Schlimme Erinnerungen werden wach: Im Nordosten Japans bebt wieder die Erde. Ein Tsunami trifft die Küste. Es ist die Region, die 2011 verwüstet wurde. Atomkraftwerke werden offenbar nicht beschädigt.

Tokio - Mit einem Schlag tauchen die grauenvollen Bilder wieder vor Augen auf. „Die Erinnerungen an 3/11 kommen wieder hoch“, schreibt ein Japaner im Kurznachrichtendienst Twitter und drückt aus, was Millionen Japaner an diesem Freitagnachmittag denken. Als um 17.18 Uhr Ortszeit ein schweres Erdbeben der Stärke 7,3 im Nordosten zuschlägt und die Behörden Warnungen vor einem neuen Tsunami ausgeben, ist die Erinnerung gleich wieder da: Genau wie am 11. März 2011, als ein Erdbeben und mörderischer Tsunami dieselbe Region in ein Inferno verwandelten, 19.000 Menschen in den Tod rissen und im Kernkraftwerk Fukushima einen GAU anrichteten. „Es kann mehrere Tsunami geben, begeben Sie sich auf Anhöhen und bleiben sie dort“, drängt der Sprecher des staatlichen Fernsehsenders NHK immer und immer wieder.

Was, wenn es erneut zur Katastrophe kommt? Wenn wieder wie damals eine gigantische Killerwelle ganze Dörfer und Städte zermalmt? Wenn es wieder zum GAU kommt? Sofort unterbricht Regierungschef Yoshihiko Noda den Wahlkampf und eilt ins Büro zurück. Eine der größten Sorgen gilt der Atomruine in Fukushima. Dort lagern noch immer 1500 gebrauchte und neue Brennstäbe in einem offenen Abklingbecken, dessen Dach bei der Katastrophe 2011 durch eine Wasserstoffexplosion zerstört worden war. Experten haben immer wieder vor einer noch unvergleichlich größeren Katastrophe gewarnt, sollte dieses Becken entgegen aller gegenteiliger Beteuerungen von Betreiber und Regierung durch ein neues starkes Beben einstürzen.

Bahnverkehr in Tokio zeitweise unterbrochen

„Ich konnte nur beten, dass es keine Schäden gibt. Es war ein beklemmendes Gefühl“, schildert ein Japaner auf Twitter. „Die Erschütterung war so groß und dauerte so lang“, beschreibt ein anderer die langen Minuten nach dem Erdstoß. Auch in der Hauptstadt Tokio geraten Hochhäuser ins Wanken. „Ich habe meine Mutter angerufen, sie hat am Telefon geweint“, twittert eine junge Japanerin. Doch schnell kommt die Entwarnung: Die Atomkraftwerke in der Region seien unbeschadet geblieben, melden die Betreiber. Es kommt zwar zum Tsunami, aber der ist nicht höher als ein Meter. Nur wenige Leichtverletzte soll es gegeben haben. Der Bahnverkehr auch im Raum Tokio wird zeitweise unterbrochen, doch die Menschen bleiben gefasst, Japaner sind Erdbeben gewohnt. Und so geht das Leben an diesem Freitag schnell wieder in den gewohnten Trott über.

Und doch hat das Beben den Inselbewohnern schlagartig erneut gezeigt, welche Gefahren auf sie lauern. „In Japan darf es kein Kernkraftwerk geben, haben die das immer noch nicht kapiert?“, twittert eine Japanerin ihre Wut auf die Politiker hinaus. Die stecken gerade im Wahlkampf. Dabei geht es vor allem um die Wirtschaftskrise. Viele Menschen in der Katastrophenregion beklagen, dass der Wiederaufbau kaum vorankommt und die Politiker sie schon vergessen haben. Und auch in der Atomfrage fürchten manche, dass es angesichts der Wirtschaftskrise am Ende doch nicht zum Ausstieg kommt.

Laut Umfragen dürfte die Liberaldemokratische Partei LDP des Rechtskonservativen Shinzo Abe am 16. Dezember die Macht zurückerobern. Jene LDP, die verantwortlich ist für eine Atompolitik, bei der jahrzehntelang Sicherheitsfragen vernachlässigt wurden und die weiter an der Atomkraft festhält - trotz andauernder Erdbeben.