Ein Sklave wird zu einem humanistischen Helden des frühen Islam: Szene aus „Bilal“ Foto: ITFS

Die Welt wird immer komplexer, das zeigen beim Trickfilm-Festival auch die animierten Spielfilme für Erwachsene. Hoffnung schimmert in allen.

Stuttgart - „Demokratie – theoretisch gut, praktisch gefährdet“, befindet die Friedrich-Ebert-Stiftung in ihrer jüngsten Studie zu rechtsextremen Einstellungen in Deutschland, „Verlorene Mitte – feindselige Zustände“. Jede zweite befragte Person neige dazu, Asylsuchende abzuwerten. Auch Roma, Sinti und Muslime sind nicht gut gelitten. Da wirkt es wie ein Statement, wenn beim Stuttgarter Trickfilmfestival ausgerechnet ein Werk aus den als streng religiös und autoritär geltenden Vereinigten Arabischen Emiraten vom ewigen Kampf um Freiheit, Toleranz und Solidarität erzählt.

In aufwendig am Computer animierten, fast fotorealistischen Bildern schildern Khurram H. Alavi und Ayman Jamal im Heldenepos „Bilal“ das Leben des wahrscheinlich ersten Muezzin Bilal ibn Rabah. Der durchläuft um 580 nach Christus als Kind eines arabischen Sklaven und einer unterworfenen abessinischen Prinzessin ein Martyrium, auch aufgrund seiner Hautfarbe. Von den Eltern getrennt, wachsen Bilal und seine Schwester als Leibeigene eines grausamen Herrn auf. Diese Erfahrung lässt in Bilal die Idee der Gleichheit aller Menschen reifen, für die er sich als Erwachsener entschlossen einsetzt.

Ein islamischer Sozialrevolutionär

Nach dem Vorbild klassischer Monumentalerzählungen zeichnet der Film ein humanistisches Antlitz des frühen Islam. Bilal trägt Züge eines Sozialrevolutionärs, wie man sie auch populären Figuren im westlichen Kulturkreis zuschreiben könnte – Jesus Christus etwa oder dem römischen Sklaven Spartacus. Bilals Wut auf die Ikonenhändler, die abergläubischen Bürgern Geld aus der Tasche ziehen, erinnert an den Zorn Martin Luthers auf den katholischen Ablasshandel. Der muslimische Wertekanon wirkt hier weniger fremd als gedacht.

Insgesamt bietet die Auswahl der acht Spielfilme für ältere Teenager und Erwachsene eine Übersicht gegenwärtiger politischer und gesellschaftlicher Brandherde: Rassismus, Intoleranz, soziale Ungleichheit, aber auch Utopien von Freundschaft, Versöhnung und Zusammenhalt bilden das Themenspektrum. „Black is Beltza“ des Spaniers Fermin Muguruza über die Diskriminierung von Schwarzen trifft den Nerv der Zeit wie auch die deutsche Animationsdoku „Kleine Germanen“ von Mohammad Farokkmanesh und Frank Geiger über die Kinder von Neonazis.

Nicht die Probleme stehen im Fokus, sondern deren Lösung

In „The Tower“ geht der Norweger Mats Grorud den Problemen palästinensischer Flüchtlinge im Libanon nach und benennt damit eine besonders heikle Konfliktlinie, die seit 70 Jahren die internationale Politik beschäftigt. Auf der Basis von Interviews mit Geflüchteten im Beiruter Flüchtlingslager Burj el-Barajneh entwickelt er eine Familiensaga im Stopp-Trick-Verfahren. Dabei richtet er den Blick nicht auf komplexe staatsrechtliche und ethnische Probleme, sondern schaut durch die Augen eines kleinen Mädchens, das mit seiner Mehrgenerationenfamilie einen der titelgebenden Türme in Burj el-Barajneh bewohnt.

Die kindliche Protagonistin ermöglicht erwachsenen Zuschauern eine unvoreingenommene Perspektive auf den alten Konflikt. Hier geht es nicht um die Frage, wer schuld hat an der Misere im Nahen Osten, welche Bevölkerungsgruppe welche Rechte anmelden darf oder wer Täter und wer Opfer ist. Grorud lässt alle Generationen von Alltagssorgen berichten und von ihren Erfahrungen mit Flucht und Vertreibung. Einen Feind benennen die Figuren nicht, dafür die Hoffnung, den Verlust der Heimat und den Krieg irgendwann überwinden zu können.

Das Gute wollen und doch falsch handeln

Ein ästhetisch reizvoller, inhaltlich verstörender Kolonialalbtraum des 19. Jahrhunderts ist „This magnificent Cake!“ aus Belgien. Daneben überzeugt besonders Salvador Simo Busoms Zeichentrick-Biopic „Bunuel in the Labyrinth of the Turtles“, das die Entstehung eines bedeutenden Films des spanischen Surrealisten nachvollzieht. 1930 versucht Luis Bunuel unter widrigsten Bedingungen mit Hilfe seines Freundes und Produzenten Ramon Acin eine Dokumentation über die Bewohner der unwirtlichen Gebirgslandschaft Las Hurdes zu drehen. Das surrealistische Essay „Tierra sin pan“ porträtiert schonungslos die Armut und die Allgegenwart des Todes, wobei Bunuel Szenen vom Sterben verschiedener Tiere bewusst inszenierte.

Obwohl die klar gezeichneten, poetischen Bilder in erdiger Farbpalette viel sanfter wirken als die Realität, geht die Schilderung der teils brutalen Dreharbeiten an die Nieren. Die Rücksichtslosigkeit, mit der der seelisch gebrochene Filmemacher die Not seiner Protagonisten abzubilden versucht, steht im krassen Widerspruch zu seiner überbordenden Empathie. Bunuel hat immerhin gegen die machtvolle Dialektik angekämpft, das Gute zu wollen und doch falsch zu handeln. Mindestens diesen Gedanken können erwachsene Zuschauer vom Festival mitnehmen.