Craft-Biere, was übersetzt so viel wie handwerklich hergestellte Biere bedeutet, sind derzeit – hier darf das Wortspiel sein – in aller Munde. Foto: Max Kovalenko

Revolution im Sudkessel: In Deutschland wird mehr handwerklich hergestelltes Bier getrunken. Craft-Bier nennt sich der Trend.

Mareike Hasenbeck (28) war nie eine große Biertrinkerin. Mal ein Radler im Biergarten. Mehr nicht. Und das obwohl sie in der Biermetropole München wohnt. Dann aber war sie vor etwa drei Jahren zu einem Bierabend geladen. Im Glas: ihr erstes Craft-Bier. „Das war das Pale 31 von der US-amerikanischen Brauerei Firestone Walker“, erzählt Hasenbeck. Und dieses Bier hat bleibenden Eindruck hinterlassen. „Ich konnte mich mit dem Einheitsgeschmack von Bier nie so richtig anfreunden. Von diesem Bier aber war ich fasziniert: Warum schmeckt das auf einmal so fruchtig?“ Seitdem ist Hasenbeck leidenschaftliche Craft-Bier-Trinkerin und -Testerin. Die Münchnerin bloggt darüber auch im Internet unter www.feinerhopfen.com.

Craft-Biere, was übersetzt so viel wie handwerklich hergestellte Biere bedeutet, sind derzeit – hier darf das Wortspiel sein – in aller Munde. Es gibt eine kleine Revolution im Sudkessel . Die Biere können nach Grapefruit duften, nach Litschi schmecken. Und sie werden dennoch nach dem deutschen Reinheitsgebot hergestellt, also mit nur vier Zutaten: mit Wasser, Hopfen, Malz und Hefe. Mehr braucht es nicht. Da ist kein Obst, kein Zusatz drin. Zumindest nicht bei den deutschen Craft-Bieren. Sie sind das Gegengewicht zu den klassischen, etwas langweilig schmeckenden Fernsehbieren. Den Industriebieren.

Der Trend der Craft-Biere kommt aus Amerika. Es war in den 70er Jahren, als ein paar Verrückte, frustriert über den langweiligen amerikanischen Biermarkt, der von nicht mal einer Handvoll Marken beherrscht wurde, in Garagen experimentierten und Bierstile wie Pale Ale oder Stout entdeckten. Jetzt gibt es auch hierzulande immer mehr kleine Brauereien, die auf handwerklich hergestelltes Bier setzen, auf Ecken und Kanten, auf Bier mit Charakter.

Die Definitionen, wann ein Bier ein Craft-Bier ist, gehen auseinander. Handwerklich und in kleinen Chargen muss es hergestellt sein. Und kreativ produziert werden, also mit Aromahopfen oder Ähnlichem. „Für mich muss ein Craft-Bier authentisch, handwerklich und mit Liebe hergestellt sein“, so Hasenbeck. Ein weiterer Kenner der Craft-Bier-Szene ist Wolfgang Heinrich (55) vom Getränkehandel Heinrich in Kornwestheim. Seine Definition: „Es ist ein besonderes Handwerk, es gehören besondere Menschen dazu, und es geht um regionale Zutaten.“

Craft-Bier-Trend kommt den deutschen Bierbrauern gerade recht

Für Werner Dinkelaker (47), geschäftsführender Gesellschafter bei der Schönbuch Braumanufaktur in Böblingen, Diplom-braumeister und ein Bierverrückter (nachzulesen unter www.bierblog.eu), geht die Definition noch weiter: „Craft-Bier heißt nicht gleich automatisch gutes Bier, sondern positiv gesehen die Rückbesinnung auf die Qualität unserer Biere mit all ihren Facetten.“

Wie auch immer die Definition ausfällt, der Craft-Bier-Trend kommt den deutschen Bierbrauern gerade recht. Seit Jahren geht der Bierkonsum in Deutschland zurück. Und jetzt auf einmal entdecken Menschen Bier für sich, die sich zuvor nicht dafür interessiert haben. Bier ist chic. Man trinkt die Biere nicht aus einem großen Maßkrug, nicht aus dem Halbe-Glas, sondern in speziellen Gläsern, die Weingläsern nicht unähnlich sind.

Immer mehr Frauen finden Geschmack an den neuen Bierstilen, die besonders sind. „Frauen ist ein Pils oft zu bitter“, sagt Hasenbeck. Bier sei jetzt eher ein Genussmittel. Das gute Glas Rotwein wird durch ein gutes Glas Bier ersetzt. Bier kommt somit raus aus der Proll-Ecke. Das Image als Arbeitergetränk gehört der Vergangenheit an. Und: Die Biere kosten teilweise auch deutlich mehr als Industriebiere. „Man muss verstehen, dass da ein anderer Aufwand dahintersteckt“, sagt Hasenbeck. „Die Leidenschaft, die Rohstoffe. Die Brauer spielen mit verschiedenen Hopfen und Malzen.“

Kleine Brauereien wirbeln Markt durcheinander

In den vergangenen drei, vier Jahren wurden Craft-Biere auch hier immer populärer. Man stolpert in der Berliner Markthalle Neun an einen Stand, an dem Craft-Bier ausgeschenkt wird. Bei Essenseinladungen bekommt man statt einer Flasche Wein ein gutes Bier mitgebracht. Craft-Biere bringen frischen Wind ins Bierregal. Es heißt, dass Craft-Bier ungefähr ein Prozent des gesamten Biermarkts ausmacht. Tendenz steigend. Das klingt wenig. Doch der Craft-Bier-Markt wird immer erfolgreicher. Das haben auch die großen Bierproduzenten erkannt und machen ihre eigenen Craft-Bier-Linien. Radeberger, die größte Brauereigruppe in Deutschland, macht Braufactum, Bitburger hat die Marke Craftwerk. „Das ist auch eine Imagesache. Ganz nach dem Motto: Wir können nicht nur Export, sondern auch das Besondere“, sagt Heinrich. Andere Brauereien wie Köstritzer oder Paulaner bringen Kreativ-Biere auf den Markt.

Der Markt wird aber vor allem von den kleinen Brauereien durcheinandergewirbelt. „Viele deutsche Brauer produzieren mittlerweile Biere, die die amerikanischen locker in den Schatten stellen“, so Hasenbeck. Sie empfiehlt etwa Hopfenstopfer aus Bad Rappenau, Schoppenbräu aus Berlin und die Kreativbrauerei Kehrwieder in Hamburg, bei der der Braumeister auch noch Biersommelier-Weltmeister ist. Oliver Wesseloh ist ein sogenannter Gypsy-Brauer, ein Zigeuner, der von Brauerei zu Brauerei zieht, weil er keine eigene hat.

Immer neue Biere

Die Entwicklungen sind spannend: Brauer lagern den Gerstensaft für den besonderen Geschmack im Fass, alte Sorten wie Berliner Weiße werden wiederentdeckt. In Amerika sind Sauerbiere das nächste große Ding. Ja, der Craft-Bier-Markt bietet noch viel Potenzial, viel Erklärungsbedarf und Menschen wie etwa Daniel Bleicher. Wenn Stuttgarter auf der Suche nach Craft-Bier sind, dann werden sie bei ihm in einem Hinterhof im Heusteigviertel fündig. Hier hat Bleicher seine Cast-Brauerei etabliert, braut Pale Ale, Indian Pale Ale und auch ein Braumeister Spezial. Seine Fans wissen, wann es frisches Bier gibt. Wenn eine neue Ladung Bier abgefüllt ist, ist sie auch schnell ausverkauft. Im Jahr 2013 waren das 12 000 Liter. Zum Vergleich: Luftlinie ein paar Hundert Meter entfernt braut die Privatbrauerei Dinkelacker-Schwabenbräu jährlich 800 000 Hektoliter Bier von all ihren Marken.

Stuttgarter Craft-Bier-Fans fahren aber auch nach Kornwestheim. Hier gibt es den Getränkehandel Heinrich 3000. Wolfgang Heinrich wurde durch seine Lebensgefährtin Irina Zimmermann (42), ihres Zeichens Biersommelière, von der Craft-Bier-Leidenschaft angesteckt. Bis vor drei Jahren trank er so gut wie nie Bier. Jetzt verbringt er die Wochenenden gern bei Brauereibesuchen, bei denen er die neusten Sorten einkauft. Sein Getränkehandel ist so etwas wie das Mekka für Craft-Bier-Fans. Die Ecke, in der das Craft-Beer präsentiert wird, wächst stetig. Immer kommen neue Biere dazu. Eine Frau um die 50, beige Hose, gemustertes T-Shirt, fährt ihren Wagen am Craft-Bier-Regal vorbei. „Kann ich Ihnen helfen?“, fragt ein Mitarbeiter. „Nein, danke, ich probiere mich des Öfteren durch.“

Die Auswahl und auch die Preise zeigen, dass es hier nicht einfach nur um schlichtes Bier geht. Die Brauereien heißen Brew Dog, Riegle Biermanufaktur, Störtebeker Braumanufaktur, Crew Republic, Dolden Sud oder Craftwerk, die Biere tragen Namen wie „Drunken Sailor“ (Betrunkener Seemann), „Munich Summer“ (Münchner Sommer) oder „Holy Cowl“ (Heilige Kutte), da kann ein Fläschchen 18,99 Euro kosten. Der Literpreis kommt so auf fast 60 Euro. Solche Preise sind aber die Ausnahme. Üblicherweise starten Craft-Biere bei zwei, drei Euro. Wolfgang Heinrich findet das Thema inzwischen so spannend, dass er selbst die Ausbildung zum Bier-Sommelier machen wird. Eine Bierverkostung zum Thema Craft-Bier, die im Dezember im Getränkehandel stattfinden wird, ist ausgebucht. Ein Zusatztermin ist in Planung.

Trend zum Regionalen

Bier-Sommelière Irina Zimmermann schwärmt von den neuen Möglichkeiten, die der Markt bietet, von Geschmäckern und Farben. Das Pale Ale der Schönbuch Braumanufaktur beispielsweise ist satt bernsteinfarben. Es riecht nach Zitrusfrüchten. Für Werner Dinkelaker war das ein Versuch, nachdem er Garrett Oliver in der New Yorker Brooklyn Brewery besucht hatte. Angelehnt an dessen Pale Ale entstand daraus die Böblinger Variante. Das war vor drei Jahren. Inzwischen verkauft die Schönbuch Braumanufaktur jährlich etwa 1000 Hektoliter von diesem speziellen Bier. „Das hätte ich nicht gedacht, da ich diese Bierspezialität ja am Anfang wegen des einmaligen Geruchs nur für mich gebraut habe“, so Dinkelaker.

Der Trend zum Regionalen zieht sich durch alle Lebensbereiche. Und macht auch vor dem Bier nicht halt. Denn: „Bier braucht Heimat“, so Dinkelaker. Es ist ein bisschen wie die Frage, ob man seine Wurst abgepackt im Supermarkt oder frisch beim Metzger kauft. Ähnlich ist es mit dem Bier. Dinkelakers Definition von Craft-Bier geht noch weiter. Klar, es geht um Qualität der Rohstoffe, Leidenschaft bei der Zubereitung, darum, Bier zu leben. Aber: „Wir haben hier schon immer Craft-Bier gemacht“, sagt Dinkelaker in den alten Brauereihallen von 1823. Und hat damit auch irgendwie recht. Er weiß: „Eigentlich war Deutschland die treibende Kraft hinter dem Trend.“ Als die Amerikaner in den 70ern Inspiration für neue Bierarten suchten, haben sie sich eben hier umgeschaut, wo Bockbier, Rauchbier, Schwarzbier und andere Bierstile eine lange Tradition haben. Insofern ist Craft-Bier eigentlich eine deutsche Erfindung.