Stefan Paul betreibt das Kino Arsenal in Tübingen seit 1974. Nun droht der Verkauf des Hauses, in dem sich das Kino befindet, durch eine Erbengemeinschaft. Foto: Metz/Arsenal

Mit dem Tübinger Arsenal steht eines der letzten Programmkinos der Region vor dem Aus. Bürger sammeln Unterschriften, Filmfestivals fürchten um eine Spielstätte. Wird die Stadt helfen?

Tübingen - Wer geht denn noch ins Kino? Der Zeitgenosse bleibt auf der Couch und durchwandert die Streaming-Kanäle, schaut Filme in der Terminpause auf dem Tablet. Mit den Kinos jedoch droht eine Kulturform zu verschwinden, zu der Begegnung, Austausch, Atmosphäre gehören. Kaum ein Kino verdeutlicht das mehr als das Tübinger Arsenal. Nun ist es von der Schließung bedroht.

Die Hausfront von Efeu überwuchert, vor dem Kinosaal die Kneipe. Wer hierher kommt, der will Arthouse sehen, die Filme, die kein anderes Kino zeigt. Und er will vor der Vorstellung oder danach ein Getränk, ein Gespräch. Seit 45 Jahren bietet das Kino in der Hinteren Grabenstraße genau dies. Das Arsenal hat Geschichte.

„Als ich nach Tübingen kam“, sagt Ute Bechdolf, die Leiterin des deutsch-amerikanischen Instituts in der Stadt, „war das Arsenal der Ort, an den man ging, wenn man hip sein wollte.“ Bechdolf kam in den 1980er Jahren als Studentin nach Tübingen. „Das Kino ist mit mir älter geworden“, sagt sie, und: „In den letzten Jahren ist dort ein jugendlicher Spirit eingezogen, der mir gut gefällt.“ Auch Andrea Bachmann, Stadtführerin, Pressesprecherin der französischen Filmtage Tübingen, kam vor mehr als 30 Jahren in die Stadt. „Das Arsenal war mein zweites Wohnzimmer“, sagt sie. „Heute treffe ich dort meine Töchter, sie sind 18, 20 Jahre alt.“

Dem Arsenal-Gebäude droht der Abriss

Seit 1974 wird das Kino Arsenal von Stefan Paul betrieben. 1975 gründete Paul in Tübingen den gleichnamigen Filmverleih, 1984 übernahm er das Kino Atelier, unfern des Arsenal am Tübinger Haagtor gelegen. Nach 45 Jahren Kinobetrieb fiel das Gebäude des Arsenalkinos nun einer Erbengemeinschaft zu; der Verkauf droht. Errichtet wurde das Gebäude in den 1920er Jahren, vieles an ihm ist marode. Über dem Kinosaal liegen Mietwohnungen, deren Renovierung ebenfalls überfällig ist: „Es gibt keinen Aufzug im Haus, die Elektrik, die Toiletten, das Dach müssten überholt werden“, sagt Paul. Zwei Investoren, sagt er weiterhin, seien am Kauf interessiert, zumindest in einem Fall sei der Abriss des Gebäudes, die Neubebauung gewiss. „Wir haben uns deshalb an die Stadt Tübingen gewandt.“

Mit der GWG verfügt Tübingen über eine kommunale Wohnungsgesellschaft; der Aufkauf des Gebäudes durch sie stellt eine Perspektive für den Erhalt des Kinos dar. „Die Bestrebungen, dass das Kino von der GWG gekauft und somit weiter betrieben werden kann, sind nicht abgeschlossen, und die Stadt hofft nach wie vor, dass es zu dieser Lösung kommt“, sagt Daniela Harsch, Tübingens Bürgermeisterin für Soziales, Ordnung und Kultur.

Bislang jedoch ist diese Lösung nicht in Sicht. Ende Januar initiierten Tübinger Bürger eine Unterschriftensammlung, 2038 Personen unterzeichneten. Die Petition richtete sich an Boris Palmer, den Oberbürgermeister der Stadt, der selbst als Unterstützer des Kinos gilt. Stefan Paul: „Die moralische Unterstützung haben wir. Uns fehlt das Geld.“

Die Französischen Filmtage fürchten um ihren Spielort

Die Diskussion um die mögliche Schließung des Arsenal spült noch einmal Publikum in den Kinosaal mit seinen 85 Plätzen. Im Jahr 2018 jedoch waren die Besucherzahlen des Kinos drastisch gesunken, Paul spricht von Einbrüchen bis zu 18 Prozent. „Die Multiplexkinos trifft das stärker als uns“, sagt er. Die Kinolandschaft Tübingens ist geprägt durch ein akademisches, linksalternatives Publikum. Umweltschutz, Psychoanalyse, Esoterik sind Themen, die angenommen werden; die Filmproduktion Hollywoods ist nur mit Highlights präsent. Sie spielen in der Blauen Brücke, dem Popcornkino Tübingens; mit den Museumlichtspielen teilen sich Arsenal und Atelier das Arthouse-Programm.

Auch Martin Reichert, Geschäftsführer der Vereinigten Lichtspiele Tübingen, unterstützt das Arsenal: „Es wäre eine Katastrophe, wenn es verschwinden würde“, sagt er. „Wir müssten schauen, wie wir das ausgleichen könnten.“ Mit seinem Ambiente, seiner Programmauswahl, ist das Arsenal nicht nur einzigartig in der Region, ein Teil des Tübinger Lebens – es trägt auch die Kultur der Filmfestivals in der Universitätsstadt wesentlich mit. „Für unser Festival“, sagt Christian Buchholz, Leiter der französischen Filmtage Tübingen, „ist das Kino Arsenal sehr wichtig. Würde es verschwinden, könnten wir unser Programm nicht mehr fahren.“ Nicht der erste gravierende Einschnitt allerdings wäre dies für die Filmtage, die auch Kinos in Rottenburg, Reutlingen, Stuttgart bespielen. „Das kommunale Kino in Stuttgart“, sagt Buchholz, „fehlt immer noch.“