Martin Schulz beglückwünscht Mike Groschek zur Wahl als neuem Landesvorsitzenden in NRW. Foto: dpa

Nach der schmerzhaften Wahlniederlage in ihrer früheren Herzkammer streben die Sozialdemokraten in Nordrhein-Westfalen aus dem Tal der Resignation – mit Michael Groschek an der Spitze und ohne Hannelore Kraft. Wirklich Mut macht aber nur der Auftritt von Martin Schulz.

Duisburg - Kommt sie oder kommt sie nicht? „Ich glaube nicht“, raunt eine Genossin. „Nein“, sagt der Parteisprecher. „Das war auch nie angekündigt.“ Hannelore Kraft, die Wahlverliererin in Nordrhein-Westfalen, macht sich unsichtbar. In den sozialen Netzwerken hat sie ihre Konten gelöscht. „Sorry, diese Seite existiert nicht“, erscheint anstelle ihres Twitter-Accounts. Kraft will zwar weiterhin eine „gute Abgeordnete“ sein. Doch sitzt der Frust über ihren Abstieg offenkundig so tief, dass sie diesen nicht mit allen anderen auf dem Duisburger Landesparteitag teilen mag. „Hannelore Kraft lässt euch herzlich grüßen“, sagt Landesvize Elvan Korkmaz. „Sie hat versprochen, beim nächsten Mal dabei zu sein.“ Das war es vorerst von der einstigen Landesmutter.

„Wir stehen immer wieder auf!“, verheißt die rote Postkarte, die jedem Delegierten am Eingang in die Hand gedrückt wird. In Duisburg, wo die SPD noch Marktführer ist, übt sich die Partei in Selbstvergewisserung. Oder zieht sie sich in ihre Wagenburg zurück, um nicht ganz unterzugehen? Die SPD hat nicht nur ihr ureigenes Revier verloren, sie hat auch den womöglich entscheidenden Trend für die Bundestagswahlen gesetzt. So sehen Trümmer-Genossen aus.

Mangel an Alltagstauglichkeit attestiert

„Mit uns zieht die neue Zeit – im Moment sollten wir es lieber summen als lauthals grölen“, sagt Michael Groschek, bevor er von rund 86 Prozent der 410 Delegierten zum neuen Landeschef erkoren wird. Während Schwarz-Gelb im Stile einer gut geölten Maschine die Koalitionsverhandlungen vorantreibt, muss sich die SPD-Führung selbst geißeln. „Ihr habt ein Recht auf Entschuldigung“, sagt er. „Wir haben den Karren vor die Wand gefahren, weil wir uns zu sicher waren.“ Laschet vor Kraft – das haben sie nicht geglaubt.

„Wir sind die gerupfte, aber nicht niedergeschlagene SPD“, versucht sich Groschek als Mutmacher. Dafür „brauchen wir einen Neuanfang, der sich gewaschen hat“. Doch wohin soll dieser führen? Das scheint noch lange nicht klar zu sein. Die SPD müsse die Distanz zur Realität verkleinern. „Wir feiern Rituale und diskutieren über Spiegelstriche – und landen dann wieder im grauen Alltag“, klagt der Landesvorsitzende. „Die Problemlösungen müssen alltagstauglich sein.“ Wo die SPD mal ihre Hochburgen hatte, trumpfte sogar die AfD auf. „Wir werden in Teilen nicht mehr als sozial nahe stehend, sondern als ,die da oben‘ begriffen.“ Nötig ist ein Spagat: Praktisch alle wollen eine Aufarbeitung der Niederlage, doch mancher warnt vor allzu viel Selbstbeschäftigung. „Ich bin seit 40 Jahren bei Parteitagen – ich höre immer wieder was von Erneuerung“, stöhnt ein Genosse. „Reformiert endlich diese Parteitage.“

Quittung für das Vorpreschen nach dem Wahldebakel

Reaktionsschnell hatte Groschek nach dem Wahldebakel am 14. Mai Führungswillen gezeigt. Ob der 60-Jährige, der in den vergangenen Jahren die Parteigeschicke maßgeblich mit verantwortet hat, nur ein Mann für den Übergang sein wird, lässt er offen: „Ich bin weder Platzhalter noch Platzhirsch.“ Vielfach wird beklagt, dass die personelle Neuaufstellung im kleinen Kreis übers Knie gebrochen wurde. „Der fade Beigeschmack hat an der Basis für Unmut gesorgt“, schildert der Juso-Landesvorsitzende Frederick Cordes. Die Jung-Genossen hätten sich auf die Hinterbeine stellen können, haben es sich aber verkniffen.

Groschek schildert seine Sicht der Dinge: In der SPD werde zwar viel über Respekt und sozialen Anstand geredet, aber im Umgang miteinander ginge beides zu oft verloren, tadelt er die Weitergabe von Interna im Nachwahl-Durcheinander. Auch Juso-Mann Cordes rügt: „Das einzige, was geordnet lief, war das Durchstechen von Namen an die Presse.“ Ein „munteres Hauen und Stechen“ moniert ein anderer Juso. Die neue Generalsekretärin Svenja Schulze, ergänzt: „Das hätten wir nicht lange ausgehalten.“ Deswegen haben sich Groschek und Schulze an die Spitze der Bewegung gesetzt, um noch vor dem Bundesparteitag am 25. Juni in Dortmund im Landesverband für klare Verhältnisse zu sorgen. Gleiches gilt für die Landtagsfraktion, wo der 70-jährige Norbert Römer nun weiter Verantwortung trägt. Als Quittung erhält Schulze in Duisburg mit rund 69 Prozent ein mageres Wahlergebnis.

Schulz kündigt eine neue Staatsräson an: „Europa first“

Es hat vor allem mit Martin Schulz zu tun, dass der größte SPD-Landesverband seit Jahresbeginn 5200 Neuzugänge vorzuweisen hat – nun 111 000 Mitglieder insgesamt. Nun ist der Kanzlerkandidat wieder da, und der einstige Enthusiasmus scheint zunächst verflogen zu sein. Doch Schulz selbst hat nicht aufgegeben, sondern erweist sich als Lotse im sozialdemokratischen Nebel. Er wirbt für eine Million neuer Ganztagsschulplätze, öffentlich geförderten Wohnungsbau sowie eine sichere Rente – doch „ich unterwerfe mich keiner Aufrüstungsspirale á la Donald Trump“. Der Funke seiner Kampfbereitschaft springt auf den Saal über.

Schulz kann es noch. Die Pleiten bei den Landtagswahlen? Abgehakt. Die meiste Zeit redet er über die internationalen Verwerfungen. „Unter meiner Führung wird die Bundesregierung eine Staatsräson entwickeln: Europa zuerst und an den Anfang des politischen Handelns.“ Dazu passt, dass Schwarz-Gelb in NRW von Studenten aus Nicht-EU-Ländern künftig Studiengebühren verlangen will. „Was für eine unanständige Politik“, schimpft Schulz. Am Ende zitiert er einen Satz von Willy Brandt, der aktueller sei denn je: „Wir wollen ein Volk der guten Nachbarn sein.“ Aus einer glorreichen Vergangenheit Stärke für die Zukunft gewinnen – anders kommt die Sozialdemokratie wohl nicht aus dem Tief heraus.