Ein bis zwei Personen haben in den Minifliegern Platz. Sie sollen ohne Flugschein per Autopilot bedienbar sein und neben Bundesstraßen herfliegen. Foto: Gareth Padfield; Flight Stability and Control

Dem Stau einfach davonschweben: An dieser Zukunftsversion tüfteln Tübinger Wissenschaftler. Ein Helikopter-ähnlicher Flieger ist ihre Alternative zum Auto. Damit soll sich jeder Laie fortbewegen können.

Tübingen - 189.000-mal hatten die Deutschen 2011 die Gelegenheit, irgendwo im Stau zu stehen. Nach Angaben des ADAC sind das 3000 Staus mehr als im Vorjahr und sogar 48.000 mehr als noch 2009. Genervt vom ständigen Stillstand auf Bundesstraßen, Autobahnen und den Zufahrtstraßen zu den Industriezentren sind vor allem die Berufspendler, die häufig auf ein Auto angewiesen sind.

Vor allem für sie suchen Wissenschaftler nach Lösungen. Zusätzliche Verkehrswege zu bauen, hält Heinrich Bülthoff, Direktor am Tübinger Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik, für keine sinnvolle Idee. „Wir haben schon jetzt Probleme, die vorhandenen Straßen zu unterhalten. Daher macht es keinen Sinn, noch mehr Straßen zu bauen. Auch verbrauchen wir damit wertvollen Landschaftsraum“, argumentiert er. Sein Gegenentwurf lautet: „Wir müssen den Raum über der Straße nutzen.“

Einen Individualverkehr in der Luft hat er im Blick, vorgesehen für ein bis zwei Personen pro Fahrzeug. Dass diese fliegenden Fahrzeuge weniger Energie fressen, leicht bedienbar und bezahlbar sind, aber auch rechtlichen Fragen genügen und Anklang in der Bevölkerung finden, darum kümmert sich derzeit das EU-Forschungsprojekt myCopter. Drei Millionen Euro kostet die Studie, an der sich neben dem Tübinger Max-Planck-Institut unter anderem die Universität Liverpool und die Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETH) beteiligen.

Beweglich ist der Metallkoloss und zugleich fest im Boden verankert

Einsteigen und losfliegen, so soll der zukünftige Pendlerverkehr aussehen. Doch funktioniert ein Flieger anders als ein Auto, ist ein Fahrer kein Pilot. Deshalb erprobt Bülthoff, welche Anforderungen das Flugzeug für alle erfüllen muss. Dafür steht der Cyber-Motion-Simulator bereit, der zu den fortschrittlichsten Simulatoren weltweit zählt, wie Bülthoff erklärt.

Das Gerät täuscht einen echten Flug vor, dieses Schweben nach oben und unten, links und rechts, vorne und hinten. Beweglich ist der Metallkoloss und zugleich fest im Boden verankert. Trotzdem meint der Pilot eine kilometerlange Strecke zurückzulegen. Dafür sorgen die neun Rechner des Instituts. Sie bilden die Routen – also die Häuser, Wege und Straßen – als echte 3-D-Ansichten ab.

Wie eine Achterbahnfahrt erleben die studentischen Tester den Simulator. Dabei erproben sie nicht nur Flugstrecken und technische Geräte. Die Studenten selbst werden geprüft, wie sie mit der fliegenden Kiste zurechtkommen. So wird beobachtet, welche Anzeigefelder sie bei neu eingebauten Instrumenten nutzen. Denn die Forscher müssen wissen, was ein Fluglaie tatsächlich benötigt. Ziel ist laut Bülthoff, „dass das Fliegen so einfach sein soll wie Autofahren“.

Der Flieger muss auch in Ballungszentren einsetzbar sein

Zwar gebe es schon verschiedene Flugobjekte, etwa den englischen Skyrider. „Aber ein Modell für unsere Zwecke fehlt“, erklärt der Wissenschaftler. Schließlich muss es ein Flieger sein, der auch in Ballungszentren einsetzbar ist.

Dafür braucht es ein Modell, das wie ein Helikopters senkrecht starten und landen kann – statt die langen Bahnen eines Flugzeugs zu beanspruchen. Fliegen wird der Senkrechtstarter aber nur auf einem 500 Meter niedrigen Luftraum. So kommt er anderen Flugzeugen nicht in die Quere. Daneben ist ein Miniflieger geplant, der die Größe eines Mittelklasse-Wagens haben soll.

Herzstück beider Modelle wird der Autopilot. Über ihn gibt der Fahrer sein Ziel ein, die Strecke meistert dann größtenteils das Gerät. So kann jeder fliegen – ohne einen Flugschein. Lediglich ein leichtes Training soll als Voraussetzung notwendig sein. Doch den Flug komplett über technische Geräte regeln will Bülthoff nicht. „Menschen müssen eingreifen können, sonst verlieren sie das Vertrauen.“ Womit der Direktor auf seine Hauptaufgabe verweist: In Tübingen sollen die technisch-menschlichen Rahmenbedingungen geklärt werden, für den Bau sind später andere Forscher zuständig.

„Es sollen keine Cowboys durch die Lüfte flitzen“

Wo diese futurischsten „Stau-Entsorger“ fliegen sollen, ist noch unklar. Angedacht sind etwa Flugkorridore neben Bundesstraßen. Auch am Lärmschutz wird noch gefeilt. Oder, wie es der Wissenschaftler formuliert: „Es sollen keine Cowboys durch die Lüfte flitzen.“ Allerdings leiste hier die Technik schon einiges. Vorstellen kann sich Bülthoff Sperren. Beispielsweise könne der Lenkknüppel so konstruiert werden, dass er sich kaum noch bewegen lässt, falls ein Flieger verbotenes Gebiet ansteuert. Die Führung übernimmt in diesem Fall der Autopilot.

Wichtig ist zudem die Sicherheit der Passagiere. Damit befasst sich die ETH in Zürich. Dort sollen Start und Landung mittels Kameras erleichtert werden. Denkbar sind zudem Piep-Signale, ähnlich den Einparkhilfen eines Autos.

250.000 Dollar kosten in den USA gebaute ähnliche Modelle. Doch solche „Spielzeuge, die nichts für Otto Normalverbraucher sind“, so Bülthoff, strebe er gar nicht an. Zwar sind für andere Varianten auch 50.000 bis 70.000 Euro zu zahlen. „Aber wenn man einen VW-Käfer nur in einer geringen Stückzahl baut, ist er auch teuer“, gibt er zu bedenken. Würde der geplante Flieger in Masse produziert, sei er bezahlbar.