen Feminismus-Pionierin Virgina Woolf. „Nein“, wehrt Wagenblast erschrocken ab, „Bestseller wie Uta Danella oder Hera Lind haben wir nicht“, ein guter Inhalt ginge allemal vor Verkaufbarkeit.

Was in den Regalen steht, ist handverlesen und fast alles aus der Feder von Frauen. Online dagegen kann bestellt werden, was es auf dem Markt gibt, rund ein Viertel des Umsatzes laufe inzwischen über das Netz, sagt Wagenblast. Aus der ganzen Republik bestellten die Kundinnen in Tübingen. Vom Sterben der feministischen Buchhandlungen profitieren die wenigen, die überleben. Der Druck in der Branche ist groß: Die erlahmende Leselust, die Verlagerung des Handels ins Netz und die Gier der großen Internethändler – das alles geht auf die Gewinne.

„Wir machen trotzdem weiter“, sagen die Tübinger Frauen, die sich als „Neckaramazonen“ verstehen. Sie wollen dem Giganten Amazon ein winziges Stück vom Markt abknapsen und können es nicht mehr hören, dass feministischen Buchläden die Existenzberechtigung abgesprochen wird. „Nein, die Frauenbewegung hat sich nicht überlebt“, sagt Wagenblast entschieden. Sie freut sich über die vielen jüngeren Kundinnen im Laden. „Es sind die Enkelinnen der ersten Feministinnen, die das, was ihre Großmütter gemacht haben, wieder gut finden.“