Zwei Schwaben unter sich: Jürgen Klinsmann (links) trifft sich in Kalifornien mit Winfried Kretschmann. Foto: Jana Höffner / Staatsministerium Baden-Württemberg

Der frühere Fußballstar Jürgen Klinsmann diskutiert mit dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann über Heimat, Integration – und die Ausschreitungen in Chemnitz.

San Francisco - „Immer, wenn ich den Klinsmann höre, fühle ich mich zu Hause“, hat Winfried Kretschmann einmal bekannt. Folglich muss es dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten recht heimelig zu Mute sein, als er jetzt in San Francisco den früheren Fußballstar und Bundestrainer trifft. Über „Heimat und Integration“ diskutieren beide im Rahmen von Kretschmanns aktueller USA-Reise. Und der bekennende Stuttgarter und Wahl-Kalifornier Klinsmann ist dazu ein aufschlussreicher Gesprächspartner.

In Jeans und blauem Poloshirt ist er von seinem Wohnort bei Los Angeles angereist - drahtig, smart und lachend wie immer. Heimat sei ein Gefühl der Zugehörigkeit und Nachbarschaft, sagt der gebürtige Göppinger und bekennt sich als „Schwabe durch und durch“. Mindestens einmal im Jahr kommt er nach Stuttgart, trifft sich dort mit der Familie und alten Kumpels. Und doch ist seine Heimat seit vielen Jahren Kalifornien, dort, wo seine Frau und seine Kinder leben: „Es gibt kaum schönere Flecken auf der Welt.“

Er ist also der Prototyp jenes Weltbürgers, der „viele Heimaten“ hat, wie Kretschmann sagt. Und dann gibt der Regierungschef ein paar Einblicke in das, was für ihn Heimat ausmacht. Zum Beispiel das jährliche Treffen mit Jugendfreunden im Montafon, um Binokel zu spielen. Oder aber ein katholischer Gottesdienst – egal ob in Stuttgart, Sigmaringen oder San Francisco. Kretschmann: „Der Ritus ist derselbe.“

Doch wie ist das, wenn man mehrere solche Gefühlsregungen nebeneinander hat?, will der Moderator wissen - der in Kalifornien lebende Journalist und frühere Stanford-Professor Hans Ulrich Gumbrecht. Und prompt ist man mittendrin in der Debatte um die beiden türkischstämmigen deutschen Spieler, die sich mit dem türkischen Präsidenten Erdogan ablichten ließen. Klinsmann kennt als früherer Nationaltrainer der USA solche Geschichten gut. „Man wird da reingeschmissen in den Brunnen der Gefühle“, sagt er und erzählt, dass viele seiner Spieler eine doppelte Staatsbürgerschaft hatten.

Und? War das schlimm? „Für den Trainer war das wundervoll“, sagt er – zu erleben, wie die Familien seiner Männer den Kampf ausfechten, für welche Nation ihr Herz nun am stärksten schlägt. Die Özil-Gündogan-Diskussion habe er vor fünf Jahren jeden Tag erlebt. Und dann sagt er: „Man muss das den Familien überlassen, denn man hat kein Recht, ihnen etwas aufzuzwingen.“ Und so ganz nebenbei verrät der frühere Star der Vereine VfB Stuttgart, Inter Mailand, Tottenham Hotspur und Bayern München, dass er einige deutsche Sportler überredet hatte, für die USA zu spielen.

„Ausland nimmt Vorfälle in Köthen und Chemnitz war“

Es gab ja auch einmal eine Zeit in Deutschland, da schien man solche Dinge mit Leichtigkeit wegzustecken: beim Sommermärchen während der Weltmeisterschaft 2006. Da habe sich etwas verändert im Bild von Deutschland draußen in der Welt, erinnert sich Klinsmann und lässt noch einmal jene wunderbar leichten Tage aufleben, als die deutsche Mannschaft „munter drauflos spielte“ und die Fans fahnenschwingend den Schulterschluss übten. Eine „aufgeklärte Form des Nationalgefühls“ nennt Kretschmann das.

Und jetzt? Warum ist das verschwunden? Und wie kann man es wiederholen? Im Ausland werde sehr wohl wahrgenommen, was gerade in Chemnitz oder Köthen passiert, sagt Klinsmann und wird ernst. Statt um Integration gehe es um Ausgrenzung, pflichtet Kretschmann bei und führt dies auf eine tiefe Verunsicherung in der Bevölkerung zurück – verursacht durch die Finanzmarktkrise und die Flüchtlingswelle. Und zum Amusement von Klinsmann schiebt er in seiner trockenen Art hinterher: „Das frühe Ausscheiden bei der WM hat uns gerade noch gefehlt.“ Viele Menschen in Europa stellten jedenfalls das Prinzip der vielen Heimaten in Frage und verlangten nach Homogenität: „Dabei ist doch die Pluralität die Tatsache!“

An dieser Stelle hätte man gern noch mehr erfahren von Klinsmanns Erfahrungen als Wanderer zwischen den Welten. Vielleicht könnte er die hitzige Diskussion um das Singen der Nationalhymne und ähnliche Fragen ja etwas befrieden. Doch dazu reicht die Zeit nicht – er muss weiter. Nun überlegt man im Staatsministerium, ob man eine solche Diskussion in Stuttgart wiederholt. Klinsmann jedenfalls zeigt sich nicht abgeneigt.