Ein Pixelhaufen wurde zum Raubtier mit 10 Millionen Haaren geformt: Tigervorstufe für „Life of Pi“ Foto: FMX

Wie ein Tor zur Welt wirkt der Kongress FMX. Referenten und Besucher aus aller Welt verhandeln parallel zum Trickfilm-Festival im Haus der Wirtschaft die Zukunft digitaler Bewegtbilder. Eine Botschaft: Stuttgart trotzt der aktuellen Krise der Effektbranche.

Stuttgart - Wie ein Tor zur Welt wirkt der Kongress FMX. Referenten und Besucher aus aller Welt verhandeln parallel zum Trickfilm-Festival im Haus der Wirtschaft die Zukunft digitaler Bewegtbilder. Eine Botschaft: Stuttgart trotzt der aktuellen Krise der Effektbranche.

Auf den ersten Blick sieht alles aus wie immer auf der FMX, Firmen und Hochschulen präsentieren im Haus der Wirtschaft fantastische Bildwelten und neueste Technik. Die Heimsheimer Firma Purmundus fertigt mit einem 3D-Drucker die Kugeltiere aus den Festival-Trailern. Noch braucht die Maschine rund eine Stunde pro Tier bei einem Stückpreis von gut sieben Euro. „Das wird zunächst für Designer und Architekten interessant“, sagt Geschäftsführer Christoph Völcker. „Für Endkunden wird es sich erst in ein paar Jahren lohnen. Es gibt aber schon eine iPhone-App, mit der man 3D-Datensätze von Objekten generieren kann.“

Die deutsche Fantasy-Autorin Cornelia Funke hat mit der Firma Mirada (Los Angeles) eine App entwickelt, mit der die Leser tiefer sich in ihre „Spiegelwelt“ vertiefen können. Sie sehen sich zunächst auf dem iPad im Spiegel, hinter dem Animationen, Illustrationen und Hörmaterial warten – für Freunde der Bücher eine Fundgrube. Auf Spiele hat Funke verzichtet, „die lenken nur vom Inhalt ab“. Im gleichen Stil möchte sie nun „Drachenreiter“ und „Tintenherz“ Tablet-tauglich machen. Funk eist überzeugt: „Das Medium Buch verliert dadurch keine Leser, sondern gewinnt im Gegenteil neue hinzu, besonders jüngere.“

Ein Jahr dauerte die Entwicklung des Tigers

Die digitale Zukunft ist nicht aufzuhalten – oder doch? Beim „Recruiting“ („Anwerbung“) fehlen große Akteure wie Disney und Dreamworks („Shrek“) – sie stellen nicht ein, sie entlassen. Die Krise des Filmgeschäfts, verursacht vor allem durch Piraterie, schlägt durch. Ein Opfer: Chris Kenny. Er hat mit Rhythm & Hues (Los Angeles) für „Life of Pi“ den Oscar für Spezialeffekte (VFX) gewonnen, war aber zwei Wochen vorher pleite gegangen– ein Schock für die gesamte Branche. „Unser Anspruch war: Jedes einzelne Bild sollte ein Kunstwerk sein“, sagt Kenny in seinem FMX-Vortrag. Das physische Set bestand nur aus einem Wasserbecken mit Wellengenerator, an dem auch ein realer Tiger vorgehalten wurde. Das Raubtier im Film stammt wie der gesamte Rest aus dem Computer: Rhythm & Hues erstellte eine Bibliothek von Ozeanoberflächen und Himmeln, die beliebig kombiniert werden konnten. Die Entwicklung des hyperrealistischen Tigers mit seinen zehn Millionen digitalen Haaren dauerte ein Jahr, ein einziges Bild von ihm fertigzustellen rund 30 Stunden (bei 24 Bildern pro Sekunde). Ging der Tiger ins Wasser, trafen zwei völlig getrennte, hochkomplexe Vorgänge aufeinander. „Die längste Rechenzeit für ein Bild waren 272 Stunden“, sagt Kenny, der hochkonzentriert wirkt. Man spürt die Leidenschaft eines Mannes, der das wirtschaftliche Aus nicht verstehen kann.

Vieles müsse sich ändern, sagt bei der anschließenden Diskussion Mark Driscoll von Look Effects (L. A., „Black Swan“), der gerade im Stuttgarter Westen eine Dependance eröffnet hat – ein Zeichen, wie hoch der Standort inzwischen eingeschätzt wird. „Wir sind wegen der vielen Talente hergekommen“, sagt er und meint die Studenten besonders des Ludwigsburger Animationsinstituts, deren Qualität Roland Emmerich schon mit „Independence Day“ (1997) in Hollywood ins Gespräch brachte.

Ein zweiter Anreiz ist die MFG-Filmförderung, deren Fokus sich zunehmend auf Animation und Effekte richtet. „Wettbewerbsverzerrung“ beklagen da manche, auch durch großzügige Steuernachlässe wie in Kanada; Driscoll aber, der auch einen Sitz in Vancouver hat, argumentiert: „Die Frage ist doch, wie wir Subventionen zu unserem Vorteil nutzen können.“ Der französische Transmedia-Spezialist Jean-Noel Portugal wendet ein: „Wenn man ins Ausland geht, muss man sicher sein, dass die Subventionen langfristig gesichert sind. Sonst wird man zum Nomaden.“ Er glaubt auch, dass der Niedergang der Branche in Kalifornien Hollywood schadet: „Das wird die Filmproduktion schwer treffen, denn in kreativen Prozessen muss man direkt miteinander reden.“

Die FMX 2014 soll noch größer werden

„Könnte eine Gewerkschaft helfen?“, fragt Moderator Eric Roth, der einer solchen vorsteht, der Visual Effects Society, die ebenfalls eine Niederlassung in Stuttgart erwägt. Die Produzenten zucken. „Nur, wenn sie global agieren würde, auch in China und Indien, um Lohn-Dumping zu verhindern“, sagt Christian Vogt von Pixomondo (Stuttgart). Die global aufgestellte, für „Hugo Cabret“ Oscar-prämierte Firma hat kürzlich London und Berlin aufgegeben. „Wir stärken Standorte, die gut laufen, und schließen andere“, sagt er. „Hätten wir die Entwicklung vorausgesehen, hätten wir nicht nur auf VFX gesetzt, sondern auch auf Werbung, TV-Serien, E-Learning – alles, wofür man digitale Bewegtbilder braucht.“

Driscoll kann sich einen Unternehmensverband vorstellen: „Das könnte unsere Position gegenüber den Produktionsfirmen stärken. Im Moment stehen wir ganz am Ende der Entscheidungskette und ruinieren uns gegenseitig – würde man uns früher einbeziehen, könnte man viel Geld sparen.“

Die FMX 2014 soll noch größer werden. „Das Haus der Wirtschaft ist dann zu klein, die Liederhalle bereits gebucht“, sagt Kulturstaatssekretär Jürgen Walter, der auf ein größeres Engagement der Stadt Stuttgart hofft. Tatsächlich geht es der FMX wie der VFX-Branche: Sie ist über ihr Budget hinausgewachsen. Viele Städte wären froh, über ein solches Tor zur Welt überhaupt zu verfügen; nur darüber nachdenken zu müssen, wie man es offen halten kann, wirkt da fast wie ein Luxusproblem.

www.fmx.de und www.itfs.de