Rund 90 Prozent der Kinder wechseln im Land mit einer entsprechenden Empfehlung aufs Gymnasium. Foto: dpa/Bernd Weissbrod

Die Gymnasien im Landkreis Ludwigsburg werden auch 2023/24 stark ausgelastet sein. Das Land will dennoch nicht zur verbindlichen Grundschulempfehlung zurückkehren.

Eine Menge Zündstoff steckt in den aktuellen Anmeldezahlen für das Marbacher Friedrich-Schiller-Gymnasium (FSG). Die Eltern von 325 Kindern hatten das FSG als Schule ihrer Wahl auserkoren und damit mehr, als die Bildungsstätte verkraften kann. Einige Mütter und Väter mussten deshalb die bittere Pille einer Absage schlucken. Das sorgt auch deshalb für Verdruss, weil mehr als 40 Mädchen und Jungs ohne entsprechende Empfehlung am FSG angemeldet wurden. Rechnet man diese Kinder heraus, hätten die Kapazitäten gereicht. Nicht ganz so dramatisch ist die Situation an anderen Gymnasien, aber der Run auf diese Schulart scheint ungebrochen.

Die meisten Viertklässler wechseln aufs Gymnasium

Landesweit liegen zwar noch keine aktuellen Zahlen vor, sagt Pressesprecherin Simone Höhn vom Kultusministerium. Aber vor zwölf Monaten habe sich für 2022/23 mit einem Anteil von 45 Prozent „die überwiegende Mehrheit der Schülerinnen und Schüler, beziehungsweise deren Eltern, für einen Wechsel auf ein allgemeinbildendes Gymnasium“ entschieden, berichtet sie. Anteilsmäßig habe dies einem Plus von 0,9 Prozent gegenüber dem Vorjahr entsprochen. 10,7 Prozent der momentanen Fünfer pauken zudem in einem Gymnasium Mathe, Deutsch und Co., obwohl Pädagogen ihnen eine andere Schulart ans Herz gelegt hatten.

Sollte sich der prozentuale Anteil landesweit auch 2023/24 in diesen Sphären bewegen, würde sich das ziemlich genau mit den Werten des Ernst-Sigle-Gymnasiums in Kornwestheim decken. Aktuell hätten etwa zwölf Prozent der angehenden Fünfer keine Gymnasial-Empfehlung, in den beiden Jahren davor seien es auch um die zehn Prozent gewesen, berichtet Leiter Christoph Mühlthaler. Nach seiner Erfahrung ist das in Einzelfällen auch völlig unproblematisch. „Da klappt es sehr gut im Unterricht. In der Regel tun sich die Schüler aber schwer bis sehr schwer“, erklärt er. Mit der Zeit reife dann oftmals die Erkenntnis, doch besser die Schule zu wechseln. Aber die örtliche Realschule sei beispielsweise schon knallvoll, es könne also an Plätzen in der Nähe fehlen.

Insgesamt sei das einfach ein schlechter Start an der weiterführenden Schule, zumal, wenn auch noch die Erfolgserlebnisse ausblieben. „Das ist bitter, das zerreißt mir das Herz“, sagt Mühlthaler.

Alles in allem würde der Chef des Ernst-Sigle-Gymnasiums deshalb dafür plädieren, wieder zur verbindlichen Grundschulempfehlung zurückzukehren. „Dies wird dafür sorgen, dass Kinder nicht dem Überehrgeiz und Statusdenken der Eltern ausgesetzt werden und mit weniger Druck aufwachsen können“, pflichtet ihm der Marbacher Bürgermeister Jan Trost bei. Jeder wisse, was eine Überforderung „mit der Seele und dem Verhalten von Kindern macht“. Seit der Coronapandemie habe sich die Situation nochmals verschärft. „Immer mehr Kinder sind psychisch angeschlagen, die Wartezeiten für Therapieplätze sind sehr lang“, erklärt Trost, der zudem daran erinnert, dass sich auch die Lehrer selbst in einer Umfrage für das Comeback der verbindlichen Grundschulempfehlung starkgemacht hätten.

Land verweist auf Fördermöglichkeiten an den Gymnasien

Das Land plant allerdings aktuell nicht, in der Frage eine Rolle rückwärts zu vollziehen. „Die Erfahrung zeigt, dass sich die Erziehungsberechtigten in ihren Entscheidungen über die Bildungswege weit überwiegend an dem Kindeswohl orientieren. Sie handeln verantwortungsvoll und wollen Überforderungen ihrer Kinder vermeiden“, konstatiert Simone Höhn vom Kultusministerium. Zudem würden die Betroffenen, also die Mädchen und Jungs selbst, stärker in die Entscheidung eingebunden. Höhn verweist zudem darauf, dass der individuellen Förderung an den Gymnasien ein hoher Stellenwert eingeräumt werde.

Kapazitäten in Kornwestheim reichen

Und zumindest in Kornwestheim reichen die Kapazitäten auch mit der freien Schulwahl aus, um alle Kinder aufnehmen zu können. „Wir kriegen das noch gut hin“, sagt Christoph Mühlthaler. 142 aktuelle Viertklässler seien am Ernst-Sigle-Gymnasium angemeldet worden, womit man fünf Klassen bilden werde. Momentan besuchten 120 Mädchen und Jungs die fünfte Jahrgangsstufe in vier Klassen, die sechste Klasse sei mit 165 Kindern sechszügig. Unterm Strich wachse die Schule, die eigentlich vierzügig sei. Man müsse aber keine Kinder abweisen.

Ähnlich ist die Lage in Ludwigsburg. Die Auslastung sei zwar an allen Gymnasien sehr hoch, man könne aber alle Ludwigsburger Viertklässler aufnehmen, erklärt Susanne Jenne, Pressesprecherin der Stadt. Nach den Sommerferien wollten Stand jetzt 530 Kinder auf ein Gymnasium wechseln, vor einem Jahr seien es 548 gewesen. Die Zahl derjenigen, die sich trotz anderslautender Empfehlung auf den Weg zum Abitur machen wollen, sei „recht gering“. Die betreffenden Kinder und ihre Eltern bekämen einen Beratungstermin bei den Leitern der jeweiligen Gymnasien. Die Entscheidungshoheit bleibe bei den Müttern und Vätern.

Nur eine Empfehlung

Ratschlag
Die Grundschulempfehlung für Viertklässler für die weiterführende Schule ist nicht verbindlich, sondern nur ein Ratschlag. So hatten mehr als zehn Prozent der Kinder, die 2022/2023 landesweit auf ein Gymnasium wechselten, keine ausdrückliche Empfehlung dafür. Umgekehrt hätten immerhin 1,9 Prozent der Mädchen und Jungs, die sich für eine Werkreal-/Hauptschule entschieden, nach Ansicht der Lehrer ein Gymnasium besuchen können.

Abweichung
Auffällig stark ist die Schere zwischen dem Rat der Pädagogen und der tatsächlichen Entscheidung der Eltern zuletzt bei der Realschule auseinandergegangen. Von den Viertklässlern, die an diese Schulart wechselten, hatten nur 53,5 Prozent eine entsprechende Empfehlung erhalten. 22,2 Prozent der Kinder war indes nahegelegt worden, sich an einer Werkreal-/Hauptschule anzumelden. Die übrigen 24,3 Prozent hatten die Lehrer eigentlich eher auf dem Gymnasium gesehen.