Die Trauerrednerin Andrea Schricker sagt, Corona könne uns bewusst machen, wie sehr wir andere brauchen. Foto: factum/Andreas Weise

Andrea Schricker ist professionelle Trauerrednerin und begleitet Angehörige bei ihrem Abschied von Verstorbenen. Im Interview erzählt sie, warum während Corona das Trauern besonders schmerzvoll ist und wie man Trauernden würdevoll begegnet.

Herrenberg - Die Corona-Pandemie wirkt über den Tod hinaus. Für Wochen waren Trauerfeiern kaum möglich – für Angehörige eine Belastung, die auch später Wunden aufreißen kann. Die freie Trauerrednerin Andrea Schricker aus Herrenberg hat in dieser Zeit Personen begleitet, die ihre Angehörigen verloren haben. Im Interview erzählt sie, wie Menschen in dunkelsten Stunden Halt finden.

Frau Schricker, zu Ihnen kommen Menschen, die ihre Angehörigen bestatten möchten, aber nicht kirchlich. Woran halten sich Menschen, wenn nicht an Gott?

Am Ende sind es Rituale, die Menschen Trost spenden und mit dem Verstorbenen Frieden schließen lassen. Das können Lieder, Gespräche sein, oder einfach nur das Anzünden einer Kerze. Viele sind nicht in der Kirche, haben dennoch oft einen Glauben und hoffen auf ein Wiedersehen im Himmel. Andere wollen sich auch ohne einen Glauben würdevoll verabschieden.

Sie haben mehrere Abschiedsfeiern während der Corona-Pandemie organisiert. Waren Rituale überhaupt möglich?

Es herrscht eine große Verunsicherung. Die Feiern waren vor allem in den ersten Wochen auf das Mindeste reduziert. Es durften nur fünf Angehörige dabei sein. Niemand durfte sich dem Toten nähern. Der Friedhofaufseher trug die Urne, senkte sie ins Grab und verschwand. Das war sehr pragmatisch. Der Raum, den man normalerweise für die Atmosphäre schafft, war klein.

Wie haben Sie reagiert?

Ich habe versucht, die Feier durch Worte würdevoll zu gestalten. Und habe die Kondolenzbriefe der Freunde und Verwandten vorgelesen, die nicht dabei waren, um sie so zu beteiligen.

Was macht die Ausnahmesituation mit den Trauernden?

Es ist für sie sehr schmerzvoll, weil sie sich nicht von den Verstorbenen verabschieden können. Besonders schwierig war es für die, deren Nahestehende im Krankenhaus oder Altersheim waren und keinen Kontakt zu den Angehörigen hatten. Eine Frau pflegte beispielsweise viele Jahre ihren Mann zuhause. Nach dem Ausbruch von Corona ging ihre polnische Helferin in die Heimat und der Mann kam vorübergehend in ein Altersheim. Dort starb er. Seither begleiten seine Frau Schuldgefühle, weil sie ihrem Mann versprochen hatte, dass er nie in ein Heim kommt. Das hat sie schier zerrissen.

Wie können in einer solchen Situation Worte überhaupt Trost spenden?

Man muss zunächst die Trauernden selbst zu Wort kommen lassen. Bei einem Trauergespräch versuche ich herauszufinden, wer der Mensch war, der gestorben ist. Wie war sein Lebensweg, wie haben ihn andere gesehen? Die Abschiedsfeier und die Rede später sollen eine Weggabelung sein, an der Angehörige lernen, eine neue Verbundenheit mit dem Toten einzugehen. Eine Art Loslassen, ohne dabei zu vergessen.

Das hört sich einfacher an als es ist.

Nicht jeder kann das bewältigen. Trauer ist keine Krankheit. Aber nicht verarbeitete Trauer kann krank machen, bis hin zu Depressionen führen, und den eigenen Lebensweg behindern.

Macht es für die Trauerbewältigung einen Unterschied, ob jemand nach einem Virus oder einer langen Krankheit gestorben ist?

Ja. Wenn ein Mensch mit beiden Beinen im Leben steht und durch einen Unfall oder eine plötzliche Krankheit stirbt, ist es für alle ein Schock. Man hat nicht das Gefühl, dass der richtige Moment für die Person gekommen war. Die Angehörigen hadern dann, ob man nicht alles versucht hatte, um das Leben zu retten. Das ist eine zusätzliche Belastung in der Trauer.

Wie ist es für Sie persönlich, immer mit dem Tod zu tun zu haben?

Es gibt mir Kraft, wenn ich andere Menschen stärke. Vor einigen Jahren ist mein Mann gestorben, seither weiß ich, wie wichtig Menschen sind, die einen unterstützen. Der Tod gehört zum Leben dazu. Das wollen wir heute oft nicht wahrhaben.

Man sagt, dass nirgendwo so viel gelogen wird wie auf Beerdigungen. Rücken Sie die Verstorbenen in ein besseres Licht?

Nein. Wenn jemand zum Beispiel Probleme im Leben hatte, versuche ich nicht, seine Fehler aufzuzählen. Aber ich verschweige auch nicht seine Schwierigkeiten. Andeutungen genügen, dann wissen die Beteiligten, was gemeint ist.

Ist Humor möglich?

Wenn es für die Beteiligten nicht zu sehr schmerzt, warum nicht? Einmal haben mir die erwachsenen Kinder eines verstorbenen Schwaben bei dem Trauergespräch eine Anekdote erzählt: Im Sommer durfte bei ihnen nicht der Backofen angestellt werden, aber im Winter wurde angemacht und sogar die Tür aufgesperrt, um die Wohnung zu heizen. Das kam gut an.

Hat sich die Trauerarbeit in den letzten Jahren verändert?

Die Trauerkultur ist personalisierter geworden. Früher gab der Pfarrer häufig seinen Segen und Schluss. Heute wollen viele darüber reflektieren, wollen ein besonderes Grab für ihre Verstorbenen. Auf der anderen Seite wollen viele heute schneller über die Trauer hinweg kommen, ihre Gefühle weniger zeigen.

Was sagt das über unsere Gesellschaft?

Die wenigsten von uns kennen wirkliche Krisensituationen. Alles unterliegt dem Mantra der Jugend, der Fitness. Da passen das Altwerden und der Tod einfach nicht dazu.

Wird Corona daran etwas ändern?

Vielleicht werden wir uns bewusst, wie sehr wir andere brauchen. Sie machen das Leben lebenswert.

Den meisten Menschen fällt es schwer, über den Tod zu sprechen. Haben Sie einen Tipp, wie man Trauernden begegnen kann?

Man sollte nicht sagen, dass man mit der Person fühlt. Denn man kann den Schmerz eines anderen nur begrenzt nachfühlen. Man sollte dem anderen auf Augenhöhe begegnen und etwa sagen, dass man ihn oder sie wahrnimmt, dass man für die Person da ist. Ich empfehle auch, dem anderen ein Gespräch anzubieten. Beistand leisten ist wichtig. Es ist schwer zu sagen, was am Ende den meisten Trost spendet.