Chefredakteur Christoph Reisinger, Verkehrsminister Winfried Hermann, Bosch-Chef Volkmar Denner, IG-Metall-Bezirksleiter Roman Zitzelsberger und Autor Klaus Köster (von links) im Gespräch. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Die Automobilbranche steht vor dem größten Umbruch ihrer Geschichte. Beim Treffpunkt Foyer unserer Zeitung skizzieren drei Experten aus Wirtschaft und Politik, wie sich der Wandel auf das Autoland Baden-Württemberg und seine Menschen auswirken könnte.

Stuttgart - Wie werden sich die Menschen in Deutschland und Baden-Württemberg in den nächsten Jahrzehnten fortbewegen? Welche Veränderungen kommen auf sie zu? Welche sauberen Antriebstechnologien setzen sich durch? Und wer steuert eigentlich den ganzen Prozess? Die Unternehmen? Die Politik? Oder doch die Kunden? Und was bedeuten all die Veränderungsprozesse für den Wirtschaftsstandort Baden-Württemberg mit seinen Automobilherstellern und all seinen Zulieferern?

Rund 600 Besucher sind an diesem Dienstagabend in den Mozartsaal der Stuttgarter Liederhalle gekommen, um der Diskussion mit Volkmar Denner (Vorsitzender der Geschäftsführung der Robert Bosch GmbH), Roman Zitzelsberger (Bezirksleiter der Gewerkschaft IG Metall Baden-Württemberg), Winfried Hermann (Verkehrsminister des Landes Baden-Württemberg) sowie Christoph Reisinger und Klaus Köster, dem Chefredakteur und dem Autor für Wirtschaftsthemen unserer Zeitung, zu lauschen.

Grün-Schwarz investiert massiv in die Infrastruktur

Die grün-schwarze Landesregierung räumt dem batteriebetriebenen Elektroauto höchste Priorität ein. Sie baut in den nächsten Jahren massiv die Ladesäulen-Infrastruktur aus. Das Konzept sehe vor, dass es alle zehn Kilometer eine Möglichkeit gebe, die Batterie wieder aufzuladen, sagt Verkehrsminister Hermann. Damit will Grün-Schwarz die Voraussetzungen so verbessern, dass sich künftig mehr Menschen ein sehr schadstoffarmes, batteriebetriebenes Elektroauto kaufen und die Klimaschutzziele von Paris erreicht werden.

Derzeit, so merkt Verkehrsminister Hermann im Laufe des Abends süffisant an, gebe es in Baden-Württemberg „fast mehr Ladesäulen als Elektroautos“. Doch die zentralen Fragen bleiben: Ist die Fokussierung auf das Elektroauto wirklich alternativlos? Warum setzt sich selbiges hierzulande bisher noch nicht durch? Und: Müsste es nicht das Ziel der Politik sein, Technologien zu fördern, die so gut sind, dass davon nicht nur Autos fahren, sondern auch Menschen leben können?

600 000 Jobs hängen an den Diesel- und Benzinautos

Die Autoindustrie ist hierzulande eine Jobmaschine – auch, weil der Bau von Motoren und Getrieben sehr anspruchsvoll ist. Laut dem Verband der deutschen Automobilindustrie (VDA) sind bundesweit rund 600 000 Arbeitsplätze mit der Entwicklung und der Herstellung von Diesel- und Benzinautos verbunden. Was bedeutet es für all die Arbeitnehmer, würde es ein Zulassungsverbot für Fahrzeuge mit fossilem Verbrennungsmotor geben und das batteriebetriebene Elektroauto, das in der Produktion weniger aufwendig ist, sich durchsetzen?

Ein Bruchteil der Wertschöpfung bedeute auch ein Bruchteil der Beschäftigung, sagt Denner. Der Bosch-Chef warnt davor, sich beim Fahrzeug der Zukunft allein auf das batteriebetriebene Elektroauto zu konzentrieren. „Den Verbrennungsmotor zum Auslaufmodell zu erklären, halte ich für fahrlässig“, sagt er – und weist darauf hin, dass man von Erdgas über alternative Kraftstoffe, die sogenannten e-Fuels, bis hin zur Brennstoffzelle an allen Technologien arbeite und die Forschung und Entwicklung derselben bei aller Entschiedenheit eben Zeit benötige: „Wir reden da von einem Zeitraum von Jahren – nicht von Monaten.“

Auch IG-Metall-Landeschef Zitzelsberger plädiert dafür, alle Technologien in gleichem Maße voranzutreiben. Die Reichweitenangst, die viele Menschen von einem E-Auto-Kauf abschrecke, sei mit den e-Fuels besser zu nehmen als mit der Batterie. „Die Produkte müssen zu den Kunden passen“, sagt er. Selbst wenn die batteriebetriebenen Autos attraktiv würden, mache er sich Sorgen, ob man eine gute Ladesäuleninfrastruktur hinbekomme. Bosch-Chef Denner pflichtet ihm bei. Man müsse zu den Menschen auch ehrlich sein. Das hochentwickelte Stromnetz in Deutschland hielte es Stand heute nicht aus, wenn flächendeckend Elektroautos gefahren und damit auch immer wieder geladen würden.

Verlieren Hersteller aus Deutschland den Anschluss?

Den grüne Verkehrsminister Hermann befriedigen die Aussagen nicht. „Wir reden zu viel über Probleme anstatt darüber nachzudenken, wie wir zu Lösungen zu kommen“, sagt er. Grundsätzlich seien ihm alle Technologien recht, „die etwas taugen“. Aber mit Blick auf die weltweiten Entwicklungen wirft er die Frage auf: „Sind wir nicht zu langsam?“ Hermann fürchtet, dass Hersteller aus anderen Ländern neue Elektroautos entwickeln und auf den Markt bringen, während in Baden-Württemberg die Dieseltechnologie immer weiter verfeinert und über andere Antriebstechnologien zu lange gegrübelt werde. „Wenn weltweit die Menschen sich vom Diesel verabschieden, kann das dazu führen, dass man am Ende alles verliert“, sagt der Minister. Das findet Bosch-Chef Denner zu polemisch.

Er weist darauf hin, dass sein Unternehmen 400 Millionen Euro pro Jahr in die E-Mobilität investiere und die meisten Patente auf diesem Feld aus Deutschland kommen. Zitzelsberger hofft, dass es im Zuge des Technologie- und Mobilitätswandels neue Jobs geben wird. „Wir werden nicht davon leben können, wenn einer dem anderen die Haare schneidet“, sagt er. Die Frage sei, wie man den Wohlstand sichere. Der IG-Metall-Landeschef betont auch, dass er nichts davon halte, die Fragen der Arbeitsplätze und Ökologie gegeneinander zu stellen. Man müsse beides in Einklang bringen.

Minister: Digitalisierung bringt viele Chancen

Doch welche Antriebstechnologien sich in Zukunft durchsetzen, ist nur die eine Frage. Die andere ist: Wie verändern die voranschreitende Digitalisierung und das autonome Fahren die Mobilität der Menschen? Erste Versuche in den USA zeigen laut Denner, dass sogenannte selbstfahrende Robocaps, die ein eigenes Auto überflüssig machen könnten, das Verkehrsaufkommen nicht zwangsläufig reduzieren. Der Grund: Die Menschen nutzen dadurch weniger den öffentlichen Personennahverkehr. Doch was ist dann der Vorteil? „Das automatisierte Fahren machen wir, um die Verkehrssicherheit zu erhöhen“, sagt Denner. Rund 90 Prozent der Verkehrsunfälle seien auf menschliches Fehlverhalten zurückzuführen.

Auch für Hermann und Zitzelsberger überwiegen die Chancen, die die Digitalisierung mit sich bringt – zum Beispiel datengestützte Verkehrs- und Parklenkung oder auch andere neue Geschäftsmodelle. Beide sagen aber auch, es brauche klare Regeln für den Gebrauch und möglichen Missbrauch der anfallenden Daten. Zitzelsberger sagt, die Frage sei nicht nur, ob etwas technisch möglich sei, sondern ob man es gesellschaftlich auch wolle. Denner und Hermann nicken. Immerhin in diesem Punkt sind sich die drei Podiumsgäste einig.