Leben retten dank Transplantationsmedizin – die Menschen sind Organspenden gegenüber offenbar wieder aufgeschlossener Foto: dpa

Die Zahlen der Organspende steigen wieder. Ist das Misstrauen gegenüber der Transplantationsmedizin also tatsächlich am Schwinden? Experten aus Wissenschaft und Medizinethik warnen: Noch ist die Trendwende nicht geschafft.

Hannover/Tübingen - Wenn es um Organspende geht, ist Moral fehl am Platz – das ist vielleicht die wichtigste Lektion, die Politiker und Gesundheitsexperten in den vergangenen drei Jahren seit Bekanntwerden der Transplantationsskandale gelernt haben. Und so werden am 6. Juni, dem bundesweiten Tag der Organspende, in Hannover höchstwahrscheinlich weitaus weniger erhobene Zeigefinger zu sehen sein, um an die Menschlichkeit zu appellieren. Selbst der Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU), der noch 2014 oft und gern den Satz „Jede Organspende kann Leben retten“ äußerte, stimmt verhaltene Töne an: Man solle den Tag nutzen, sich zu informieren und mit anderen zu sprechen und „vielleicht einen Organspendeausweis auszufüllen“.

Dabei ist das Problem des Mangels an Organen drängender als eh und je: Derzeit warten 10 600 Menschen in Deutschland auf ein neues Herz, eine Niere oder eine Leber. Alle acht Stunden stirbt einer von ihnen, weil das kranke Organ versagt.

Die Not ist bekannt. Grundsätzlich hält es die Mehrheit der Bundesbürger für richtig, nach dem Tod die eigenen Organe Schwerkranken zur Verfügung zu stellen – nämlich zwei Drittel. Das zeigt eine aktuellen Umfrage der Bundeszentrale für gesundheitlichen Aufklärung (BzgA). Doch statt als logische Folge den Organspendeausweis auszufüllen, den jeder von seiner Krankenversicherung zugeschickt bekommen hat, bleiben die Kästchen neben Antwort „Ja“ und Antwort „Nein“ bei vielen leer. Nur 35 Prozent haben im Ausweis ihr Kreuzchen gemacht.

Die Bereitschaft zur Organspende steigt ganz leicht

Das Misstrauen nach den Transplantationsskandalen sei immer noch da, heißt es etwa bei der Barmer GEK, die ihre Versicherten ebenfalls zum Thema Organspende befragt hat: So gaben 46 Prozent der Befragten an, dass die Transplantationsskandale ihr Vertrauen negativ beeinflusst haben. Die Kasse zieht daraus den Schluss, ihre Versicherten noch mehr zu informieren. Und das, obwohl in ebendieser Umfrage belegt wird, dass die Versicherten sehr wohl Bescheid wissen – etwa dass man Angehörigen mit einem Ausweis im Ernstfall die schwierige Entscheidung abnehmen könne.

Doch führt noch mehr Information auch zu noch mehr Zustimmung? Als Antwort präsentiert die Deutsche Stiftung für Organspende (DSO) stolz die neuesten Zahlen: Von Januar bis Mai seien 375 hirntoten Spendern Organe entnommen worden. Das entspricht einer Steigerung von fünf Prozent – auch aufgrund der besseren Aufklärung. Von einer Trendwende will man aber nicht reden: Das sei zu früh, sagt das DSO-Vorstandsmitglied Axel Rahmel.

Eine so wohlüberlegte Entscheidung wie die der Spendenbereitschaft braucht Zeit, mahnen Medizinethiker. Diese Entscheidungsfindung lässt sich auch nicht mit neuen Verfahren oder Entscheidungslösungen beschleunigen, sagt etwa Urban Wiesing, der das Institut für Ethik und Geschichte der Medizin an der Uni Tübingen leitet. „Es ist gut, wenn darüber offen diskutiert wird.“

So war es auch der Deutsche Ethikrat, der im Februar einen wunden Punkt der Transplantationsmedizin offengelegt hat: nämlich die Debatte um den Hirntod. Er gab öffentlich bekannt, dass sich längst nicht alle Mitglieder sicher seien, ob man den Hirntod wirklich als klares Zeichen für den Tod werten dürfe. Demnach wäre der Hirntod nicht der Tod des Menschen, sondern nur der letzte unumkehrbare Schritt zu seinem Tod.

Nach Meinung des Ethikrats sei es daher umso wichtiger seitens der Ärzte und Krankenkassen, die Ängste und Zweifel der Angehörigen, die sie im existenziellen Grenzfall haben, ernst zu nehmen. Erst dann können sie Entscheidungen über Leben und Tod treffen – und ob sie die Organe spenden wollen. Das zeigte eine Studie, die in der „Deutschen Medizinischen Wochenzeitschrift“ des Thieme-Verlags Stuttgart erschienen ist: Demnach erfolgten die meisten Zustimmungen der Angehörigen über eine Organentnahme, wenn sie schon bei der Hirntoddiagnostik miteinbezogen worden sind.

Zahlen zu den Organen

BAUCHSPEICHELDRÜSE

Bauchspeicheldrüse Foto: fotolia

114  verpflanzte Organe von  verstorbenen Spendern (2014)
34 Patienten auf der Warteliste (2014), meist Diabetiker
18 Monate durchschnittliche Wartezeit
12 Stunden maximale Zeit zwischen Entnahme und Verpflanzung
Oft werden Bauchspeicheldrüsen an langjährige Diabetiker transplantiert.

DÜNNDARM

Dünndarm Foto: fotolia

5 verpflanzte Organe von  verstorbenen Spendern (2013)
6 Stunden maximale Zeit zwischen Entnahme und Verpflanzung
Eine Dünndarmtransplantation ist für Menschen gedacht, die nur noch per Dauerinfusion ernährt werden können. Die Transplantation ist extrem kompliziert, Abstoßungsreaktionen sind häufig.

LUNGE

Lunge Foto: fotolia

316 verpflanzte Organe von  verstorbenen Spendern (2014)
417 Patienten auf der Warteliste (2014)
5 Monate durchschnittliche Wartezeit
6 Stunden maximale Zeit zwischen Entnahme und Verpflanzung Ganze Lungen, einzelne Flügel oder auch nur einen Lungenlappen werden Patienten verpflanzt, die eine chronisch obstruktive Lungenerkrankung haben – oft sind das ehemalige Raucher.

NIERE

Niere Foto: fotolia

781verpflanzte Organe von verstorbenen Spendern (2014)
7717 Patienten auf der Warteliste (2014)
49 Monate durchschnittliche Wartezeit
24 Stunden maximale Zeit zwischen Entnahme und Verpflanzung Menschen, die eine neue Niere benötigen, stehen oft jahrelang auf der Warteliste, weil eine Dialyse ihnen das Überleben sichert.

HERZ

Herz Foto: fotolia

294 verpflanzte Organe von  verstorbenen Spendern (2014)
842 Patienten auf der Warteliste (Ende 2014)
7 Monate durchschnittliche Wartezeit
6 Stunden liegen maximal zwischen Entnahme und Verpflanzung