Warum der VfB auch dieses Jahr ins Trainingslager nach Tirol gereist ist. Und wie Sportdirektor Sven Mislintat und Trainer Pellegrino Matarazzo die Mannschaft noch besser machen wollen.
Kitzbühel - Vom Tagesangebot in der Koasastub’n hat sich bislang niemand locken lassen, aber das kann sich ja noch ändern. Ein Glaserl Prosecco für 3,50 Euro, so steht es auf einem Pappschild auf dem Tresen geschrieben, hinter dem Sabine für den Getränkeausschank zuständig ist. Über fehlende Kundschaft kann sie sich trotz der schwachen Nachfrage nach Schaumwein nicht beklagen. „Bier läuft besonders gut“, berichtet Sabine und hat auch ansonsten Grund, hochzufrieden zu sein: „Alles sehr freundliche Gäste, das muss ich klar sagen.“
Die freundlichen Gäste aus Deutschland, drei Dutzend mögen es sein, sitzen vor der Koasastub’n, der Schankstätte des Koasastadions, und tragen die weiß-roten Farben ihres Lieblingsvereins. Normalerweise ist es die sogenannte Kampfmannschaft des österreichischen Viertligisten SK St. Johann, die hier in grünen Trikots ihre Heimspiele austrägt. Jetzt wehen die Fahnen des VfB Stuttgart am Spielfeldrand, eigenhändig gehisst von einem Praktikanten der VfB-Geschäftsstelle, der einen Tag vor Ankunft der Spieler und der Edelfans nach Tirol entsandt wurde.
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Zum dritten Mal in Folge ist der Tross des Stuttgarter Bundesligisten in die Kitzbühler Alpen gereist, um im Sommertrainingslager die Grundlagen für eine erfolgreiche Saison zu legen. Beim ersten Mal stand am Ende die Rückkehr in die Bundesliga, beim zweiten Mal ein starker neunter Platz. Auch jetzt sollte die Mission sicherer Klassenverbleib nicht am Sommercamp in Tirol scheitern. Neu ist nur der Trainingsplatz in St. Johann, altbekannt dafür das Teamhotel im zehn Kilometer entfernten Kitzbühel, in dem während der berühmten Hahnenkamm-Rennen Österreichs beste Skifahrer logieren und jetzt die Kicker aus Stuttgart abgestiegen sind.
Im Teamhotel wird auch an die Veganer gedacht
„Wir fühlen uns hier extrem wohl“, sagt Sportdirektor Sven Mislintat: „Das ist fast ein bisschen wie nach Hause kommen.“ Es fehle an nichts, weder an familiärer Atmosphäre noch an Rückzugsorten oder reichlicher Speisenauswahl auch für die immer größer werdenden Vegetarier- oder Veganer-Fraktion. Beste Bedingungen also, um körperlich und geistig für die neue Saison in Form zu kommen – zumal nach dem Regen an den ersten Trainingslagertagen inzwischen die Sonne über den Bergen steht.
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Es erhöht die Zuversicht, dass der VfB-Kader auch dieses Jahr bereits frühzeitig in weiten Teilen feststeht. Torwart Florian Müller und der Japaner Wataru Endo sind zwar vorerst mit ihren Auswahlteams bei Olympia, Stürmer Silas Katompa Mvumpa und Mittelfeldmann Orel Mangala noch lange verletzt – doch wurde am Montag nach zähem Ringen immerhin endlich die Verpflichtung von Chris Führich vom SC Paderborn perfekt gemacht. Am nächsten Vormittag steht der 23 Jahre alte Offensivallrounder, der den Abgang des Argentiniers Nicolas Gonzalez kompensieren soll, erstmals auf dem Trainingsplatz und beklatscht mit seinen neuen Mannschaftskollegen den 25. Geburtstag von Abwehrchef Waldemar Anton. Neben einem Modellathleten wie dem Innenverteidiger Konstantinos Mavropanos wirkt der schmächtige Führich zwar wie ein Jugendspieler, sein gewaltiges Potenzial deutet er aber schon einmal an.
Was wird aus Marc Kempf, Philipp Klement und Erik Thommy?
Offen bleibt vorerst einerseits, ob sich Marc Kempf (26) ein Jahr vor Vertragsende doch noch zum vorzeitigen Abschied entschließt und dem VfB damit eine Millionenablöse beschert. Ungewiss ist andererseits der Verbleib von Philipp Klement (28) und Erik Thommy (26), die sich mehr Spielzeit wünschen und davon ausgehen müssen, diese beim VfB nicht zu bekommen. Einem möglichen Wechselwunsch der Offensivkräfte würde Mislintat nicht im Wege stehen – sollte sich jedoch kein Abnehmer finden, wären „die beiden Vorzeigejungs“ auch weiterhin „total willkommen“, wie der Sportdirektor versichert: „Sie können jederzeit bleiben und haben die Chance zu spielen und sich Minuten zu erkämpfen.“
Zu den großen Stärken des Sportdirektors zählt es ohne Zweifel, nicht nur frühzeitig das Talent von Spielern zu erkennen, sondern auch enge persönliche Bindungen mit seinen Profis und damit Vertrauensverhältnisse aufbauen zu können. Zusammen mit dem ebenso klugen wie empathischen Trainer Pellegrino Matarazzo bildet er ein Duo, von dem man im Sinne des VfB nur hoffen kann, dass es den Stuttgartern möglichst lange erhalten bleibt.
Raftingtouren sind diesmal wegen der Unwetter unmöglich
Zum guten Geist innerhalb der Mannschaft tragen Mislintat wie Matarazzo bei – in Kitzbühel soll er noch weiter gestärkt werden. Raftingtouren sind heuer zwar unmöglich, weil die Ache nach den Unwettern der vergangenen Tage als reißender Fluss durchs Leukental rauscht. Teambildende Maßnahmen sind dennoch geplant, damit die neuen Spieler nicht allein auf dem Spielfeld integriert werden. „Die Jungs werden sich etwas ausdenken“, sagt Mislintat – und weiß gleichzeitig, dass auch der beste Mannschaftsgeist keinen Erfolg garantiert. Am 14. August beginnt mit dem Heimspiel gegen den Aufsteiger SpVgg Greuther Fürth die neue Bundesliga-Saison – bis dahin, sagt der Sportdirektor, „ist alles Kaffeesatzleserei“.