Tuberkulose wird durch Bakterien verursacht – etwa über einen Hustenanfall oder Niesen Foto: dpa

„Oh, Gott – Schwindsucht“: Die Krankheit Tuberkulose war früher gefürchtet und hatte oft einen langen Aufenthalt in einem Sanatorium zur Folge.

Stuttgart - „Oh, Gott – Schwindsucht.“ Die Mutter und die Oma des 15-Jährigen sind am Boden zerstört. Die Krankheit hatte in den 1970er Jahren noch etwas Bedrohliches, der Heilungsverlauf galt als langwierig. Die Röntgenreihenuntersuchung (bis 1983 Pflicht) hatte es ans Licht gebracht: Tuberkulose – zum Glück keine offene, also nicht ansteckend. Dennoch werden alle Mitschüler und Lehrer untersucht – ohne weiteren Befund.

An einem ungemütlichen Tag im Februar 1971 geht’s mit dem Bahnbus von Stuttgart zur Kinder- und Jugendheilstätte in Wangen im Allgäu. Einmal im Monat dürfen Verwandte zu Besuch kommen, Heimaturlaub wird es nicht geben. Wie lange sollte der Aufenthalt im Sanatorium dauern? Drei Monate, vielleicht sechs Monate, wie die Ärzte am Beginn aufmunternd meinten? Und was wird aus der Schule? Am Ende sollten es elf Monate werden, und das war noch guter Durchschnitt. Unter einem Jahr kam hier fast keiner wieder raus. Und mit der Schule? Na ja, die Ehrenrunde war sicher.

Auf der Jungenstation im zweiten Stock ist die junge, immer fröhliche Ordensschwester Wilberta aus Stuttgart-Degerloch die Mutter der Kompanie. Nach dem Spindeinräumen geht es erst einmal vier Wochen ins Bett. Jeden Morgen eine Tropfinfusion, alle paar Tage Untersuchungen und Blutabnehmen. Aufgestanden wird nur zum Gang aufs Klo und zu den Mahlzeiten. Ansonsten heißt es liegen, liegen, liegen.

Daran ändert sich auch nach diesen ersten vier Wochen nicht viel: Frühstück, am Vormittag zwei, drei Stunden Unterricht an der kleinen Sanatoriumsschule, Mittagessen. Danach wieder liegen. Eine Stunde lang sind Kartenspielen und Lesen erlaubt, dann ist eine Stunde lang absolute Ruhe angesagt. Frau Schulz, die Stationshelferin, sitzt auf einem Stuhl in einer Ecke des Ruheraums und wacht darüber, dass sich jeder der etwa 20 Jungen im Alter zwischen zehn und 18 Jahren auf seinem Liegestuhl nicht bewegt.

Augen offen halten erlaubt! Ab 15 Uhr Ausgang bis zum Abendessen – aber nicht alleine. Die unter 16-Jährigen gehen in Begleitung eines Jugendbetreuers spazieren, kegeln oder auch mal Minigolf spielen. Gleiches gilt für die Mädchen in der Station eine Etage tiefer. Um 18 Uhr gibt’s Abendessen, danach noch Fernsehen bis nach der „Tagesschau“. Abendprogramm im Fernsehen gibt’s nicht. Ausnahme: einmal im Monat „Tatort“. Um 22 Uhr wird das Licht ausgemacht. Eine Nachtschwester im Ordensgewand sorgt für Ordnung.

Etwas besser hat es, wer über 16 ist. Er darf nachmittags von 15 bis 18 Uhr alleine weg: montags, mittwochs und freitags die Jungen, dienstags, donnerstags und samstags die Mädchen. Der 16. Geburtstag wird dennoch unvergesslich bleiben.