Der eigentliche Erfolg ist das Wohlwollen gegenüber den Verkäufern – nicht nur auf der Straße. Sogar Joanne K. Rowling spendete ein Harry-Potter-Kapitel. Foto: red

Seit 20 Jahren rumpelt Trottwar voran. Die Straßenzeitung ist eine Erfolgsgeschichte, die es nicht geben dürfte, denn je größer der Erfolg, desto kleiner der Gewinn.

S-Mitte - Der Erfolg mehrt den Verlust. Der Geschäftsführer hat kein Recht, die Bilanz in Richtung Gewinn zu bewegen. Er darf nicht einmal die Mitarbeiter auswählen. Unternehmerisch ist dieses Unternehmen Unfug, aber es rumpelt voran, seit 20 Jahren schon. So lange gibt es die Straßenzeitung Trottwar, die ein Verein ist, kein Unternehmen. Was die Arbeit des Geschäftsführers Helmut Schmid nicht erleichtert. Über Vereine bestimmen Vorstände und Mitglieder. Die „haben alle Ideen, was man besser machen könnte“, sagt Schmid. Es klingt wie ein Seufzer. Dazu passt, dass der Zwanzigste gefeiert werden soll, wie der Zehnte und Fünfzehnte schon, nur „gibt es noch keinen Termin“.

Irgendwann fügt sich irgendwie alles. Nach diesem Prinzip wurde Trottwar ungeachtet aller Unwägbarkeiten zur Erfolgsgeschichte. 15 Verkäufer, einst obdach- oder zumindest arbeitslos, sind angestellt. Der Verein bringt Bedürftige in von ihm verwalteten Wohnungen unter. Die Verkäufer frühstücken kostenlos und können sich in einem Zimmer neu einkleiden, dessen Regale mit gespendeten Kleidern gefüllt sind. Die Straßenzeitung veranstaltet Stadtführungen zu sozialen Brennpunkten und hat ihr Trottwar-Theater-Team gegründet. Dieser Arbeitgeber begleitet seine Mitarbeiter bis in den Tod – im Wortsinn. Wer es so verfügt, kann sich seine Bestattung organisieren lassen, samt Leichenschmaus. Auf all dies „sind wir natürlich stolz“, sagt Schmid. Für alles Rumpeln, alle Diskussionen „bekommt man etwas zurück“.

Kein Alkohol und höfliches Benehmen bei der Arbeit

Wer anders empfindet, würde über die Führung dieses Geschäfts wohl wahnsinnig. Beispiel dafür, dass es eigentlich nicht zu führen ist, sind diejenigen, ohne die es kein Trottwar gäbe: die Verkäufer. Jeder holt sich im Vereinssitz so viele Exemplare, wie er im Sinn hat. Mancher kommt nur, wenn ihm das Geld vom Sozialamt ausgeht. Abgewiesen wird niemand, der sich an zwei Regeln hält: kein Alkohol und höfliches Benehmen bei der Arbeit. Allerdings konkurrieren die Gelegenheitsverkäufer mit den angestellten. Schwinden deren Verkaufszahlen, riskieren sie die Kündigung. „Natürlich könnten wir die Innenstadt für die Erfolgreichen reservieren und die anderen nach Plochingen schicken“, sagt Schmid. Das wäre gut fürs Geschäft, nur: „Sozial wäre es nicht.“ Steigen Gelegenheitsverkäufer zu erfolgreichen auf, steht ihnen ebenfalls eine Festanstellung zu. Darunter leidet die Bilanz, wegen der Sozialabgaben.

Mancher Autor scheint sich für seine Hilfe zu schämen

An der Trottwar-Erfolgsgeschichte haben viele mitgearbeitet, auch wenn mancher sich dafür zu schämen scheint. Einige Autoren schreiben unter Pseudonym. Zu ihnen zählte einst Schmid selbst. Der heutige Geschäftsführer ist seit der ersten Ausgabe dabei. Seinerzeit schrieb er als Redakteur für die Stuttgarter Nachrichten, Ressort Feuilleton, ein Mann fürs Kulturelle. Ein Jahr lang arbeitete er ehrenamtlich unter falschem Namen. Dann „habe ich gesagt, Leute, ich hab’ noch einen Hauptberuf“, erzählt Schmid. Weil das folgerichtig klang, „habe ich meinen Arbeitsaufwand erhöht, um mein Gehalt zu halbieren.“ So beschreibt er seinen Job.

Der eigentliche Erfolg ist das Wohlwollen gegenüber den Verkäufern, die etwas tun gegen ihre Not. Rund die Hälfte der Einnahmen sind Spenden. Werbeagenturen arbeiten, namhafte Autoren wie Felix Huby schrieben kostenlos für Trottwar. Joanne K. Rowling gab das erste Kapitel eines Harry-Potter-Bands zum Vorabdruck frei. Zur Feier des Zehnjährigen kam Prominenz aus Politik und Sport. Für eine Werbekampagne ließ sich Wolle Kriwanek genauso als Trottwar-Verkäufer fotografieren wie Herta Däubler-Gmelin.

All dies hilft immer nur, über aktuelle Not hinwegzurumpeln. 2012 und 2013 waren Verlustjahre. Dennoch „wird es Trottwar auch nächstes Jahr noch geben“, sagt Schmid. Die Frage ist nur wieder mal: wie? Die Auflage sank von 30 000 auf 20 000. Auch die Straßenzeitung kommt am Internet nicht vorbei. Aber „das kostet uns nur Zeit“, sagt Schmid. „Unsere Verkäufer können ja nicht mit dem Laptop auf der Straße stehen.“ Drückerkolonnen drücken zusätzlich – aufs Image. Sie sammeln Geld für Trottwar, angeblich. Es sind Betrüger.

Was Schmid zurückbekommt, sind Geschichten wie die vom Verkäufer aus Bulgarien. Einer Frau, die gesagt hat, das Heft sei zu teuer, hat er es zerrissen und für den halben Preis verkauft. „Der war witzig“, sagt Schmid – und erfolgreich: Von seinem Verdienst bei Trottwar hat er zwei Töchtern ihr Studium in England bezahlt.