Bären sorgen in Stuttgart für Gesprächsstoff: Hat man vor 90 Jahren in einem Stuttgarter Restaurant Bärenschinken mit fatalen Folgen verspeist? Foto: dpa

Was geschah in den 1930ern im Königshof in Stuttgart? Ein „Bärenschmaus“ mit fatalen Folgen sorgt über 90 Jahre später für Gesprächsstoff. In zahlreichen Mails sorgen Leserinnen und Leser des Newsletters „StZ Damals“ für Aufklärung.

Stuttgart - Geschichten gibt’s, die sind zu schön, um falsch zu sein. Man nennt sie „Urban Legends“. Wenn ein Freund erzählt, die Schwester einer Freundin habe was Irres erlebt, stehen die Chancen gut, dass es sich dabei um eine Großstadtsage handelt, um ein modernes Schauermärchen, bei der sich Realität und Fiktion gern vermischen oder sich selbstständig machen.

Keiner weiß, wie wahr diese Geschichten sind, etwa die von der Spinne in der Yuccapalme, aber man erzählt sie trotzdem gern weiter. Gab es vor 90 Jahren auch schon solche Großstadtlegenden? Wie ist das mit dem Bärenschinken, den ein Stuttgarter Gasthaus in den 1930ern als Delikatesse serviert haben soll, worauf Gäste gestorben sind? Angeblich waren sie an Trichinose erkrankt. Man erzählt sich, ein Zirkus oder ein Zoo habe den Bären zur Schlachtung verkauft.

Unser Leser Werner Hees hat imNewsletter „StZ Damals“ das Thema aufgebracht – und damit eine Welle an E-Mails ausgelöst. Hat er mit dieser Geschichte allen einen Bären aufgebunden?

„Die Geschichte wurde im Biologieunterricht erwähnt“

Nein, hat er nicht! Da sind sich die viele Leserinnen und Leser einig, die sich ebenfalls zum Bärenschinken geäußert haben. Die über 90 Jahre alte Geschichte beschäftigt die Menschen auch heute noch. Heinz Decker schreibt: „Ich habe genau die gleiche Geschichte, ohne die beteiligten Namen, von meinem Vater (Jahrgang 1908) gehört. Später in der Oberschule wurde sie im Biologieunterricht erwähnt.“

Auch Theresa Geier kann die Geschichte bestätigen: „Meine Eltern, beide Jahrgang 1893, erzählten mir (Jahrgang 1937) oft davon, dass sie auf die Nachricht, dass es Bärenschinken zu essen gebe, am Sonntagabend zum Essen fuhren und sich schon sehr auf die exotische Mahlzeit freuten. Zu ihrem Leidwesen war gerade vor ihnen die letzte Portion ausgegeben worden, und so bekamen sie nichts mehr davon ab. Ihren Schrecken, aber auch ihre Erleichterung kann man sich vorstellen, als sie kurz darauf erfahren haben, wie viele Menschen an dem mit Trichinen verseuchten Fleisch verstorben waren. Wie mir berichtet wurde, hatte der Fleischbeschauer in seinen Vorschriften nichts gefunden, dass Bärenfleisch untersucht werden müsse, und so wurde das Fleisch unbesehen freigegeben.“

„Den Bärenschmaus konnte sich nur die bessere Gesellschaft leisten“

Frau Geier hat extra zur Bestätigung noch ihren Bruder (Jahrgang 1924) angerufen, der ihr die Geschichte auch noch bestätigen konnte. Ihre Tochter (Jahrgang 1972) bekam diese Geschichte ebenfalls häufig von ihrer Oma erzählt - mit der Warnung, niemals Bärenfleisch zu essen!

Aus Kanada schreibt Wolfgang Uber, ein treuer Leser und Fan von „StZ Damals“: „Vorweg, ich bin in der gleichen Altersklasse wie Herr Hees. Auch in unserer Familie war dieser Vorfall mit dem kontaminierten Bärenschinken, der in einem Stuttgarter Restaurant serviert wurde, bekannt. Zum ersten Mal hörte ich davon von meinen Großeltern und meinen Eltern Ende der 1950er Jahre. Auch die Tante meines Vaters wusste davon. Es soll sich in den späten 1920ern Jahren ereignet haben. Demnach soll der Bärenschinken in einem noblen Restaurant an der unteren Königstraße serviert worden sein. Alle Gäste, die diese Delikatesse aus Neugierde verspeist hatten, wurden danach krank.“

Heidi Becker hat von der Bärengeschichte als Kind erfahren: „Die Stuttgarter Bevölkerung hat angeblich darüber gelacht und war schadenfroh, weil sich den ,Bärenschmaus’ nur die ,bessere Gesellschaft’ leisten konnte.“

Wolfgang Müller hat die amtliche Quelle entdeckt

Helmut Müller weiß, wo der Bär serviert worden ist: im Königshof an der Königstraße 18. Er schickt einen Artikel, in dem die Krankheit erklärt wird: „Die Trichinose wird durch Trichinen hervorgerufen, kleine schmarotzende Haarwürmer, die im Laufe ihrer Entwicklung mindestens zwei, oft mehrere Wirte wechseln. Die gewöhnlich zwei bis vier Millimeter langen Weibchen gebären im Dünndarm 1500 bis 2000 Junge, die dann die Darmwand durchbohren und in die Muskeln des ersten Wirtstieres wandern.“ Wenn die Trichinen in den Herzmuskeln gelangen, kann dies zum Tod führen. Eines der Opfer war der Brennereibesitzer Christian Grupp, der am 15. März 1930 an der Fleischvergiftung gestorben ist. Ein Gericht habe zu klären versucht, ob von irgendeiner Seite ein Verschulden vorlag. Man hätte, so die Richter, den wohl aus einem zoologischen Garten stammenden Bär untersuchen müssen, ehe das Fleisch verkauft wurde.

Wolfgang Müller, der mit der Initiative Stadtgeschichte wesentlich dazu beigetragen hat, dass es das Stuttgart-Museum im Stadtpalais gibt, hat in der Chronik der Stadt Stuttgart, verfasst von Wilhelm Kohlhaas, erschienen 1964 im Ernst Klett Verlag, die „amtliche“ Quelle für die Bärengeschichte gefunden. Im chronologischen Überblick steht zum 19.Februar 1930: „Trichinose-Erkrankungen im Restaurant Königshof (Königstraße 18, das Haus gehört heute noch der Brauerei Dinkelacker).“ Im Text auf Seite 222 (dort mit dem falschen Datum 19.3.1931) wird berichtet, dass nach dem Verzehr des Schinkens von einem geschlachteten Menageriebären 69 einheimische und 14 auswärtige Gäste an Trichinose erkrankten. Der Wirt und zwölf Gäste starben. „Bärenfleisch war nicht ausdrücklich für die Trichinenschau benannt“, schreibt Wolfgang Müller, „nach diesem Vorfall wurden die Vorschriften entsprechend erweitert.“

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Heute käme niemand mehr auf die Idee, einen Bären zu verspeisen. Generationen von Müttern und Vätern haben ihre Kinder gewarnt vorm Bärenschinken. Bei dieser Geschichte vom Königshof handelt es sich also um keine urbane Legende, die sich 90 Jahre lang gehalten hat.

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