Diese Fußgängerbrücke in Albstadt wurde aus Textilbeton gebaut. Noch muss jedes Bauwerk aus dem neuen Material einzeln genehmigt werden. Foto: Groz-Beckert

Deutschland ist Weltmarktführer was den Bau mit textilen Materialien angeht. Doch die Bauindustrie ist zurückhaltend. Zu teuer und noch nicht ausreichend getestet seien die Baustoffe.

 

Deutschland ist Weltmarktführer was den Bau mit textilen Materialien angeht. Doch die Bauindustrie ist zurückhaltend. Zu teuer und noch nicht ausreichend getestet seien die Baustoffe.

Schals aus Kaschmir-Wolle und Tücher aus Kamelhaar. Das sind die Produkte, mit denen die Fraas GmbH ihr Geld verdient. Seit einiger Zeit will das Unternehmen aus Oberfranken auch im Baustoffgewerbe mitmischen. Passt nicht zusammen? – Doch, findet Roy Thyroff. Er ist bei Fraas für die Bau-Sparte zuständig. Auf einer Pressekonferenz in Berlin stellte er das Konzept kürzlich vor.

Textilien eigneten sich nicht nur für Dachkonstruktionen wie in vielen Fußballstadien, sondern auch als Ersatz für Stahl im Beton tragender Konstruktionen, findet er.

Stahlbeton ist ein Verbundstoff aus Metall und Beton. Stahlstäbe, die zu einem Gitter verschweißt sind, werden in den Beton eingegossen. Grund dafür ist, dass Beton zwar sehr stabil auf Druck reagiert, aber auf Zug sehr empfindlich ist. Der Stahl gleicht das aus, aber er muss auch vor Rost geschützt werden. Deswegen muss der Beton zentimeterdick auf die Stahlträger aufgetragen werden. Das macht die Bauwerke sehr schwer und erlaubt keine filigranen Formen. Und Baustahl fängt nach 20 bis 40 Jahren an zu rosten, weil der Beton Risse bekommt.

Textilbeton: belastbarer und langlebiger?

An dieser Stelle wollen die Befürworter des Textilbetons wie Roy Thyroff einhaken. Sie argumentieren, dass Textilbeton belastbarer und langlebiger ist als die althergebrachte Variante, weil rostfreie Materialien verwendet werden können. Ein Beispiel dafür wären Kohlenstofffasern. Ähnlich wie beim Stahlgitter verhindert ein Gewebe, dass der Beton bei Zug auseinanderbricht. Statt sechs Zentimeter Beton auf beiden Seiten des Baustahls benötigt man bei einem Kohlenstofffasergewebe aber nur zwei bis drei Zentimeter. Dadurch kann man Material sparen und eleganter bauen. Bei der Herstellung lassen sich zwei Drittel der Energie einsparen, die für Stahlbeton notwendig wären. Das ist ökonomischer und auch gut für die Umwelt.

Ist also der Siegeszug des Textilbetons nicht mehr aufzuhalten? Ganz so ist es nicht. Denn bevor Brücken und Häuser aus dem neuen Material entstehen können, muss das Deutsche Institut für Bautechnik prüfen, ob es auch sicher genug ist. Und das kann noch mehrere Jahre dauern.

Doch es gibt auch jetzt schon Möglichkeiten, den gewebten Beton einzusetzen. Zum Beispiel wurde 2010 in Albstadt eine Fußgängerbrücke aus Textilbeton gebaut, die ausnahmsweise genehmigt wurde. Es ist eine Art Aushängeschild für die Firma Groz und Beckert, die in der Branche eine große Zukunft wittert. „Wir sind sehr zufrieden mit der Brücke, und ihretwegen kommen Touristen aus der ganzen Welt zu uns“, sagt ein Sprecher der Stadtverwaltung.

Einsatz bislang vor allem bei Sanierungen

Eine andere Möglichkeit, mit Textilien zu bauen, gibt es in der Sanierung von bestehenden Gebäuden oder Brücken. Das Prinzip ist einfach. Auf die Wände, beispielsweise eines in die Jahre gekommenen Zuckersilos, werden Gewebebahnen aus Kohlestofffasern wie Tapeten aufgeklebt. Danach wird Beton aufgespritzt. Das nimmt nur wenige Zentimeter Platz weg und der Silo verliert kaum Fassungsvermögen und auch die Gesamtlast erhöht sich dabei nur unwesentlich.

Das spielt vor allem bei einsturzgefährdeten Decken eine Rolle. Sie können mit der Methode stabilisiert werden, ohne dass Stützpfeiler notwendig sind oder die verstärkte Decke unter ihrer Eigenlast zusammenbricht. Und der Markt dafür ist groß. Allein zehn Milliarden Euro werden in Deutschland jedes Jahr für Verstärkungen an Brücken Dächern und Hausfassaden ausgegeben, wie der Unternehmerverband Textil und Mode schätzt. Doch bevor die neuen Baustoffe im großen Stil hergestellt werden können, müssen Maschinen auf den Markt kommen, die speziell dafür entwickelt wurden. Das lässt aber auf sich warten, denn nur wenige Unternehmen sind bereit, in Textilbeton zu investieren. Zu viele Fragen seien noch offen, erklärt Claus Goldammer, Bauberater des Deutschen Beton- und Bautechnikvereins, die Zurückhaltung.

Wie sich die Bauteile bewähren, muss sich erst zeigen

„Wie sich die Bauteile auf Dauer bewähren, ob sie zum Beispiel auf Jahre gegen jede Witterung resistent sind, muss sich erst noch zeigen “, sagt Goldammer.

Ein weiteres Problem ist, dass Kohlenstofffasern bisher noch zu teuer in der Herstellung sind. Bei der Gebäudesanierung spielt das weniger eine Rolle, weil die Alternative ein kostspieliger Neubau wäre. Damit Bauherren aber von Anfang an auf Textilbeton setzten, muss entweder ein billigeres Verfahren entwickelt werden oder ein preisgünstigeres Material gefunden werden.

Wenn das erreicht ist, steht dem Bauen mit Textil nichts mehr im Wege. Geforscht wird derzeit sogar schon an einer Sensorik, die man mit dem Gewebe in den Beton einbetten kann. Schäden am Gebäude können dann frühzeitig erkannt und genau lokalisiert werden. Sogar eine ultradünne Heizung könnte direkt in die Wand integriert werden.

Noch sind deutsche Firmen Weltmarktführer in der Branche. Patentieren lassen möchte sich die neuen Baustoffe bisher aber kaum jemand. Zu groß ist die Angst, dass skrupellose Firmen in Ostasien sonst mithilfe billiger Arbeitskräfte Imitate herstellen und die Branche eingeht, bevor sie sich überhaupt richtig entfalten konnte.