Oben ohne: Unverkleidete Maschinen­, sogenannte ­Naked Bikes, wie die Yamaha MT-07 sind beliebt Foto: Yamaha

Die einen mögen es nostalgisch wie im Kultfilm „Easy Rider“, die anderen setzen auf große Motoren und möglichst viel Technik-Schnickschnack. Gut, dass die Hersteller jeden Geschmack bedienen.

Stuttgart - Vielfalt Motorradfahren hat sich in den letzten 30 Jahren zum Hobby für alle Gesellschaftsschichten entwickelt. Die Motorradhersteller besetzen daher immer mehr Nischen mit neuen Produkten: Unverkleidete Motorräder mit meist aufrechter Sitzposition, sogenannte Naked Bikes wie Yamaha MT-07 oder Honda NC 750, finden gerade in der Mittelklasse neue Fans. Langgabelige Chopper mit tiefer Sitzposition gibt es liebevoll ausgestattet heute schon ab Werk, Harley-Davidson hat damit großen Erfolg. Sportmaschinen mit Stummellenker für die sportliche Sitzhaltung werden technisch immer ausgefeilter, ebenso wie die zunehmend größer und tourentauglicher daherkommenden Reise-Enduros.

Reise-Enduros

Reise-Enduros sind heute das umsatzstärkste Segment, an dessen Spitze in vielen Ländern seit Jahren unangefochten die BMW R 1200 GS steht. Eine Reise-Enduro ist so etwas wie die eierlegende Wollmilchsau, die eine für jeden Zweck. Ähnlich wie ein SUV im Autobereich verkörpert die Reise-Enduro das Ich-könnte-wenn-ich-wollte-Gefühl. Dabei fährt sich dieses Motorrad so leicht, dass man stets das Gefühl hat, alles im Griff zu haben, egal ob KTM Adventure, Yamaha Superténéré oder Triumph Tiger draufsteht. Kleine, leichte Alltag-Enduros sind kaum noch zu finden, Hersteller wie KTM haben sich unter anderem auf hochbeinige Maschinen fürs Gelände spezialisiert.

Funbikes

In den 80er Jahren baute jemand in die leichten Enduros kleine, breite Räder ein, um damit auf gemischten Asphalt- und Schotterpisten im Kreis zu fahren. So entstand die Kategorie Supermoto. Funbikes wie Aprilia Dorsoduro, Ducati Hypermotard oder Yamaha XT 660 X sind die Enkel dieser Variante, Geräte wie Ducati Multistrada oder BMW S 1000 RX die aktuellen Vertreter. Kräftig, schnell, aber leicht zu beherrschen sollen sie sein, Fahrbarkeit lautet das große Stichwort.

Motoren

Immer mehr Elektrobikes drängen auf den Markt. Aber offenbar wiegen ein hoher Preis und die eingeschränkte Reichweite schwerer als die Faszination der leisen Beschleunigung. Der Zuspruch ist bislang eher verhalten. Dafür sind die durstigen, stinkenden Zweitakter jenseits der 125 Kubikzentimeter ausgestorben. Moderne Viertaktmotoren haben auch beim Motorrad eine wirkungsvolle Abgasreinigung, sind aber nicht so sehr auf Sparsamkeit ausgelegt wie im Autobereich.

ABS und Co.

Deutlich später als beim Auto kommt auf dem Motorradmarkt der Trend zu immer mehr Technik und Fahrerassistenzsystemen an. Das Antiblockiersystem (ABS) gab es zwar schon Ende der 80er Jahre für BMW-Modelle, später auch von Suzuki und Yamaha, es konnte sich aber erst nach der Jahrtausendwende richtig durchsetzen. EU-weit zur Pflicht wird es ab 2016 für neu vorgestellte Motorradtypen, ab 2017 für alle neu zugelassenen Maschinen mit mehr als 125 Kubikzentimeter Hubraum. Zum ABS gesellt sich ASC, die Abkürzung für Anti-Slide-Control, eine Antischlupfregelung, die das Durchdrehen des Hinterrades verhindert. DSG schließlich bedeutet Doppelkupplungsschaltgetriebe. Dahinter verbirgt sich ein automatisiertes Schaltgetriebe ohne Handkupplung. In diesem Bereich ist Hondas DCT derzeit führend.

Sonderausstattung

Manche Aufpreisliste eines aktuellen Tourenmotorrades von BMW oder Harley- Davidson liest sich wie die eines Autos: Zusätzlich bestellt werden können etwa Sitzheizung, Zentralverriegelung (für Koffer, Topcase und Handschuhfach), versenkbares Navi, Soundsystem oder Kurvenlicht. Letzteres erforderte die Entwicklung eines Schräglagensensors, denn woher sollte sonst der Scheinwerfer ahnen, wann er um die Ecke leuchten soll? Dieser Schräglagensensor ist auch ein wichtiger Bestandteil des neuesten Schreis in Sachen Motorradbremsen: des kurventauglichen ABS. Das bisherige Antiblockiersystem hatte bereits der Notbremsung geradeaus den Schrecken genommen. Allerdings war es bisher der Horror des Motorradfahrers, in Schräglage zu bremsen. Dank des Kurven-ABS kann nun – eine passable Bodenhaftung vorausgesetzt – auch in Kurven kräftig in die Bremse gelangt werden. Eine unvorhergesehene Bremsung wird so wesentlich leichter beherrschbar.

Retro

Eine wachsende Zahl Motorradliebhaber ist mit technischem Schnickschnack allerdings gar nicht mehr zu locken. Ihr Credo heißt Retro, das heißt, sie orientieren sich an der Optik früherer Motorradgenerationen. Ihr Wunschmodell sieht nach Naked Bikes aus, also nach Motorrädern ohne Verkleidung, wie vor 30, 40 Jahren. Oder wie ein Café- Racer, ein Naked Bike mit Stummellenker und Heckbürzel.

Weitere Design-Vorbilder: Scrambler, die Vorstufe zur Enduro, oder ein Bobber mit ganz dickem Vorderreifen. Wichtig ist vor allem: möglichst wenig Technik. Gesucht wird das nackte, pure Erleben. Man will sich die Strecke erkämpfen, den Wind fühlen. Bequemlichkeit kann man zu Hause oder im Auto haben, das Motorrad muss man spüren, so die Einstellung.

Ein bisschen Technik müssen aber auch Retro-Jünger in Kauf nehmen, denn um den Abgasrichtlinien zu entsprechen, geht bei Neuanschaffungen nichts ohne Einspritzanlage. Kaum ein Hersteller, der dem Nostalgie-Trend nicht folgt. Retro ab Werk bieten etwa BMW mit der RnineT, Triumph mit den Bonneville-Modellen, Kawasaki mit der W 800, Honda mit der CB 1100 oder Yamaha mit der SR 400.

Harley-Davidson setzt schon länger auf diese Karte, aktuell auch die wiedererweckte Marke Indian. Retro gibt es aber nicht nur in Neu. Gefragt sind heute auch echte alte Maschinen, die in zahlreichen kleinen Werkstätten in Handarbeit um- und aufgebaut werden. Customizing, das Individualisieren eines Serienproduktes, wird ebenfalls immer beliebter.

Und so ist sicher für jeden etwas dabei auf dem bunten Motorradmarkt. Eine Empfehlung indes hat noch immer Bestand: Lieber klein anfangen und aufsteigen als groß einsteigen und hinfallen.