Im Gespräch mit Chefredakteur Reisinger: Außenminister Steinmeier Foto: Martin Stollberg

Die Krise mit Russland, der Krieg in Syrien und die Flüchtlingsfrage. Große Herausforderungen für Frank-Walter Steinmeier. Der stellte sich den Fragen von StN-Chefredakteur Christoph Reisinger.

Stuttgart - Gerade habe er vom Außenminister eine SMS erhalten, sagt Wolfgang Molitor, der stellvertretende Chefredakteur der Stuttgarter Nachrichten. Der sei sich gerade auf der B29 selbst begegnet. Er sei sich aber sicher, im richtigen Wagen gesessen zu haben – in dem, der in nach Stuttgart bringt.

Natürlich ein Scherz. Und eine Anspielung auf Ex-Amtsinhaber Hans-Dietrich Genscher: Dem FDP-Mann sagte man nach, er sei sich auf seinen Flügen um die Welt wiederholt selbst über den Weg gelaufen. Oder in diesem Fall über den Weg geflogen.

Dennoch: Trotz der vielen Reisen schafft es Außenminister Frank-Walter Steinmeier an diesem Sonntagabend pünktlich in den voll besetzten Mozartsaal der Liederhalle in Stuttgart. Rund 750 Besucher sind gekommen, um beim Treffpunkt Foyer unserer Zeitung mit dem Bundesminister dabei zu sein und der Diskussion zwischen ihm und Christoph Reisinger, dem Chefredakteur der Stuttgarter Nachrichten, zu folgen.

Um seinen Job wird Steinmeier dieser Tage wohl kaum jemand beneiden. Die Welt und mit ihr die deutsche Außenpolitik befinden sich im Dauerstress: Die Krise mit Russland wegen der Ukraine, der Krieg gegen den so genannten Islamischen Staat in Syrien und im Irak und ein Europa, das in der Flüchtlingsfrage langsam aber sicher an seine Grenzen stößt. Große Herausforderungen – auch für Steinmeier.

Doch zwischen all den Krisen gibt es auch Erfolgsmomente. Vor gut einer Woche haben die Europäische Union und die USA ihren Streit mit dem Iran um dessen Atomprogramm beigelegt. Die Wirtschafts- und Finanz-Sanktionen wurden für beendet erklärt. „Der wohl größte Sieg der Diplomatie in diesem Jahrzehnt“ hieß es in vielen Medien. US-Präsident Barack Obama sprach von einer „seltenen Chance, die Welt friedlicher zu machen“. Und Steinmeier?

Steinmeier lobt Einigung mit dem Iran

„Die Einigung mit dem Iran ist ohne Zweifel ein schöner Erfolg“, sagt er. „Ich hoffe aber, es bleibt nicht der schönste.“ Zu viele Probleme gebe es auf der Welt noch zu lösen. Außerdem dürfe man den Erfolg nicht als Schluss des Konflikts betrachten. „In der Außenpolitik gibt es keine Punkte“, so Steinmeier, „es gibt nur Fragezeichen und Kommas“. Der Einigung könnte nur die Basis für den nächsten Schritt sein: Den Iran aus der Isolation herauszubringen und ihn in die Lösung des Syrien-Konfliktes einzubinden. Die Erfolge bei den Atomverhandlungen mit dem Iran zeigten vor allem: Durch Beharrlichkeit, Kreativität und langen Atem kann man etwas bewegen. Quasi das Credo der Steinmeierschen Außenpolitik.

Ein Credo, mit dem der SPD-Politiker bei der Bevölkerung gut anzukommen scheint. Steinmeier rangiert in der Gunst der Bürger derzeit ganz weit oben: Im aktuellen Politbarometer ist er gleichauf mit Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), der Platz eins der beliebtesten Politiker Deutschlands belegt. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ist in den vergangenen Monaten auf Platz vier abgerutscht. Die Flüchtlingskrise hat sie ihren Spitzenplatz gekostet.

Eine Krise, die auch Steinmeier keine Ruhe lässt. Er stärkt Merkel an diesem Sonntagabend den Rücken. Und wirft dem Koalitionspartner CSU durch die Blume Populismus in Sachen Flüchtlingspolitik vor. „Es gibt Lösungen, die taugen für Wildbad Kreuth“, sagt er und nimmt damit die Kritik der Christsozialen an Merkels Flüchtlingspolitik auf der Klausurtagung der CSU ins Visier. Und ergänzt gleich: „Und es gibt Lösungen, die wirklich etwas verändern.“

Die Schließung der Grenzen gehört für ihn nicht dazu. Gerade in einem Land wie Baden-Württemberg, sagt der Außenminister, müsse klar sein, was ein solcher Vorgang jenseits der Flüchtlingsfrage für Auswirkungen hätte. „Anders als Ungarn sind wir eine Exportnation“, erklärt Steinmeier. Die wirtschaftlichen Folgen von Grenzschließungen würden von denen, die so etwas fordern, oft nicht bedacht.

Das große Problem: Die Flüchtlingszahlen

Steinmeier betont selbst: Die Flüchtlingszahlen müssen weniger werden. Doch neben innenpolitischer Maßnahmen müssten vor allem auf europäischer Ebene mehr Lösungen her, beispielsweise der bessere Schutz der Außengrenzen. Doch trotz aller Bemühungen bleibt: Die Menschen fliehen vor dem Krieg, vor der Gewalt in Syrien. „Diese Ursachen müssen wir bekämpfen“, so Steinmeier. Er gibt sich optimistisch. Er halte eine Lösung des Syrien-Konfliktes durchaus für denkbar. Doch auch dafür braucht er Partner. Nicht nur die Türkei – erst am Freitag hatte Steinmeier in Berlin den türkischen Außenminister Mevlüt Cavusoglu zu Beratungen empfangen – sondern auch Russland.

Doch das Verhältnis Deutschlands mit Kreml-Chef Wladimir Putin steht gerade nicht zum Besten. Eine Vertrauenskrise, die von beiden Seiten ausgeht, prägt seit der Besetzung der Krim die Beziehungen. Doch Steinmeier ist sich sicher: „Wir werden diesen Konflikt in Syrien nicht lösen, wenn wir die Russen nicht an Bord haben.“ Er sieht gute Chancen für eine Zusammenarbeit in der Syrien-Krise. Russland wolle sich als Akteur in der Region etablieren. Das Land wolle als Player in der Lösung der Konflikte im Nahen Osten wahrgenommen werden.

Und wie will Deutschland wahrgenommen werden? Welche Rolle spielt die Bundesrepublik in der Welt? „Wir haben Anlass, selbstbewusst zu sein“, sagt Steinmeier mit fester Stimme. Dennoch: Manch einer habe noch immer nicht begriffen, was sich mit dem Jahr 1990 und der deutschen Wiedervereinigung alles verändert habe. Steinmeier nennt es die „Wasserscheide in der deutschen Außenpolitik“: Die Sonderbehandlungen von Seiten der Bündnispartner waren passé. „Die Wiedervereinigung bedeutete nicht nur gleiche Rechte zu haben wie die anderen Länder, sondern auch gleiche Pflichten.“ Dabei dränge sich Deutschland in der Lösung außenpolitischer Krisen nicht auf – „es ist das, was die anderen von uns erwarten“, so Steinmeier.

Gespräche in einem Spree-Dampfer

Dabei bedeutet für ihn mehr Verantwortung – nicht automatisch mehr militärische Einsätze. „Es kommt auch nicht nur auf Selbstbewusstsein an, manchmal braucht man auch Kreativität“, sagt Steinmeier. In der Libyen-Krise hatte er einmal die sechs verfeindeten Gruppierungen des Landes nach Berlin eingeladen. Dort wurden die Herren dann zu einem gemeinsamen Abendessen gebeten – auf einem Dampfer auf der Spree. „Wir sind drei Stunden mit denen die Spree rauf und runter gefahren“, erinnert sich Steinmeier sichtlich zufrieden, „und keiner konnte den Gesprächen entfliehen.“

Diplomatische Tricks muss er schon auf Lager haben, der Frank-Walter Steinmeier. Ein Passant fasst das für den Außenminister bei einer Umfrage auf dem Schlossplatz zum Thema des Treffpunkt Foyer prägnant zusammen: Die deutsche Außenpolitik sollte weniger protzig sein, sagt er, „sondern vielleicht lieber ein bisschen schwäbisch. Also weniger überkandidelt, aber noch mit festem Boden unter den Füßen.“