Seit fast sechs Wochen ist Donald Trumps im Amt. Während das Entsetzen über ihn in liberalen Hochburgen groß ist, sind seine Anhänger in den ehemaligen Industriestaaten weiter von ihm überzeugt.
Youngstown - Nicht im Traum“, antwortet Carlton Ingram, wenn man ihn fragt, ob er Donald Trump gewählt hat. Nein, denn er habe dem Mann nicht zugetraut, etwas anderes zu managen als seine Immobiliensammlung, und das Weiße Haus sei ja wohl der wichtigste Managerposten im Land. Trump sei zu aufbrausend, und wenn es mal nicht nach seinem Willen gehe, packe ihn schnell der Zorn. Dabei müsste er geduldig an Kompromissen feilen, sagt Ingram, das wisse er aus eigener Erfahrung, schließlich sei er selbst Manager, Manager einer Gewerkschaft. „Aber will ich, dass Trump Erfolg hat? Keine Frage. Ich will, dass der Präsident der Vereinigten Staaten Erfolg hat.“
Youngstown, im Nordosten Ohios, das ist der Inbegriff amerikanischer Industriegeschichte. Was alles mitschwingt im Namen der Stadt, ahnt man schon, wenn man sich die gleichnamige Ballade von Bruce Springsteen anhört. Darin singt er vom Eisenerz, das man 1803 im Tal des Yellow Creek entdeckte, von den Hochöfen und davon, dass Amerika Kriege gewann mit Panzern, die mit Stahl aus Youngstown gefertigt wurden. Am Rande der Stadt sitzt Carlton Ingram im Lokal „Nr. 66“ der Gewerkschaft der Betriebsingenieure.
In der Provinz reagieren die Menschen gelassener
Ingram ist groß und breitschultrig, hat Hände wie Bratpfannen. Sein halbes Leben lang bediente er schweres Baugerät. Jetzt sitzt er in seinem Besprechungszimmer vor einem Sternenbanner mit goldfarbener Kordel und sagt, dass man Geduld haben müsse mit Trump: „Der versucht ja noch immer, in seinem neuen Haus die Toiletten zu finden.“ Ein paar Monate, glaubt Ingram, werde das Weiße Haus wohl noch einem Schiff auf sturmgepeitschter See gleichen, zumal es dem Kapitän an Erfahrung fehle. Doch irgendwann lege sich der Sturm. Ingrams Glauben an das eigene Land scheint der neue US-Präsident jedenfalls nicht erschüttert zu haben: „Wir sind nicht nur eine der großartigsten Nationen der Welt. Wir sind die großartigste. Punkt.“
Der chaotische Start, den Donald Trump hingelegt hat, nährt die Prognosen seiner Kritiker in Washington, nach denen der frühere Baulöwe womöglich nur für kurze Zeit im Oval Office regiert, vielleicht gar entmachtet wird durch ein Amtsenthebungsverfahren. Eine Fahrt über Land, quer durch die Bundesstaaten Ohio und Michigan offenbart aber, dass es dazu zwei verschiedene Wahrnehmungen gibt: dort die Hauptstadt mit ihren Fieberprognosen und den aufgeregten Journalisten, die hier die Provinz mit der Ansage „Nun wartet mal ab“.
Hier, das ist beispielsweise Bay City, ein verschlafenes Nest am Ufer des Huronsees. Tom Testa hat T-Shirts in seinem Ladenfenster ausgelegt. „Mug Shot“ steht darauf. Streng genommen sind damit Fotos für die Verbrecherkartei gemeint, hier soll es eher bedeuten, dass ein ordentlicher Schluck Kaffee aus einer Tasse („Mug“) müde Geister munter macht. Zwölf Jahre lang war Testa Polizist, heute führt er eine Bäckereikette namens „Cops & Doughnuts“. Sein Geschäft ist das Resultat einer spontanen Rettungsaktion. Als der Besitzer einer alteingesessenen Konditorei in Clare, einem 3000-Seelen-Ort mitten in Michigan, mangels Umsatz aufgeben musste, kauften ihm Testa und seine Polizeikollegen den Laden kurzerhand ab. Die Beamten aus Clare wollten das Geschäft an der tristen Hauptstraße vor dem Aus bewahren. Sie zogen selbst ein und machten Krapfen zu ihrer Spezialität. Aus der Geschäftsidee sind seit 2009 ein halbes Dutzend Cops-&-Doughnuts-Filialen geworden, eine davon steht in Bay City.
Ex-Polizist Testa: Trump hat ein paar dumme Fehler gemacht
Dass Testa den Tücken des Lebens mit Humor begegnet, hat sicher zum Erfolg des Geschäfts beigetragen. Schmunzelnd erzählt er, wie er mit zwei Mitstreitern – Bubba und Ryno – zu einer Bank ging, um einen Kredit zu beantragen. Die beiden trugen Jeans, er selbst trug einen Anzug, den er augenzwinkernd als sein Siebenhundert-Dollar-Modell beschreibt. Die Banker hätten allein mit ihm gesprochen. Seit dieser Episode wird Testa von allen „The Suit“ („Der Anzug“) genannt, und hinter der Ladentheke trägt er nur noch Hemden, die mit seinem Spitznamen bestickt sind.
Wenn Testa über Barack Obama spricht, kann man sich gut vorstellen, dass seine Stimme einmal Trumps Vorgänger im Weißen Haus gehörte. Wen er im November gewählt hat, das ginge aber nur ihn selbst etwas an, sagt er. Als Pragmatiker will er sich nicht aus Tradition auf eine Partei festlegen. Was er von Donald Trump hält? „Es scheint, dass er ins nächste Fettnäpfchen tritt, bevor er überhaupt den Mund aufgemacht hat“, brummt der Ex-Polizist und rollt mit den Augen. Trump habe ein paar dumme Fehler gemacht, das müsse aufhören, und wenn es aufhöre, könne es noch etwas werden. „Ich glaube, er ist der Richtige für den Job. Wenn er die Bürokratie in den Griff kriegt, ist uns schon geholfen.“
Zurück in Youngstown, lässt David Betras ausrichten, dass er gerade beschäftigt sei. Der Vorsitzende der Demokratischen Partei in Mahoning County – dem Kreis, in dem Youngstown liegt – will nur in aller Kürze seine Gedanken zum US-Präsidenten loswerden. So kurz wird es dann doch nicht, und vor allem wird es sehr deutlich. Der Demokrat Betras findet, dass man gar nicht genug vor Trump warnen könne. „Der Führer der Freien Welt scheint nicht in der Lage, die Wahrheit zu sagen, und wer ihn deswegen zur Rede stellt, den greift er an.“ Das strapaziere sein Nervenkostüm, sagt Betras, schließlich habe der Mann die Befehlsgewalt über die mächtigste Armee der Welt, und er sei mental instabil.
Republikanerin: Wir wollen den Wandel
Der Rechtsanwalt mit der Reibeisenstimme versucht, die spontanen Proteste gegen Trump in organisierte Bahnen zu lenken. Beginnen sollte der Widerstand in der zweiten Februarwoche, da wollte der Präsident nach Youngstown reisen, um ein Dekret zur Förderung des Kohleabbaus zu unterzeichnen. Betras rief via Facebook zu einem Treffen auf, um zu besprechen, wie der Protest gegen den Präsidenten ablaufen könnte. Schnell hatten sich tausend Leute angemeldet, obwohl es nur um die Planung ging, nicht um den eigentlichen Protest. Aus der Kundgebung wurde nichts, weil es Trump im Trubel um den Rücktritt seines Sicherheitsberaters Michael Flynn vorzog, in der Hauptstadt zu bleiben. „Aber tausend Leute! Davon hätte ich nicht mal zu träumen gewagt“, schwärmt Betras. Das Erwachen der Opposition bedeute aber nicht, dass die Tage des umstrittenen Präsidenten bald gezählt seien. Trump könnte seinen Sessel im Oval Office noch lange behalten, falls die Wirtschaft in dem Tempo wachse, wie er es versprochen hat.
Im Büro der Republikaner in Youngstown sitzt Anna Pera zwischen dem Bild eines Elefanten, dem Wappentier der Partei, und einer Pappfigur Ronald Reagans. Der frühere Präsident mit dem Hollywood-Lächeln ist noch heute das Idol vieler konservativer Amerikaner. Wie sehr sich die Auffassungen von Wahrheit und Lüge in diesen ersten Wochen der Trump-Regierung aneinander reiben, zeigt sich am Beispiel von Anna Pera. Die Republikanerin, die einst Demokratin war, sieht in Donald Trump so etwas wie die letzte Hoffnung für ihre krisengebeutelte Heimatstadt. „Er ist bestimmt kein geschmeidiger Redner, aber Worte interessieren mich nicht. Wir wollen den Wandel, wir wollen Hoffnung.“
Ruth Nabb, graue Strickmütze, blondiertes Haar, unterbricht Peras Redefluss. Die Gattin eines Bauunternehmers will über die Unehrlichkeit der sogenannten Mainstream-Medien schimpfen. Weil sie nur damit beschäftigt seien, Schmutznachrichten über Trump zu produzieren, hätten sie nicht darüber berichtet, dass Obama an seinem letzten Amtstag einer nationalistischen Palästinenserorganisation 250 Millionen Dollar überwiesen habe. Entgegnet man Ruth Nabb, dass weder die Regierungen Trump und Obama noch etablierte Medien das bestätigt haben, mustert sie einen stirnrunzelnd und fragt: „Sind Sie sicher, dass Sie nicht bei CNN arbeiten?“ Der Nachrichtenkanal gehört zu den Medienunternehmen, die Trump als „Feinde des amerikanischen Volkes“ ausgemacht hat.