Trauer nach dem Amoklauf, der nach sechs Jahren immer noch die Gerichte beschäftigt Foto: dpa

Eine heute 35 Jahre alte, beim Amoklauf 2009 traumatisierte Lehrerin hat vor dem Verwaltungsgericht eine höhere Pension und eine Einmalzahlung erstritten. Das vor Gericht unterlegene Land wird das Urteil anfechten.

Stuttgart - Jan Bergmann, Vorsitzender Richter der 12. Kammer des Verwaltungsgerichts (VG), gibt gleich zu Beginn der Verhandlung am Dienstag die Richtung vor. „Die zentrale Frage hier und heute lautet: Ist die Klägerin das Opfer eines rechtswidrigen Angriffs geworden?“ Am Ende der mündlichen Verhandlung hat die Kammer dies bejaht. Statt der 71 Prozent ihres Gehalts, die die Pädagogin seit ihrem krankheitsbedingtem Eintritt in den Ruhestand bekommt, muss ihr das Land nun 80 Prozent bezahlen. Zudem sprach ihr das Gericht die im Besoldungsgesetz festgelegte Unfallentschädigung von 80 000 Euro zu. Allerdings wird das Land, vor dem VG vom Besoldungsamt vertreten, das Urteil vor dem Verwaltungsgerichtshof in Mannheim anfechten.

Die heute 35 Jahre alte Frau war Lehrerin an der Albertville-Realschule in Winnenden (Rems-Murr-Kreis). Dort hatte der 17-jährige Tim K. am 11. März 2009 bei seinem verheerenden Amoklauf zwölf Menschen erschossen. Auf der Flucht tötete der Jugendliche drei weitere Menschen und schließlich sich selbst.

Als Tim K. damals die Schule betrat, unterrichtete die Lehrerin gerade eine 5. Klasse im Erdgeschoss. Der Amokläufer ging in den 3. Stock und begann zu töten. Unter den erschossenen Lehrerinnen waren zwei enge Freundinnen der Frau. Die Lehrerin sah durchs Fenster des Klassenraums zuerst aufgeregte Schüler im Hof. Sie öffnete die Tür und vernahm Brandgeruch. Dann kam ihr ein Polizist mit vorgehaltener Waffe entgegen und schrie: „Weg, weg, weg!“ Daraufhin brachte die Pädagogin mit Einserexamen ihre Schüler aus dem Gebäude. Teils musste sie die Kinder tragen. Als vor dem Schulgebäude eine Mutter neben ihr zusammenbrach, erfuhr die Lehrerin erst von dem Amoklauf.

Die junge Frau trug, wie so viele, ein schweres Trauma davon. Trotzdem ließ sie sich an eine Fellbacher Schule versetzen. Als dort im Jahr 2011 eine falsche Amokdrohung einging, war die Lehrerin mit ihrer Kraft am Ende. Anfang 2013 ließ sich krankheitshalber in den Ruhestand versetzen. Das Land erkannte an, dass die Frau schwere psychische Schäden davongetragen habe. Ein erhöhtes Ruhegehalt sowie die Einmalzahlung wurden der Frau indes verweigert.

Sie sei zwar in Ausübung ihres Dienstes Opfer eines Unfalls geworden und dementsprechend dienstunfähig, aber sie habe sich nicht in Reichweite des Amokschützen befunden. Bei objektiver Betrachtung sei die Frau nicht in Lebensgefahr gewesen, da der Amokschütze nicht zielgerichtet auf die Klägerin zugegangen sei, so das Besoldungsamt. Also erfülle ihr Fall nicht die Kriterien des Paragrafen 37 des Bundesbeamtenbesoldungsgesetzes.

Martin Sammet, Anwalt der Klägerin, widerspricht. „Der Täter kam an die Schule, um alle umzubringen.“ Dieses Geschehen könne man nicht in Einzelvorgänge zerlegen, und: „Wenn der Amoklauf kein zielgerichteter Vorgang ist, ja welcher denn dann?“, so Sammet.

Das Gesetz hat seine Tücken. In Absatz 2 des Paragrafen 37 heißt es sinngemäß: Ist ein Beamter in Ausübung seines Dienstes einem rechtswidrigen Angriff ausgesetzt, stehen ihm höhere Ruhebezüge und eine festgeschriebene Unfallentschädigung zu.

„Das ist eigentlich ein Polizisten- oder Feuerwehrmann-Paragraf“, so Richter Bergmann. Unter anderem diese Berufsgruppen seien als Beamte vom Gesetzgeber besonders geschützt, wenn sie durch ihre Tätigkeit dienstunfähig werden.

Die 12. Kammer hat noch am Dienstag im Sinne der Klägerin entschieden. Sie habe das höhere Ruhegehalt und 80 000 Euro Unfallentschädigung zu bekommen (Aktenzeichen: 12 K 2461/14). Die Lehrerin sei das Opfer eines zielgerichteten Vorgehens geworden, es habe reale Lebensgefahr bestanden. Jetzt muss sich die nächste Instanz mit dem Fall befassen.

Das Land hatte den betroffenen Lehrkräften nach dem Amoklauf unbürokratisch Hilfe gewährt. Der Amoklauf war schnell als Dienstunfall anerkannt worden. Ein Pädagoge scheiterte allerdings mit seiner Klage. Der Lehrer lag an jenem unseligen 11. März 2009 im Krankenhaus. Trotzdem machte auch er ein Trauma geltend und wollte seine Heilbehandlung bezahlt haben. Das lehnte das Verwaltungsgericht zwar ab. Es liege kein Dienstunfall vor, der Lehrer sei schließlich nicht im Dienst gewesen. Allerdings war dem Regierungspräsidium in diesem Fall ein Formfehler unterlaufen. Der Lehrer bekam seine Heilkosten erstattet.